Monday, 1 August 2016

Eine andere Sicht der Wirtschaft (4) — Grenzen zeichnen das Gesicht der Freiheit



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Die Grenzen des Laissez Faire I — Gefangen in einem Dilemma


Dass vieles in einer Wirtschaft automatisch abläuft, berechtigt nicht zur Annahme, dass eine dem Menschen gemäße Wirtschaftsordnung zustande kommt, wenn man diese sich selbst überlässt.

Es gibt vieles das schief gehen kann, wenn man selbstgängige Abläufe gewähren lässt — z.B. lauern an allen Ecken und Enden Probleme vom Typ des Gefangenendilemmas.

Wenn zwei oder mehr Akteure jeweils das tun, was die rationale Verfolgung ihrer persönlichen Interessen gebietet, ist es in einer nicht kleinen Klasse von Fällen so, dass das Zusammenwirken der einzelnen Vorgehensweisen eine Situation erzeugt, die die Beteiligten — mitunter dramatisch — schlechterstellt, als wenn sie sich absprechen würden oder Regeln unterworfen wären, so dass ein kollektives Kalkül aus der Sackgasse herausführt, in die die individualistische Logik die Parteien lockt. Um in solchen Fällen Schaden abzuwenden, bedarf es also eines intelligenten und sozial koordinierten Eingreifens in die zwangsläufigen Abläufe der unkorrigierten Ordnung.

Nur eines von vielen Beispielen: Finanzkapital ist mobil heutzutage — binnen Sekunden fließt es weltweit von Ort zu Ort – immer auf der Suche nach den höchsten Zinssätzen. Um eine Wechselkurskrise zu vermeiden, die durch den plötzlichen Abfluss von Kapital aus der eigenen Währung ausgelöst würde, sind viele Staaten bemüht, ihre Zinsen ein wenig höher zu halten als andere Staaten. So treiben die Konkurrenten die Zinsen allenthalben auf ein hohes Niveau, was ihnen wiederum Platz raubt für zinspolitische Steuerungsmaßnahmen. Sie büßen nun auf diese Weise an staatlicher Souveränität ein. Ein vordergründiges Eigeninteresse führt zu negativen Konsequenzen, die sich nur vermeiden ließen, wenn die betroffenen Staaten sich auf konzertierte Regeln verständigen könnten, mit denen sich schädliche Nebeneffekte ungehinderter Kapitalmobilität eindämmen lassen.


Die Grenzen des Laissez Faire II — Die Freiheit einzugreifen


Der Kapitalismus beruht auf Formen der Freiheit, die es erlauben grundlegende Dinge, die uns alle betreffen, umzuwälzen. Nicht alles, was der in die schöpferische Freiheit entlassene Mensch an Neuerungen bewerkstelligt, mag zuträglich sein. Und wenn ja, dann stellt sich oft die berechtigte Frage, für wen diese Veränderungen zuträglich und für wen sie es nicht sind.  Freiheit bedeutet Heterogenität, Aufspaltung der Interessen in Vielheit und damit mehr Wettbewerb um gesellschaftliche Geltung, verglichen mit Zeiten, in denen eine Elite ihre Interessen über die aller anderen stellen und den Großteil der Bevölkerung zur Unterordnung nötigen konnte. Freiheit also vervielfältigt und veröffentlicht die Menge der Ansprüche, die nach Anerkennung durch die Gemeinschaft streben.

Diese Vorbetrachtung ist nötig, um klarzustellen, dass Vorstellungen von der Freiheit als einer sich selbst erzeugenden und sich selbst stabilisierenden Ordnung grundsätzlich unvereinbar sind mit den elementarsten Postulaten einer freien Gesellschaft: der Forderung nach Gestaltungsfreiheit, dem Anspruch auf abweichende Ideen und Ziele, dem Recht auf Widerspruch und Verwirklichung neuer Leistungen und Produkte, neuer Werte, Lebensbedingungen und Lebensweisen. Die Regeln der Freiheit, die allen die Grenzen ihrer Autonomie aufzeigen, sind nicht solcher Art, dass sie die Unbestimmtheit der durch freie Menschen gestalteten Zukunft verhindern. Die Ergebnisse der Freiheit können nicht vorherbestimmt werden. Die Regeln, auf denen sie fußt, zumindest die grundsätzlichen und besonders wichtigen, mögen eindeutig benennbar und stabil sein, niemals aber die Resultate der durch sie geschützten freiheitlichen Prozesse.

Deshalb kann weder die Freiheit noch das wirtschaftliche Geschehen, das sich in einer freien Gesellschaft abspielt, ausschließlich oder vornehmlich den Charakter eines natürlichen, sich selbst überlassenen Ablaufs haben. Menschliches Zutun ist immer im Spiel, und es ist unverzichtbar, wenn die Bedingungen and Folgen des Wirtschaftens nicht blind wuchern, sondern dem besseren Ratschluss menschlicher Einsicht und berechtigten menschlichen Interessen gehorchen sollen.

Eine freie Wirtschaft ist demnach in dem Maße frei als sie eben nicht Naturprozess, sondern Politikum ist: Resultat eines offenen Prozesses der Geltendmachung und des Ausgleichs vielgestaltiger Interessen.

Im Übrigen krankt die Parole vom „laissez faire“ an einem fundamentalen logischen Widerspruch: wenn wir nämlich „alles sich selbst überlassen“, beginnen die sich selbst überlassenen Menschen, die Dinge in die Hand zu nehmen und so zu organisieren, wie sie sich das vorstellen — kurz gesagt: es gibt keine Möglichkeit nicht einzugreifen, ohne dass dies zu Eingriffen führt. Den Vertretern bleibt dann nur noch der Rückzug auf den Standpunkt, dass sie bestimmen sollten, welche minimalen Eingriffe erforderlich sind, damit das System im Großen und Ganzen ohne Eingriffe auskomme. Nur ist das keine Position, die sich mit der Freiheit vereinbaren lässt, wie oben erklärt. Es ist also besser das Eingreifen zu organisieren als das Nichteingreifen, und mit Freiheit meinen wir nichts anderes als ein zweckmäßig-rücksichtsvoll organisiertes Eingreifen, welches viel Platz dafür lässt, dass Individuen nach ihren eigenen Vorstellungen in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen können.


Die Grenzen des Laissez Faire III: ökonomischer Naturalismus und politische Verantwortung


Thomas Palley spricht vom ökonomischen Naturalismus („economic naturalism“), wenn er die Eigenart der modernen Ökonomie meint, naturgesetzliche Automatismen im Wirken der Wirtschaft zu unterstellen: den natürlichen Zinssatz, die natürliche Arbeitslosenquote, die natürliche Wachstumsrate. Der ökonomische Naturalismus suggeriert ein von Natur aus gegebenes Optimum, das sich über kurz oder lang einspielt, sofern der Mensch diesen Prozess nicht durchkreuzt. Damit verleitet der ökonomische Naturalismus zu einem gewissen Fatalismus. Etwa dergestalt, dass er annimmt die Wirtschaft bedürfe eines gewissen natürlichen Maßes an Arbeitslosigkeit, um ins Gleichgewicht zu kommen, und wenn dieser „gesunde und natürliche“ Grad an Beschäftigungslosigkeit sich eingependelt habe, bliebe nichts mehr zu tun, was die Lage verbessern könne.

Als funktionierendes Verfahren profitierte der KEY (Keynesianismus) von 1945-1975 von historischen Umständen, die dem Erfolg des Nachfrage-Managements sehr entgegenkamen: starke, gesellschaftlich anerkannte Gewerkschaften; wirkungsvolle Kontrollen des internationalen Finanzkapitalmobilität;  eine stark eingeschränkte Fähigkeit, Arbeitsstätten zu verlagern; und ein binnenwirtschaftlicher Nachfrage-Boom. Diese lange bestehenden fast idealen Bedingungen konnten einen dazu verleiten, das Nachfrage-Management für einen „Selbstläufer“ zu halten, einen natürlichen Vorgang, der ohne wandelbare politische Voraussetzungen auskam und einfach per se funktionierte. So verlor der KEY die Notwendigkeit, um seine Verwirklichung politisch zu kämpfen, aus den Augen, mit dem Resultat, dass sowohl die Gründe seines Niedergangs als auch das neue wirtschaftliche Paradigma den Anschein haben, dem natürlichen Wandel der Dinge geschuldet und unvermeidbar zu sein.

Dieser Mythos wird kräftig gefördert durch die Hauptströmungen der Ökonomie, die dem KEY vorausgegangen waren, aber auch die, welche seit Ende der 1970er die Nachfolge des KEY angetreten haben — sie sind vollends apolitisch und ohne jeden Sinn dafür, dass es die Rivalitäten, die Kämpfe, die Verhandlungen und die Kompromisse politisch handelnder Menschen sind, die der Wirtschaft ihren Charakter aufprägen.

Soll die Erosion des Wohlstands breiter Bevölkerungsschichten aufgehalten und allmählich wieder umgekehrt werden, gilt es den fatalistischen Glauben an eine natürliche Ordnung der Dinge im Wirtschaftsleben wieder zu ersetzen durch ein Bewusstsein für die politische Verantwortung, die wir alle tragen, wenn es gelingen soll, Institutionen und soziale Kompromisse zu schaffen, die unerlässlich sind für ein breites, alle sozialen Schichten erfassendes Wohlstandswachstum.

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