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(2.1.4) Empirismus
Nehmen
wir an, jemand behauptet, dass sich hinter einer geschlossenen Tür eine Person
befindet. Der Skeptiker könnte denjenigen, der diese Behauptung aufstellt, zu
immer neuen Begründungen für seine Überzeugung, dass sich jemand hinter der Tür
befindet, auffordern.
So, ihr Bekannter erscheint jeden Tag um diese Zeit
hier bei Ihnen? Woher wissen Sie, dass er heute nicht verhindert ist? Er hat
gerade eben noch angerufen und sein Kommen bestätigt? Woher wollen Sie wissen,
dass er nicht in den verbliebenen Minuten am Kommen gehindert wurde?
Statt
sich einer endlosen Inquisition dieser Art zu unterziehen, kann der
empiristische Dogmatiker zur Tür gehen und sie öffnen. Erscheint sein Bekannter
hinter der Tür, herrscht Gewissheit über den behaupteten Sachverhalt. Es
besteht kein Bedarf mehr, ja es wäre unsinnig, für das, was man sieht, noch
eine Begründung zu verlangen.
Indem
man also seine Sinne einsetzt, kann man der Wahrheit bestimmter Aussagen
unmittelbar gewahr werden.
Solche
Beobachtungen - oder besser gesagt Sätze, die solche Beobachtungen ausdrücken -
repräsentieren die Axiome, mit denen man zunächst noch unbegründete, nicht
selbsterklärende Überzeugungen begründen kann. Diese Beobachtungssätze stoppen
den infiniten Regress und schaffen Wissensgewissheit.
Das
ist die Lösung, die der erkenntnistheoretische Empirismus anbietet, um die
Möglichkeit absolut sicheren Wissens zu verteidigen.
2.1.4.1 Francis Bacon
Durch
den Gebrauch unserer Sinne, durch Beobachtung und Erfahrung vergewissern wir
uns der Wahrheit. Diese Auffassung des Empirismus gerät freilich in Konflikt
mit dem häufig anzutreffenden Umstand, dass unsere Sinne, unsere Beobachtungen
und unsere Erfahrungen uns täuschen können. Die meisten Verzerrungen,
Auslassungen und illusorischen Ergänzungen unserer Beobachtungen hängen wohl
damit zusammen, dass wir wahrnehmen, was wir kennen oder erwarten. Häufig
werden wir uns dieser Voreingenommenheit erst bewusst, wenn unsere Erwartungen
(drastisch) enttäuscht werden.
Der
britische Staatsmann und Philosoph Francis Bacon (1561 – 1626) ist sich dieser
Problematik sehr wohl bewusst. In seinem berühmtesten Werk mit dem Titel Novum Organon versucht er, den
Empirismus gegen diese Schwierigkeiten zu immunisieren. Novum Organon bedeutet so viel wie neues Werkzeug oder neue
Methode. Und genau darin besteht Bacons Ambition: Durch Anwendung einer
(auch gegenüber der Darstellung der vermeintlich richtigen Erkenntnisweise in Aristoteles
Organon) neuen, eben der richtigen
Methode des Umgangs mit Sinneswahrnehmungen, glaubt Bacon, täuschende und
zutreffende Beobachtungen verlässlich unterschieden zu können.
Unsicherheiten
und Fehler in der Beobachtung schleichen sich ein, so Bacon, weil wir uns nicht
des korrekten Verfahrens für den Umgang mit unseren Erfahrungen bedienen. Wir
lassen Vorurteile zwischen uns und die reine Botschaft der durch die Sinne
vermittelten Erfahrung treten.
Irrtümer
sind Fehler, die dem Menschen anzulasten sind. Fehler kommen zustande, wenn wir
den falschen Umgang mit unseren Sinnen pflegen, die falsche Methode anwenden
und die Dinge mit den Farben unserer Vorurteile tränken.
Wie
also sieht der richtige Umgang mit unseren Sinnen aus? Laut der Baconschen
Methode ist es hierzu erforderlich, dass wir uns (a) von allen Vorurteilen
befreien, alle vorgefassten Anschauungen ablegen und gleichsam mit den
unschuldigen Augen von Kindern in die Welt blicken sowie (b) alle vorschnellen,
befangenen, dünkelhaften Spekulationen und Schlussfolgerungen aussieben oder
von vorneherein vermeiden.
Sofort
drängen sich vielfache Einwände gegen diese methodische Absichtserklärung auf:
Können wir überhaupt völlig vorurteilsfrei sein? Sind spekulative Hypothesen
nicht gerade unverzichtbar für den Wissensfortschritt? Wie dem auch sei, Bacon
kommt das Verdienst zu, sich wichtiger Verfahrensmerkmale der modernen
Wissenschaft zu nähern.
Sein
Anliegen ist es, eine Methode zu finden, die es gestattet, aus der Vielfalt von
Informationen jene herauszufiltern, die der Wahrheit entsprechen. Dabei gelangt
er zur Auffassung, dass der Nachweis von
Fehlern und Irrtümern in unseren Beobachtungen ein besonders wirkungsvolles
Mittel ist, das Unzutreffende zu eliminieren, bis die Wahrheit als Residuum
übrigbleibt. Deshalb empfiehlt Bacon, Beobachtungen
und Experimente mit der systematischen Absicht anzustellen, die Falschheit der
betrachteten Sachverhalte nachzuweisen. Indem er den heuristischen
(auffindungstechnischen) Wert von gezielten, auch praktischen, experimentellen Widerlegungsversuchen
hervorhebt, hat Bacon ein zentrales methodisches Merkmal der modernen Naturwissenschaften
entdeckt.
Wiewohl
Bacon die herausragende wissenschaftliche Bedeutung des Falsifizierens, des
Ausschlusses des Unwahren durch Widerlegung, erkennt, geht er nicht so weit,
darin die einzige Methode für die Annäherung an die Wahrheit zu sehen. Für ihn
ist das negative Verfahren der Falsifikation nicht der einzig gangbare Weg,
unser erfahrungswissenschaftliches Wissen ständig zu verbessern. Denn er
glaubt, dass sich alle überhaupt denkbaren Antworten auf ein wissenschaftliches
Problem erschöpfend benennen und aufgrund seiner Methode nach wahr und falsch
unterscheiden lassen, bis zu guter Letzt eben die Wahrheit übrigbleibt.
Für
Bacon gibt es einen festen Bestand an Wahrheit, der durch Aussieben zutage
gefördert wird, wie Goldstücke in der Pfanne des Goldwäschers. Der Vater der
experimentellen Methode ist so sehr von seinem Ansatz überzeugt, dass er es für
möglich hält, bei entsprechender Ausstattung mit Forschungsmitteln, alle
offenen Fragen der Wissenschaften noch zu seinen Lebzeiten zu lösen. Bacon
gelingt der Durchbruch zum modernen Wissenschaftsverständnis nicht. Er bleibt
Dogmatiker, indem er festhält am Glauben an eine letzte, vollendete, absolute
Wahrheit, deren Entdeckung und Nachweis erst echtes Wissen gewährleistet.
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