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Damit
zurück zur philosophischen Kritik der Erkenntnistheorie. Ähnlich wie in der
soeben besprochenen Staatstheorie scheint es ratsam, die Fragestellung, mit der
wir uns dem Thema Wissen nähren, anders zu gestalten als es dies in der
herkömmlichen Erkenntnistheorie geschieht, die sich, wegen der
stillschweigenden Annahmen einer bestimmten Frage, auf die problematische Suche
begibt nach der besten, der verlässlichsten, der wahrhaftig autoritativen, der
letztgültigen Quelle des Wissens.
Doch
wenn wir uns von den voreingenommenen Fragen lösen, können uns ganz andere Gedanken
in den Sinn kommen. Wir mögen uns z.B. mit der Hypothese auseinandersetzen,
dass es ideale und unfehlbare Quellen des Wissens ebenso wenig gibt wie eine
akzeptable Regierungsform, deren Macht unbegrenzt ist, und dass alle
vermeintlich absoluten Wissensquellen und autoritären Regierungsweisen über
kurz oder lang großen Schaden stiften müssen.
Mit
dieser neuen Perspektive können wir fruchtbare Parallelen in einigen
Grundfragen der Wissenschaft und der Politik beobachten. Um unser Wissen über
die Welt zu verbessern, sind wir gut beraten, die Frage zu stellen: „Gibt es
Methoden, anhand derer wir die Fehler und Irrtümer, die unserem Denken anhaften,
so schnell und so gründlich wie möglich erkennen und korrigieren können?"
Unser Bestreben sollte es nicht sein, eine Theorie zu verifizieren d.h. den
Beweis anzutreten, dass sie vollständig und abgeschlossen und somit auf ewig
wahr ist. Vielmehr sollten wir bemüht sein, sie zu falsifizieren (zu
widerlegen) oder jedenfalls dafür sorgen, dass sie niemals gegen die
Möglichkeit zutreffender Kritik abgeschottet ist; dass sie also immer
verbesserungsfähig bleibt im Lichte neuer Erkenntnisse, neuer Versuche
festzustellen, ob sie der Widerlegung standhält. Solange eine Theorie sich
gegenüber rigoroser, kritischer Prüfung behauptet, verdient sie Anerkennung,
vielleicht sogar Bewunderung, aber sie darf niemals unserer unkritischen
Zustimmung oder unserer dogmatischen Verehrung gewiss sein. Vielmehr muss sie
immer damit rechnen, dass wir sie eines Tages verwerfen.
In
ähnlicher Weise ist es ratsam, Regierung, Staat und die anderen Institutionen
einer politischen Ordnung unausgesetzter Prüfung zu unterziehen, indem man nach
Antworten auf die Frage sucht: Wie sieht ein politisches System aus, das eine
freie Gesellschaft wirkungsvoller unterstützt als jedes andere Arrangement und
dafür sorgt, dass Regierung und Staat bei der Durchführung ihrer begrenzten und
klar definierten Aufgaben den denkbar geringsten Schaden hinterlassen?
Es
gibt keinen präzisen Übergangspunkt zwischen wissenschaftlichem und nicht
wissenschaftlichem Denken. Denn es gibt keine sicheren Kriterien, anhand derer
wir immer und in jedem Fall exakt und unwiderruflich erkennen können, dass wir
die volle Wahrheit erfasst und eine Theorie endgültig bewiesen haben. Für das
Tier in freier Wildbahn, den gewöhnlichen Menschen in seinem Alltag und den
Wissenschaftler, der Hunderte von Büchern wälzt, oder in seinem Laboratorium
Versuche unternimmt – das Verfahren, das uns zu Erkenntnisgewinnen verhilft,
ist in all diesen Fällen grundsätzlich dasselbe: wir lernen aufgrund von
Versuch und Irrtum. Das Vorgehen der Wissenschaften liefert Einsichten,
die uns helfen, besser zu verstehen, wie Erkenntniswachstum in allen, auch den
außerwissenschaftlichen Lebensbereichen vonstattengeht.
Der
Verbesserung unserer Kenntnisse sind keine Grenzen gesetzt. Der menschliche
Erkenntnisfortschritt ist ein unendlicher Prozess. Denn unser Unwissen ist
unendlich. Viel zu groß ist die Vielfalt des Universums, als dass wir uns dieses Übermaß
jemals vollständig vertraut machen und entschlüsseln könnten. Der Weg zu neuer
Erkenntnis ist so endlos wie die Vielfalt des Universums, das uns eines Tages aus
einer unerschöpflichen Fülle von Ereignissen hervorgebracht hat.
Mensch und
Menschheit machen eine Reise durch Ausschnitte aus der unendlichen Menge an
Bedingungen, die das Universum bereithält. Viele Elemente dieser unendlichen
Menge sind so bequem und hilfreich, dass wir sie nicht bemerken. Andere sind
sperriger. Wir stoßen uns an ihnen. Woran wir stoßen, sind Probleme. Mit diesen
Zusammenstößen, mit dem Zusammenstoß mit einem Problem, beginnt das Wachstum
des menschlichen Wissens. Zu der Ausstattung, die uns lebensfähig macht,
gehören Erwartungen. Der Zusammenstoß mit einem Problem ist nichts anderes, als
die Enttäuschung einer Erwartung. Wir beginnen uns dieser Erwartung bewusst zu
werden, und fragen uns, warum wir uns in dieser Erwartung getäuscht haben. Wir
machen uns gewissermaßen klar, dass wir einer Theorie anhängen, die vielleicht
verbesserungswürdig und zu korrigieren ist. Damit hat der Prozess der
Wissenserweiterung durch kritische Reflexion begonnen.
Wissensfortschritt
bedeutet demnach, dass wir Probleme erfassen und mit ihnen besser umzugehen
lernen, indem wir unsere diesbezüglichen Erwartungen oder Theorien überprüfen
und erneuern. Der Stand unserer Erkenntnisse zeichnet sich also durch eine
bewegliche Grenzlinie aus. Diesseits der Grenze befindet sich der Bestand
unseres unvollkommenen, versuchsweisen, veränderlichen Wissens. Jenseits der
Grenze befinden sich Probleme, von deren Mehrheit wir zu jedem gegebenen
Zeitpunkt der Gegenwart nicht ahnen, dass sie bestehen.
Nach und nach stoßen
wir auf einige dieser ungeahnten Probleme. Wir erweitern unser Vermutungswissen
über das Universum, indem wir mit einigen dieser schließlich auftretenden
Probleme besser umzugehen lernen. Damit ist der menschliche
Erkenntnisfortschritt nichts anderes als eine ständige Anpassung an
Unvorhersehbares. Ein abschließendes, endgültiges, unumstößliches Wissen ist
daher dem Menschen weder gegebenen, noch ist es wünschenswert. Der Teil des
Universums, den wir besonders intensiv wahrnehmen, nennen wir ihn das Leben,
hetzt uns unentwegt von einer Etappe vergänglichen Wissens zur nächsten.
Sicheres Wissen - genauer: sicheres Erfahrungswissen, im Gegensatz zu den
stimmigen Schlussfolgerungsformalismen der reinen Logik - ist nicht nur eine Illusion, sondern auch ein
schlechtes Ideal.
Das
klassische Sortiment an Methoden zur Erlangung der Wissensgewissheit versagt,
weil die zu Grunde liegenden Erkenntnistheorien übersehen, dass der menschliche
Geist und der ihm jeweils mögliche Wissensstand immer abhängig ist von
Umständen, die an ihn von außen herantreten, um ihn unentwegt neu zu formen.
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