Monday, 19 December 2016

Euro-Krise (2/2)

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Fortgesetzt von hier. 

 
1. Der Anstieg der Differenz zwischen deutschen Ersparnissen und deutschen Investitionen muss seine Entsprechung in einem entgegengesetzten Reduktion dieser Differenz in anderen Ländern finden. [Zur eigenen Orientierung: Mehr deutsche Ersparnisse, die zu mehr Produktion in Deutschland führen, aber dort weniger Konsum ermöglichen, müssen aufgefangen werden in Ländern, die weniger Sparen und deshalb in der Lage sind, die deutsche Produktion, die durch den deutschen Konsum nicht aufgesaugt werden kann, zu absorbieren. Die erzwungenen deutschen Ersparnisse finanzieren Investitionen, deren Produktion nicht durch den deutschen Verbrauch absorbiert werden kann, weswegen, ein Teil der durch erzwungenes Sparen finanzierten Investitionen / Produktion irgendwo außerhalb Deutschlands abgesetzt werden muss. Offenbar steht in diesem Zusammenhang „Investitionen“ für „Produktion“, was verwirrend ist, weil ja gilt GNP = C + I = C + S, so dass I = S. Nach dieser Identitätsformel können S und I nicht unterschiedlich sein. Oder täusche ich mich?] Eine Variante, mit der dies erreicht werden kann, besteht darin, dass die spanische Investitions-Rate die Spar-Rate um so viel übersteigt, als erforderlich ist, um ein spanisches Handelsdefizit zu erzeugen, das so groß ist wie Deutschlands Handelsüberschuss. Weil die deutsche Wirtschaftspolitik dazu geeignet ist, die Profitabilität der spanischen Fertigungswirtschaft auszuhöhlen, werden [in Spanien] private Investitionen im Sektor der handelbaren Güter kaum ansteigen, anders als Infrastruktur-Investitionen, die mit deutschem Kapital finanziert werden. Dies bedeutet natürlich, dass die Verschuldung Spaniens steigen muss.

Alternativ ist es machbar, dass deutsche Kapitalexporte nach Spanien, bei Zinssätzen, die relativ zu den Veränderungen der spanischen Preise sehr niedrig sind ( – d.h. Spanien litt unter niedrigen oder sogar negativen Zinssätzen), einen Immobilien-Boom in Spanien finanzieren, der den Umfang an Investitionen in Spanien genügend ausweitet, um die ins Ausland exportierten deutschen Ersparnisse zu absorbieren.  Dies ist eine gute Sache, solange das Angebot an Immobilien in Spanien unzureichend ist. Riskant wird dieser Trend, wenn er zu lange andauert und schließlich dazu dient, eine Immobilienblase zu finanzieren.

2. Eine andere Möglichkeit, aufgrund derer die Lücke zwischen spanischen Ersparnissen und Investitionen den Überschuss deutscher Ersparnisse über deutsche Investitionen absorbieren kann, besteht darin, dass spanische Ersparnisse fallen. Spanien kann es zulassen, dass z.B. der Inlandsverbrauch stärker steigt als das BIP, was per definitionem gleichbedeutend ist mit einer fallenden Sparquote und einem steigenden Handelsdefizit. Dies wird gewöhnlich erreicht durch steigende Verbraucherfinanzierung, die wiederum aufgrund deutscher Kapitalexporte bei niedrigen oder negativen Zinsen ermöglicht wird; oder wie es der an der CUNY lehrende Professor David Harvey ausgedrückt hat: 


„Die Lücke zwischen dem, was die Arbeiter verdienten und dem, was sie ausgeben konnten, wurde geschlossen mittels eines Aufschwungs der Kreditkarten-Branche und steigender Verschuldung.“5


Es war recht wahrscheinlich, dass es genau dazu kommen würde, weil die Europäische Zentralbank die Zinsen künstlich niedrig hielt, um Bedürfnissen in Deutschland entgegenzukommen, wo Preise und Löhne sehr viel langsamer stiegen als in Spanien.

3. Spanien hätte sich weigern können, deutsche Überschuss-Ersparnisse zu absorbieren. Es hätte beispielsweise fiskalpolitische Ausgaben begrenzen und die Steuern so weit anheben können, dass die inländische Arbeitslosigkeit gestiegen wäre. Jedoch wäre eine kräftige Zinsanhebung keine Option gewesen, da Spanien als Mitglied der Eurozone die eigenen Zinssätze nicht mehr kontrollierte. Ironischerweise war es unmöglich, diese Option auszuüben, außer wenn die unvermeidliche Schuldenkrise spanische Zinssätze zwangsläufig steigen lassen würde. Eine hohe Arbeitslosigkeit hätte die spanische Sparquote herabgedrückt, indem sie damit einher ginge, dass die Produktion stärker rückläufig verläuft als der Verbrauch, denn obwohl unter derartigen Bedingungen die Investitionen nachgelassen haben würden (warum in neue Produkte investieren, wenn es den Menschen an Geld fehlt, diese zu erwerben?), hätte die Arbeitslosigkeit stark ansteigen müssen, es sei denn diese Maßnahmen wären gekoppelt worden mit einem Anstieg in der spanischen Staatsverschuldung und Ausgaben für die Infrastruktur.

4. Spanien hätte sich im Prinzip auch weigern können, die deutschen Überschuss-Ersparnisse zu absorbieren, indem es die effektiven Lohnkosten senkt oder die eigene Währung gegenüber der deutschen abwertet oder Handelsbarrieren errichtet. Das hätte deutsche Ersparnisse nach Deutschland zurückgedrängt. Wäre es möglich gewesen, die Arbeitskosten ausreichend zu senken, nicht nur durch Lohnkürzungen, sondern auch durch die Reduktion anderer Kosten für die Geschäftstätigkeit, so wäre dies der „beste“ Weg gewesen. Aber es erscheint unwahrscheinlich, dass die Kosten der Geschäftstätigkeit in Spanien, die gewiss über dem optimalen Bereich liegen, hätten soweit abgesenkt werden können, dass sie den Unterschied ausgemacht hätten.

In den beiden letzten Fällen (Optionen 3 und 4) ist Deutschland zur Anpassung gezwungen, entweder vermöge eines Anstiegs der Beschäftigungslosigkeit im eigenen Land oder durch einen Anstieg staatlicher Investitionen. Freilich war es Spanien, als Mitglied der Eurozone, nicht möglich eine dieser beiden Optionen anzuwenden.

Deutschland zur Anpassung zwingen

Spanien hätte also mit einer begrenzten Zahl an Möglichkeiten auf die deutschen Maßnahmen reagieren können. Es hätte Investitionen hochfahren können, am einfachsten in Form einer Immobilien-Blase. Es hätte zulassen können, dass der Verbrauch steigt und die Ersparnisse fallen. Es hätte einen Anstieg der Arbeitslosigkeit hinnehmen können. Oder es hätte in die Handelsbeziehungen eingreifen können. Keine dieser Varianten wäre für Spanien reizvoll gewesen; aber man darf nicht vergessen, dass diese vier Optionen automatische Konsequenzen von Maßnahmen sind, die die Differenz zwischen den unterschiedlichen Wachstumsraten des deutschen BIP und des Verbrauchs in Deutschland beeinflussen; und diese Konsequenzen waren nicht die Folge spanischer Politik. Spanien hätte lediglich eine Kombination aus den vier Varianten wählen können; wobei es in jedem Fall gezwungen war, unliebsame Konsequenzen deutscher Inlandspolitik hinzunehmen.

Vor der Krise von 2007/2008, als die Zinsen auf einem zu niedrigen Niveau gehalten wurden, hatte Spanien mehr oder weniger automatisch die erste und zweite Option akzeptiert (wobei Investitionen hauptsächlich in die Immobilien-Blase flossen).  Anders gesagt: Spanien erlebte sowohl einen Bau-Boom, der so dramatisch war, dass er zu einem enormen Überangebot an Wohnimmobilien im ganzen Lande führte, als auch einen Konsum-Boom, der das Niveau der Inlands-Ersparnisse herabdrückte. Das war vielleicht nicht beabsichtigt, aber wenn es den höheren Zuwachs deutscher Ersparnisse gegenüber deutschen Investitionen aufsaugen sollte, so konnte dies nur erreicht werden, indem spanische Investitionen schneller wuchsen als spanische Ersparnisse.

Jetzt da das Niveau der Verschuldung so stark gestiegen ist, dass die Kreditwürdigkeit des spanischen Staats beeinträchtigt ist und spanischen Zinsen in die Höhe geschossen sind, kommt es zum Kollaps sowohl des Bau-Booms als auch des Verbrauchs-Booms. Doch solange Deutschland an seinen politischen Maßnahmen festhält, ist Spanien weiterhin genötigt, zwischen den vier Optionen zu wählen. Es hat sich natürlich nur zögerlich für die dritte Option entschieden. In Spanien ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen, nachdem die Wirtschaft sich durch Ablehnung eines weiteren Imports deutscher Ersparnis-Überschüsse an die Lage anzupassen versucht. Solange Deutschland nicht die Maßnahmen außer Kraft setzt, die zu diesen Überschuss an Ersparnissen führen, wird Spanien weiter unter sehr hoher Arbeitslosigkeit leiden, bis nach vielen, vielen Jahren die spanischen Löhne sich ausreichend angepasst haben oder bis Spanien sich für die vierte Option entscheidet und in die Handelsbeziehungen eingreift. Beide Ergebnisse wären schmerzlich für Deutschland, da sie deutsche Ersparnisse nach Deutschland zurückdrängen würden, so dass Deutschland nur noch die Wahl haben wird zwischen einem Anstieg der Investitionen im eigenen Land oder einem Rückgang der Ersparnisse – der am leichtesten durch höhere Beschäftigungslosigkeit zu erzielen wäre – um ein neues Gleichgewicht herzustellen.

Es muss noch einmal unterstrichen werden, dass die vier Optionen, zwischen denen Spanien sich entscheiden muss, die unweigerlichen Konsequenzen sind aus deutschen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen. Solange die wirtschaftspolitischen Verzerrungen in Deutschland fortbestehen, sind dies die einzigen Optionen, zwischen denen Spanien wählen kann. Die spanische Politik mag sich des Mismanagements schuldig gemacht haben, doch, doch selbst die beste aller Regierungen wäre gezwungen zwischen diesen vier, größtenteils unliebsamen Reaktionsvarianten zu wählen.

Der entscheidende Punkt ist: gleichgültig, welche Reformen Premierminister Rajoy in den nächsten ein oder zwei Jahren durchführt, solange die von Deutschland zu verantwortenden Verzerrungen festhält, kann Spanien nur zwischen besagten vier Optionen wählen; und da die ersten beiden Optionen einen starken Anstieg der Verschuldung erfordern, eine Variante, die wahrscheinlich nicht mehr gangbar ist, verbleiben als realistische Möglichkeiten nur noch die letzten beiden Optionen: Spanien muss entweder eine hohe Arbeitslosigkeit über viele Jahre hinweg akzeptieren, oder es muss in die Handelsbeziehungen eingreifen, was am leichtesten zu bewerkstelligen ist, wenn es den Euro aufgibt und die neue Währung gegen den Euro abwertet.

Deshalb sind Lösungen für die europäischen Ungleichgewichte nicht in Ermahnungen zu finden, die Spanier mögen doch auch so tugendhaft, sparsam und fleißig werden wie die Deutschen.
 Tugendhaftes Verhalten hat nichts damit zu tun. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit ist es sinnlos, Spanier zu intensiverer Arbeit anzuhalten. Ebenso ist es für Spanien nicht möglich, den Schwierigkeiten zu entrinnen, indem die Bevölkerung davon überzeugt wird, weniger auszugeben.

Zweiseitige Anpassung

Im Gegenteil, ein Rückgang des Konsums in Spanien wird einfach nur dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit dort (und in Deutschland) noch weiter ansteigt. Die optimale Lösung macht eine Kombination von Maßnahmen erforderlich, die gleichzeitig ein schnelleres Wachstum des BIP im Vergleich zu den Einkommen der Haushalte in Spanien und höheres Wachstum der Haushaltseinkommen in Deutschland bewirken. Ohne einen Umschwung der deutschen Wirtschaftspolitik kann Spanien denkbar wenig unternehmen, um die Lage zu verbessern. Mit anderen Worten, es ist irrig zu erwarten, dass Spanien seine Schulden gegenüber Deutschland zurückzahlt, wenn nicht Deutschland ein Handelsdefizit und Spanien einen Handelsüberschuss erzielen. Dies ist eine Beschränkung, welche die Bilanzgleichung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung unerbittlich erzwingt; sie kann unmöglich verletzt werden (außer man zwingt dem Rest der Welt einen gewaltigen europäischen Leistungsbilanzüberschuss auf, womit das Problem ja nicht wirklich gelöst, sondern lediglich auf Nicht-Europäer abgewälzt wird).

Spanien und die peripheren Länder Europas befinden sich in Schwierigkeiten, gewiss auch aus Gründen, die sie selbst zu verantworten haben, aber ihre Analyse bleibt unvollständig, wenn man sich nicht auch klarmacht, dass sie auch deshalb in Problemen stecken wegen einer deutschen Wirtschaftspolitik, die darauf abzielte, ein schnelles Wachstum der Beschäftigung in Deutschland auf Kosten seiner europäischen Partner herbeizuführen.  Deren Probleme können nicht gelöst werden, wenn Deutschland nicht seine diesbezügliche Wirtschaftspolitik revidiert. Aus diesem Grunde müssen sich die Defizit-Länder zusammenschließen, um dafür zu sorgen, dass die Anpassungskosten in Europa gemeinschaftlich getragen werden.

Wenn der Anpassungszwang allein Spanien und die Länder der europäischen Peripherie betrifft, so kann dies nur zu wirtschaftlicher Stagnation und lange andauernder hoher Arbeitslosigkeit führen. Die Drohung, dass diese Länder gemeinsame Schritte unternehmen werden, um die Arbeitslosigkeit nach Deutschland zurückzudrängen, möglicherweise durch gemeinsame Aufgabe des Euros, ist das einzige Mittel, mit dem sich die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger in Deutschland davon überzeugen lassen, besser damit aufzuhören, die vermeintlich faulen Südländer zu kritisieren und stattdessen konkrete Schritte einleiten sollten, die Ungleichgewichte in der eigenen verzerrten Wirtschaft auszutarieren. 

Vor über 70 Jahren erklärte John Maynard Keynes, dass Ungleichgewichtslagen im internationalen Handel  durch verfehlte wirtschaftspolitische Entscheidungen sowohl in den Ländern mit einem Handelsüberschuss als auch in denen mit einem Handels-Defizit hervorgerufen werden. Nur die Defizit-Länder zur Anpassung zu nötigen, zeigte er auf, ist nachteilig für das weltweite Wirtschaftswachstum und eine schreckliche Geißel in den Defizit-Ländern. Es ist überdies ein Patentrezept, wie er warnte, für politische Instabilität und Extremismus. Diese Warnung sollte man nicht leichtfertig von sich weisen.

Deutschland und die anderen Überschuss-Länder müssen die wirtschaftspolitischen Maßnahmen aufgeben, die ihre Sparquoten auf ein künstlich erhöhtes Niveau haben ansteigen lassen. Nur auf diese Weise ist es möglich, dass die Beschäftigungszahlen in Spanien und anderen europäischen Defizit-Ländern automatisch steigen, ohne den Ausstieg aus dem Euro zu erzwingen. Die Überschuss-Länder, sind, anders ausgedrückt, ebenso verantwortlich für die missliche europäische Wirtschaftspolitik wie die Defizit-Länder. Sie sollten die Bürde der Anpassung teilen, indem sie den Verwerfungen in ihren eigenen Wirtschaften mit angemessenen Reformen begegnen. Falls Deutschland nicht zu dramatischer Anpassung bereit ist, wird Spanien keine Wahl haben, als den Euro aufzugeben und seine n Schuldendienst einzustellen.

Wie immer man die Krise bewältigt, die Frage ist nur wann die Anpassung schließlich auch für Deutschland sehr schmerzhaft wird. Deswegen ist es sinnvoll, dass Deutschland Maßnahmen ergreift, die helfen die Gesamtkosten der Anpassung zu minimieren, selbst wenn es, wie dies zu erwarten ist, kurzfristig langsameres Wachstum und höhere Schulden für Deutschland bedeutet.

Es mag überraschen, dass Deutschland – jenes vermeintliche Vorbild an Sparsamkeit und Fleiß – mindestens ebenso verletzlich wie Spanien ist im Angesicht der europäischen Krise. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass ein Land mit relativ geringer Verschuldung und einem hohen Handelsüberschuss sich während der ersten Jahre eines weltweiten Nachfrage-Rückgangs unverwundbar wähnt, nur um schließlich disproportional härter getroffen zu werden als die anderen Länder.  In den frühen 1930er Jahren befand sich Frankreich in just dieser Lage: Frankreichs Unberührtheit von der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1930 veranlasste einige Kommentatoren, Frankreich selbstgefällig dazu zu beglückwünschen, dass es der Depression würde entgehen können.

In dem, was Andre Tardieu kurz vor dem Sturz seiner Regierung im Dezember 1930 schrieb, hören wir den Widerhall zahlloser Analysten: 


Einer der Gründe, warum die Weltöffentlichkeit das französische Volk bewundert ist dessen Immunität gegen die weltwirtschaftliche Depression. Die harmonische Wirtschaftsstruktur Frankreichs und die von den maßgeblichen Stellen rechtzeitig ergriffen Maßnahmen haben dies Immunität begünstigt.

Die naturgegebene Umsicht des französischen Volks, seine Anpassungsfähigkeit, seine Modernität und seine Courage haben in gleichem Maße dazu beigetragen.6


Natürlich änderte sich die Lage sehr schnell, während die Welt weiter mit der Krise rang und Frankreich sich immer hartnäckiger hinter den Verzerrungen, die die eigene Geldpolitik erzeugte, zu verschanzen suchte. Innerhalb nur weniger Jahre war die französische Wirtschaft ein Scherbenhaufen und man sah sich gezwungen, den Franc, um dessen Stabilisierung das Land in den 1920er Jahren so hart gekämpft hatte, in einer chaotischen Abwertungsaktion von der Golddeckung zu lösen.

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