Friday, 2 December 2016

Wissen (1)



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Zivilisation und Wissen

Die Zivilisationsstufe, mit deren Wesen und Bedingungen wir uns in diesem Buch befassen, entspricht dem, was Adam Smith als die Große Gesellschaft (The Great Society) bezeichnet. Karl Popper spricht von der Offenen Gesellschaft. Wir meinen dasselbe wie Smith und Popper, wenn wir von einer freien Gesellschaft sprechen.

Die Große Gesellschaft setzt bestimmte Formen der Erzeugung, der Verbreitung und der Verwertung von Wissen voraus. Für die Erhaltung und das Gedeihen unserer Zivilisation ist es also nicht gleichgültig, welchem Verständnis von Wissen wir zuneigen. So setzen wir uns zunächst mit der klassischen Erkenntnistheorie auseinandersetzen, um aus ihr wichtige Elemente der Erkenntnislehre der Freiheit zu entwickeln.

Wir decken damit einen sehr großen Teil der Philosophie ab. Weswegen man dieses Kapitel auch als eine Einführung in die Philosophie lesen kann. Stellen wir also erst mal die Frage: Was ist Philosophie? Wozu Philosophie?

Wozu Philosophie?

Die Frage, was Wissen ist und was es von Nichtwissen unterscheidet, macht einen gewichtigen Teil der historischen und zeitgenössischen Philosophie aus. So wie diese erkenntnistheoretischen Fragen, beeinflussen viele Themen, mit denen sich traditionell die Philosophie am intensivsten befasst, das Handeln und Denken von Menschen, ob sie nun an dem interessiert sind, was Philosophen dazu geschrieben haben, oder nicht.

Mit anderen Worten: Wir alle sind in maßgeblicher Weise von philosophischen Überzeugungen geprägt. Vielfach handeln wir als würden wir bestimmten philosophischen Prinzipien folgen, auch wenn uns dies kaum bewusst ist. Es kann daher sehr wichtig sein, sich diese häufig eher vagen Überzeugungen klar zu machen, zu überprüfen und sie gegebenenfalls einer Überholung zu unterziehen. Schließlich können Inhalt und Färbung unserer philosophischen Grundsätze und Tendenzen unser Verhalten auch in schädlicher Weise beeinflussen. Auch unsere mehr oder weniger klaren Erwartungen hinsichtlich der Frage, was als Wissen anzusehen ist, und was dieses Wissen leisten kann, können einen profunden Effekt auf die Art von Gesellschaft haben, in der wir leben.

Freilich, betreibt man Philosophie als realitätsferne Haarspalterei kann sie dem Antiintellektualismus in die Hände spielen, der Verachtung für umsichtiges Denken und der Vorliebe für krude, markige Ideen von irriger Vordergründigkeit.

Der Philosoph Sir Karl Popper (1902-1994) verspürt diese Bedenken und verteidigt seinen Entschluss, sich als Philosoph zu betätigen, mit den folgenden Gedanken:

Wir alle haben unsere philosophischen Anschauungen, ob wir uns diesem Umstand bewusst sind oder nicht. Aber was taugen sie schon? Nicht viel. Doch die Auswirkungen unserer philosophischen Überzeugungen auf unser Tun und unser Leben sind oftmals verheerend. Deshalb ist es notwendig, den Versuch zu unternehmen, sie mit dem Mittel der Kritik zu verbessern. Dies ist die einzige Entschuldigung, die ich vorbringen kann, für die fortgesetzte Beschäftigung mit Philosophie.

(Popper, 1979, S.33, Übersetzung des Verfassers)

2. Wissen

Der Mensch ist dasjenige Tier, welches über das größte Wissen verfügt. Dieses Mehr an Wissen, das der Mensch anderen Tieren voraus hat, ist ein wichtiger Grund dafür, dass unsere Spezies anderen Gattungen in vielen Belangen deutlich überlegen ist. Aufgrund des Wissens, das dem Menschen zu Gebote steht, ist er in der Lage, sich mit einzigartigen Anpassungsleistungen in seine Umwelt dergestalt einzufügen, dass er seine Möglichkeiten stetig ausweiten und so seine Lebensbedingungen kontinuierlich verbessern kann. So schafft sich der Mensch Körperteile, die ihm nicht angeboren sind. Deswegen kann er auch ohne Kiemen tauchen wie ein Fisch, mit einem Körper ohne Flügel fliegen wie ein Vogel oder trotz kurzsichtiger Augen gestochen scharf sehen.

Zu den spektakulären Errungenschaft, die der Mensch seinem einzigartigen Anpassungsgeschick verdankt, zählt die Fähigkeit, sein abstraktes Denken gleichsam in die Realität vorauszuschicken, ehe er entscheidet, ob er sich ihr selbst aussetzen will. Anders ausgedrückt, der Mensch ist in der Lage, mit Hilfe einer Form von Wissen, so genannten Theorien, ungewisse Situationen durchzuspielen. Widrigenfalls geht nicht der Mensch zugrunde, sondern seine Theorie. Damit setzt er das Risiko, ganz Neues zu wagen, stark herab. Er kann mehr experimentieren und eine umso größere Ernte an vorteilhaften Neuerungen einfahren, als jedes andere Tier. Dazu später mehr.

Eine kurze Geschichte der Erkenntnistheorie

Kein Wunder, dass das menschliche Instrument des Wissens unsere Neugier schon sehr lange herausfordert. Seit tausenden von Jahren befassen sich Philosophen mit der Frage, was Wissen ist. Bei der Suche nach der Antwort auf diese Frage haben die Philosophen drei Bedingungen entdeckt, die erfüllt sein müssen, wenn von Wissen die Rede sein soll.

Wenn P eine Person ist (wie z.B. Lieselotte Weber aus Berlin, Charlottenburg) und A eine Aussage ist (wie z.B. Die Tür ist gelb.), dann muss, wenn von Wissen gesprochen werden darf, zunächst erfüllt sein:

(1) P ist davon überzeugt, dass A zutrifft
(2) A ist wahr
(3) P ist in der Lage, seine Überzeugung, dass A zutrifft, stichhaltig zu begründen

Diese drei Bedingungen umschreiben die herkömmliche philosophische Unterscheidung zwischen Wissen einerseits und Glauben oder Meinung andererseits: Wissen ist stichhaltig begründete wahre Überzeugung.

(2.1) Erkenntnistheorie und die Kontroverse um absolut sicheres Wissen

Es ist die dritte dieser Bedingungen, um die sich ein Großteil der Diskussionen und Entwicklungen im Bereich der Erkenntnistheorie schon seit den Tagen der vorsokratischen Philosophenschulen dreht: Welcher Art sind die Gründe, die einer Überzeugung den Rang des Wissens verleihen? Wie lassen sich Aussagen als unzweifelhaft wahr begründen? Was wird zu ihrem unumstößlichen Beweis benötigt? Welches sind die Voraussetzungen und Merkmale jener letzten Schlüssigkeit, die einer Überzeugung das Gütesigel gesicherten Wissens aufprägt? Was ist die Quelle der Wissensgewissheit?

Die alten Griechen bezeichneten absolut sicheres Wissen als episteme, im Unterschied zu doxa, bloßer Meinung. Daher auch der griechische Name der Erkenntnistheorie: Epistemologie.

Die philosophische Erkenntnislehre befasst sich in besonderem Maße mit drei grundsätzlichen Fragen:

Können wir überhaupt etwas mit Gewissheit wissen?
Wenn ja, was können wir mit Gewissheit wissen?
Wie können wir derartige Gewissheit erlangen?

Die Erkenntnistheoretiker teilen sich in zwei Lager: Jene, die an ein gesichertes Wissen glauben und sich daher darum bemühen, die Bedingungen gesicherten Wissens zu finden und zu erklären. Das andere Lager bilden jene, die die Möglichkeit gesicherten Wissens prinzipiell ausschließen. Die Kritiker der Lehren vom gesicherten Wissen bezeichnet man als Skeptiker. Die Skeptiker nannten die Anhänger des anderen Lagers Dogmatiker. Die Geschichte der Erkenntnistheorie ist in großen Teilen die Geschichte der Kontroverse zwischen Skeptikern und Dogmatikern.

1 comment:

  1. Danke für die Einführung in Philosophie und Wissen.
    Spannend geschrieben und sehr gut erklärt.
    Bringt Spaß beim Lesen und
    macht neugierig auf mehr.

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