Monday, 5 December 2016

Wissen (4)



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(2.1.4) Empirismus

Nehmen wir an, jemand behauptet, dass sich hinter einer geschlossenen Tür eine Person befindet. Der Skeptiker könnte denjenigen, der diese Behauptung aufstellt, zu immer neuen Begründungen für seine Überzeugung, dass sich jemand hinter der Tür befindet, auffordern.

So, ihr Bekannter erscheint jeden Tag um diese Zeit hier bei Ihnen? Woher wissen Sie, dass er heute nicht verhindert ist? Er hat gerade eben noch angerufen und sein Kommen bestätigt? Woher wollen Sie wissen, dass er nicht in den verbliebenen Minuten am Kommen gehindert wurde?

Statt sich einer endlosen Inquisition dieser Art zu unterziehen, kann der empiristische Dogmatiker zur Tür gehen und sie öffnen. Erscheint sein Bekannter hinter der Tür, herrscht Gewissheit über den behaupteten Sachverhalt. Es besteht kein Bedarf mehr, ja es wäre unsinnig, für das, was man sieht, noch eine Begründung zu verlangen.

Indem man also seine Sinne einsetzt, kann man der Wahrheit bestimmter Aussagen unmittelbar gewahr werden.

Solche Beobachtungen - oder besser gesagt Sätze, die solche Beobachtungen ausdrücken - repräsentieren die Axiome, mit denen man zunächst noch unbegründete, nicht selbsterklärende Überzeugungen begründen kann. Diese Beobachtungssätze stoppen den infiniten Regress und schaffen Wissensgewissheit.

Das ist die Lösung, die der erkenntnistheoretische Empirismus anbietet, um die Möglichkeit absolut sicheren Wissens zu verteidigen.

2.1.4.1 Francis Bacon

Durch den Gebrauch unserer Sinne, durch Beobachtung und Erfahrung vergewissern wir uns der Wahrheit. Diese Auffassung des Empirismus gerät freilich in Konflikt mit dem häufig anzutreffenden Umstand, dass unsere Sinne, unsere Beobachtungen und unsere Erfahrungen uns täuschen können. Die meisten Verzerrungen, Auslassungen und illusorischen Ergänzungen unserer Beobachtungen hängen wohl damit zusammen, dass wir wahrnehmen, was wir kennen oder erwarten. Häufig werden wir uns dieser Voreingenommenheit erst bewusst, wenn unsere Erwartungen (drastisch) enttäuscht werden.

Der britische Staatsmann und Philosoph Francis Bacon (1561 – 1626) ist sich dieser Problematik sehr wohl bewusst. In seinem berühmtesten Werk mit dem Titel Novum Organon versucht er, den Empirismus gegen diese Schwierigkeiten zu immunisieren. Novum Organon bedeutet so viel wie neues Werkzeug oder neue Methode. Und genau darin besteht Bacons Ambition: Durch Anwendung einer (auch gegenüber der Darstellung der vermeintlich richtigen Erkenntnisweise in Aristoteles Organon) neuen, eben der richtigen Methode des Umgangs mit Sinneswahrnehmungen, glaubt Bacon, täuschende und zutreffende Beobachtungen verlässlich unterschieden zu können.

Unsicherheiten und Fehler in der Beobachtung schleichen sich ein, so Bacon, weil wir uns nicht des korrekten Verfahrens für den Umgang mit unseren Erfahrungen bedienen. Wir lassen Vorurteile zwischen uns und die reine Botschaft der durch die Sinne vermittelten Erfahrung treten.

Irrtümer sind Fehler, die dem Menschen anzulasten sind. Fehler kommen zustande, wenn wir den falschen Umgang mit unseren Sinnen pflegen, die falsche Methode anwenden und die Dinge mit den Farben unserer Vorurteile tränken.

Wie also sieht der richtige Umgang mit unseren Sinnen aus? Laut der Baconschen Methode ist es hierzu erforderlich, dass wir uns (a) von allen Vorurteilen befreien, alle vorgefassten Anschauungen ablegen und gleichsam mit den unschuldigen Augen von Kindern in die Welt blicken sowie (b) alle vorschnellen, befangenen, dünkelhaften Spekulationen und Schlussfolgerungen aussieben oder von vorneherein vermeiden.

Sofort drängen sich vielfache Einwände gegen diese methodische Absichtserklärung auf: Können wir überhaupt völlig vorurteilsfrei sein? Sind spekulative Hypothesen nicht gerade unverzichtbar für den Wissensfortschritt? Wie dem auch sei, Bacon kommt das Verdienst zu, sich wichtiger Verfahrensmerkmale der modernen Wissenschaft zu nähern.

Sein Anliegen ist es, eine Methode zu finden, die es gestattet, aus der Vielfalt von Informationen jene herauszufiltern, die der Wahrheit entsprechen. Dabei gelangt er zur Auffassung, dass der Nachweis von Fehlern und Irrtümern in unseren Beobachtungen ein besonders wirkungsvolles Mittel ist, das Unzutreffende zu eliminieren, bis die Wahrheit als Residuum übrigbleibt. Deshalb empfiehlt Bacon, Beobachtungen und Experimente mit der systematischen Absicht anzustellen, die Falschheit der betrachteten Sachverhalte nachzuweisen. Indem er den heuristischen (auffindungstechnischen) Wert von gezielten, auch praktischen, experimentellen Widerlegungsversuchen hervorhebt, hat Bacon ein zentrales methodisches Merkmal der modernen Naturwissenschaften entdeckt.

Wiewohl Bacon die herausragende wissenschaftliche Bedeutung des Falsifizierens, des Ausschlusses des Unwahren durch Widerlegung, erkennt, geht er nicht so weit, darin die einzige Methode für die Annäherung an die Wahrheit zu sehen. Für ihn ist das negative Verfahren der Falsifikation nicht der einzig gangbare Weg, unser erfahrungswissenschaftliches Wissen ständig zu verbessern. Denn er glaubt, dass sich alle überhaupt denkbaren Antworten auf ein wissenschaftliches Problem erschöpfend benennen und aufgrund seiner Methode nach wahr und falsch unterscheiden lassen, bis zu guter Letzt eben die Wahrheit übrigbleibt.

Für Bacon gibt es einen festen Bestand an Wahrheit, der durch Aussieben zutage gefördert wird, wie Goldstücke in der Pfanne des Goldwäschers. Der Vater der experimentellen Methode ist so sehr von seinem Ansatz überzeugt, dass er es für möglich hält, bei entsprechender Ausstattung mit Forschungsmitteln, alle offenen Fragen der Wissenschaften noch zu seinen Lebzeiten zu lösen. Bacon gelingt der Durchbruch zum modernen Wissenschaftsverständnis nicht. Er bleibt Dogmatiker, indem er festhält am Glauben an eine letzte, vollendete, absolute Wahrheit, deren Entdeckung und Nachweis erst echtes Wissen gewährleistet.

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