Friday, 5 May 2017

Collective Decisions versus Individual Decisions — A Problematic Dichotomy

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(See also the below English translation of my German comments)

Während ich mir den unten verlinkten Vortrag anhörte, sind mir folgende grundsätzliche Gedanken durch den Kopf gegangen.

Hülsmann's Kritik an der Theorie öffentlichen Güter empfinde ich als ein Strohmann-Argument, insofern als er grundlegendere Aspekte des kollektiven Handelns außer Acht lässt. 

Mit der Gültigkeit seiner im Vortrag vorgetragenen Kritik an der Theorie der öffentlichen Güter beschäftige ich mich in diesem Post nicht.

Mein Punkt: kollektives Handeln hat seine Berechtigung unabhängig von einer mehr oder weniger stimmigen Theorie öffentlicher Güter. 

Das erste Gebot der (persönlichen) Freiheit besteht darin, alle Individuen politisch zu emanzipieren, also ihnen Zugang zu den Prozessen zu gewähren, in denen kollektive Entscheidungen entstehen. Die Proto-Liberalen gehörten einst zur Linken, ja sie waren einmal die Linke, insofern als sie für die Allgemeinen Menschenrechte eintraten. Sie kämpften gegen Standesprivilegien aller Art, nicht zuletzt gegen solche, die das Recht auf politische Einflussnahme oder Partizipation in anderen Institutionen kollektiver Entscheidungsfindung nur bestimmten Menschen zugestanden.

Ihr Kampf für größere persönliche Autonomie war ein Kampf für die Demokratisierung der Politik; ein Kampf dafür, dass im Prinzip alle Erwachsenen — nicht nur der Herrscher und sein Klüngel — am Wettbewerb um kollektiv wirksame / das Kollektiv betreffende Entscheidungen teilnehmen dürfen.

Die Vorstellung, dass gute Entscheidungen ausschließlich solche seien, die von Individuen als Individuen getroffen werden, ist dem Proto-Liberalismus völlig fremd; ebenso wie der Ökonomismus, der davon ausgeht, dass alle Belange einer Gesellschaft durch Markttransaktionen geregelt werden können und sollten, um optimale Entscheidungen zu gewährleisten.

Dieser Ökonomismus liegt Hülsmann's Vortrag zugrunde liegt. Der Ökonomismus ignoriert eines der fundamentalsten Anliegen des Proto-Liberalismus und eines der wichtigsten Merkmale der Freiheit: das Recht des Individuums, politisch zu handeln.

Der Proto-Liberalismus macht nicht den Fehler, den spätere Spielarten des Liberalismus begehen, nämlich zu übersehen, dass auch dem wirtschaftlichen Handeln und seinen Bedingungen stets politische Entscheidungen zugrunde liegen.

Gerade in einer freien Gesellschaft sind es die politischen Entscheidungen der Menschen, die regeln, wie ein Markt verfasst ist, wer an ihm unter welchen Bedingungen teilnehmen darf. 

In Deutschland galt in den 1920er Jahren die Regelung, wonach Forderungen und Verbindlichkeiten aus Termingeschäften als Spielschulden anzusehen und daher nicht justiziabel waren. Das war eine kollektive Entscheidung, die die betreffenden Märkte effektiv abschaffte. Als Terminmärkte in Deutschland wieder eingeführt wurden, mussten unzählige politische Entscheidungen getroffen werden: wer darf an ihnen teilnehmen, in welcher Funktion, zu welchen Bedingungen? Diese und unzählige andere Entscheidungen sind politische Entscheidungen und nicht Ergebnisse von Markttransaktionen. Beteiligt an ihnen sind Individuen, die zum Teil als Individuen, zum Teil als Angehörige eines Kollektivs (z.B. einer Firma, eines Verbandes oder einer Behörde) auf diese Entscheidungen einwirken.

Ein Markt, wie z.B. der für Termingeschäfte, lässt sich schlechterdings nicht planen, aufbauen und unterhalten, indem (a) nur Individuen als Individuen (b) nur Markttransaktionen vollziehen. Der Ökonomismus ist eine Fiktion, eine abstrakte Vorstellung, die einen großen Teil des Raums weg denkt, in dem sich die Realität abspielt.

Zur Freiheit des Einzelnen, zu seiner Fähigkeit und seinem Wunsch, Entscheidungen zu treffen, die er als optimal unter den gegebenen Umständen erachtet, gehört zu aller erst die Möglichkeit, seinen Ansichten und Interessen politisch Ausdruck zu verleihen, sie politisch zu bewerben, zu organisieren und durchzusetzen. Dies steht nicht in grundsätzlich feindlichem Gegensatz zur Teilnahme am Marktgeschehen, es ist eine Voraussetzung dafür, dass Märkte entstehen und funktionieren.

Die kategorische Dichotomie, das moralische Entweder-Oder zwischen individuellen und kollektiven Entscheidungen, zwischen individuellem und kollektivem Handeln, die den libertären Standpunkt auszeichnet, ist weltfremd, nicht zu verwirklichen und zugleich völlig unvereinbar mit den Grundforderungen der Freiheit.

Es kann keine allgemeine Theorie öffentlicher Güter oder kollektiver Entscheidungen geben, die es uns gestattet, per algorithmischer Automatik zulässige von unzulässigen öffentlichen Gütern oder gute von schlechten kollektiven Entscheidungen zu unterscheiden. 

Die Pointe der Freiheit besteht doch gerade darin, einem jedem von uns zu ermöglichen, sich an der Bewältigung dieser Fragen als freies politisches Subjekt zu beteiligen und seine ganz persönlichen Beiträge dem Input beizusteuern, aus dem schließlich das Ergebnis hervorgeht.

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While listening to Hülsmann's below lecture, a number of thoughts went through my head, suggesting to me that the speaker is really after a strawman. 

My point: there are good reasons to engage in collective action regardless of whether there exists a more or less valid theory of public goods.

The first demand of (personal) freedom calls for the political emancipation of all individuals, ensuring access to the processes that give rise to collective decisions. The proto liberals used to be part of the Left, in fact, they were the Left in as much as they championed Universal Human Rights. They fought against privileges bestowed on the select few or people of a certain social standing (e.g. the aristocratic elite); and in paricular, they fought against privileges that restricted the right to political influence or the participation in other institutions of collective descision making to only certain people.

The proto liberals' fight for greater personal autonomy was a fight for the democratisation of politics: a fight to ensure that basically all adults — and not just the ruler and his circle —  would be able to participate in the competition for decisions that affect the collective.

The idea that good decisions are only those that have been taken by an individual qua individual is utterly alien to proto liberalism; as is the economistic attitude which assumes that all social and  societal concerns are best dealt with by market transactions, if optimal outcomes are to be achieved.

It is this economistic attitude that underlies Hülsmann's lecture. The economistic stance ignores one of the most fundamental objectives of proto liberalism and, thus, one of the most prominent hallmarks of liberty: the right of the individual to act politically.

Proto liberalism avoids the error committed by later versions of liberalism, that is: to overlook that economic action and its underlying framework are also always based on political decisions.

In a free society it is the political descisions of the people that regulate the structure of a market and answer questions like who is allowed to particpate in it and on what terms.

In Germany, in the 1920s, it was ruled that claims from forward transations were to be regarded as gambling debts, and, hence, were not legally enforcable. This was a collective decision which effectively abolished forward markets. When they were reintroduced in Germany, countless political decisions had to be taken: who is to be admitted to the market? In what capacity? On what terms? These and innumerable other decisions are political determinations—they are not the result of market transactions. Contributing to such resolutions are individuals taking an influence on the decisions partly qua individual, partly qua member of a collective (e.g. a corporation, an association or government agency).

It is quite simply impossible to design, implement, and maintain a market such as that on which forward transactions take place, if (a) only individuals qua individuals are to be part of it, and if (b) only market transactions are to be engaged in. The economistic attitude believes in a fiction, an abstract notion from which most of what characterises reality has been cleansed.

As for the individual's freedom, as for her ability and her desire to take decisions that she considers to be optimal under the prevailing circumstances, what is required first and foremost is the possibility to express her views and interests in the political sphere, to advertise, organise, and assert them in that field. This is not at all inimical to a person's participation in a market; rather it is a precondition for markets to emerge and function.

The categorical dichotomy, the moral either-or, between individual and collective decisions, which is so pronounced in the libertarian view, is utterly unrealistic, impossible to implement, and entirely incompatible with the basic demands of liberty. 

There cannot be a general theory of public goods or collective descisions that allows us to discern by an automatic algorithm admissible from inadmissible public goods, or good from bad collective decsions.

The whole point of liberty is to allow us to figure out these issues as free political agents, making our very individual contributions to the input that goes into the final outcome.

Hier der Vortrag von Herrn Hülsmann.

See also my posts Das Paradoxon der Freiheit und The Paradox of Freedom.

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