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Zivilisation
und Wissen
Die Zivilisationsstufe, mit deren
Wesen und Bedingungen wir uns in diesem Buch befassen, entspricht dem, was Adam
Smith als die Große Gesellschaft (The Great Society) bezeichnet. Karl
Popper spricht von der Offenen
Gesellschaft. Wir meinen dasselbe wie Smith und Popper, wenn wir von einer freien Gesellschaft sprechen.
Die Große Gesellschaft setzt bestimmte Formen der Erzeugung, der
Verbreitung und der Verwertung von Wissen voraus. Für die Erhaltung und das
Gedeihen unserer Zivilisation ist es also nicht gleichgültig, welchem
Verständnis von Wissen wir zuneigen. So setzen wir uns zunächst mit der
klassischen Erkenntnistheorie auseinandersetzen, um aus ihr wichtige Elemente
der Erkenntnislehre der Freiheit zu entwickeln.
Wir decken damit einen sehr
großen Teil der Philosophie ab. Weswegen man dieses Kapitel auch als eine
Einführung in die Philosophie lesen kann. Stellen wir also erst mal die Frage:
Was ist Philosophie? Wozu Philosophie?
Wozu Philosophie?
Die Frage, was Wissen ist und was
es von Nichtwissen unterscheidet, macht einen gewichtigen Teil der historischen
und zeitgenössischen Philosophie aus. So wie diese erkenntnistheoretischen
Fragen, beeinflussen viele Themen, mit denen sich traditionell die Philosophie
am intensivsten befasst, das Handeln und Denken von Menschen, ob sie nun an dem
interessiert sind, was Philosophen dazu geschrieben haben, oder nicht.
Mit anderen Worten: Wir alle sind
in maßgeblicher Weise von philosophischen Überzeugungen geprägt. Vielfach
handeln wir als würden wir bestimmten philosophischen Prinzipien folgen, auch
wenn uns dies kaum bewusst ist. Es kann daher sehr wichtig sein, sich diese
häufig eher vagen Überzeugungen klar zu machen, zu überprüfen und sie
gegebenenfalls einer Überholung zu unterziehen. Schließlich können Inhalt und
Färbung unserer philosophischen Grundsätze und Tendenzen unser Verhalten auch
in schädlicher Weise beeinflussen. Auch unsere mehr oder weniger klaren
Erwartungen hinsichtlich der Frage, was als Wissen anzusehen ist, und was
dieses Wissen leisten kann, können einen profunden Effekt auf die Art von
Gesellschaft haben, in der wir leben.
Freilich, betreibt man
Philosophie als realitätsferne Haarspalterei kann sie dem Antiintellektualismus
in die Hände spielen, der Verachtung für umsichtiges Denken und der Vorliebe
für krude, markige Ideen von irriger Vordergründigkeit.
Der Philosoph Sir Karl Popper
(1902-1994) verspürt diese Bedenken und verteidigt seinen Entschluss, sich als
Philosoph zu betätigen, mit den folgenden Gedanken:
Wir alle haben
unsere philosophischen Anschauungen, ob wir uns diesem Umstand bewusst sind
oder nicht. Aber was taugen sie schon? Nicht viel. Doch die Auswirkungen
unserer philosophischen Überzeugungen auf unser Tun und unser Leben sind
oftmals verheerend. Deshalb ist es notwendig, den Versuch zu unternehmen, sie
mit dem Mittel der Kritik zu verbessern. Dies ist die einzige Entschuldigung,
die ich vorbringen kann, für die fortgesetzte Beschäftigung mit Philosophie.
(Popper, 1979,
S.33, Übersetzung des Verfassers)
2. Wissen
Der Mensch ist dasjenige Tier, welches
über das größte Wissen verfügt. Dieses Mehr an Wissen, das der Mensch anderen
Tieren voraus hat, ist ein wichtiger Grund dafür, dass unsere Spezies anderen
Gattungen in vielen Belangen deutlich überlegen ist. Aufgrund des Wissens, das
dem Menschen zu Gebote steht, ist er in der Lage, sich mit einzigartigen
Anpassungsleistungen in seine Umwelt dergestalt einzufügen, dass er seine
Möglichkeiten stetig ausweiten und so seine Lebensbedingungen kontinuierlich
verbessern kann. So schafft sich der Mensch Körperteile, die ihm nicht
angeboren sind. Deswegen kann er auch ohne Kiemen tauchen wie ein Fisch, mit einem Körper ohne Flügel
fliegen wie ein Vogel oder trotz kurzsichtiger Augen gestochen scharf sehen.
Zu den spektakulären
Errungenschaft, die der Mensch seinem einzigartigen Anpassungsgeschick
verdankt, zählt die Fähigkeit, sein abstraktes Denken gleichsam in die Realität
vorauszuschicken, ehe er entscheidet, ob er sich ihr selbst aussetzen will. Anders
ausgedrückt, der Mensch ist in der Lage, mit Hilfe einer Form von Wissen, so
genannten Theorien, ungewisse
Situationen durchzuspielen. Widrigenfalls geht nicht der Mensch zugrunde,
sondern seine Theorie. Damit setzt er das Risiko, ganz Neues zu wagen, stark
herab. Er kann mehr experimentieren und eine umso größere Ernte an vorteilhaften
Neuerungen einfahren, als jedes andere Tier. Dazu später mehr.
Eine kurze Geschichte der Erkenntnistheorie
Kein Wunder, dass das menschliche
Instrument des Wissens unsere Neugier schon sehr lange herausfordert. Seit
tausenden von Jahren befassen sich Philosophen mit der Frage, was Wissen ist.
Bei der Suche nach der Antwort auf diese Frage haben die Philosophen drei
Bedingungen entdeckt, die erfüllt sein müssen, wenn von Wissen die Rede sein soll.
Wenn P eine Person ist (wie z.B. Lieselotte Weber aus Berlin,
Charlottenburg) und A eine Aussage
ist (wie z.B. Die Tür ist gelb.),
dann muss, wenn von Wissen gesprochen
werden darf, zunächst erfüllt sein:
(1) P ist davon überzeugt, dass A zutrifft
(2) A ist wahr
(3) P ist in der Lage, seine
Überzeugung, dass A zutrifft, stichhaltig zu begründen
Diese drei Bedingungen
umschreiben die herkömmliche philosophische Unterscheidung zwischen Wissen
einerseits und Glauben oder Meinung andererseits: Wissen ist stichhaltig
begründete wahre Überzeugung.
(2.1) Erkenntnistheorie und die Kontroverse um absolut sicheres Wissen
Es ist die dritte dieser
Bedingungen, um die sich ein Großteil der Diskussionen und Entwicklungen im
Bereich der Erkenntnistheorie schon seit den Tagen der vorsokratischen
Philosophenschulen dreht: Welcher Art sind die Gründe, die einer Überzeugung
den Rang des Wissens verleihen? Wie lassen sich Aussagen als unzweifelhaft wahr
begründen? Was wird zu ihrem unumstößlichen Beweis benötigt? Welches sind die
Voraussetzungen und Merkmale jener letzten Schlüssigkeit, die einer Überzeugung
das Gütesigel gesicherten Wissens aufprägt? Was ist die Quelle der Wissensgewissheit?
Die alten Griechen bezeichneten absolut
sicheres Wissen als episteme, im Unterschied
zu doxa, bloßer Meinung. Daher auch
der griechische Name der Erkenntnistheorie: Epistemologie.
Die philosophische
Erkenntnislehre befasst sich in besonderem Maße mit drei grundsätzlichen Fragen:
Können wir
überhaupt etwas mit Gewissheit wissen?
Wenn ja, was können wir mit
Gewissheit wissen?
Wie können wir derartige
Gewissheit erlangen?
Die Erkenntnistheoretiker teilen
sich in zwei Lager: Jene, die an ein gesichertes Wissen glauben und sich daher
darum bemühen, die Bedingungen gesicherten Wissens zu finden und zu erklären.
Das andere Lager bilden jene, die die Möglichkeit gesicherten Wissens
prinzipiell ausschließen. Die Kritiker der Lehren vom gesicherten Wissen
bezeichnet man als Skeptiker. Die
Skeptiker nannten die Anhänger des anderen Lagers Dogmatiker. Die Geschichte der Erkenntnistheorie ist in großen
Teilen die Geschichte der Kontroverse zwischen Skeptikern und Dogmatikern.
Danke für die Einführung in Philosophie und Wissen.
ReplyDeleteSpannend geschrieben und sehr gut erklärt.
Bringt Spaß beim Lesen und
macht neugierig auf mehr.