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Fortgesetzt von hier.
Es steht außer Frage, dass Wirtschaftswachstum
angewiesen ist auf die Bereitstellung von Krediten für die Realwirtschaft. Jedoch
ist es so, dass das Gros an Krediten nur gegen Sicherheiten ausgereicht wird.
Diese Art der Kreditvergabe beruht also auf dem Besitz von Vermögenswerten
seitens der Kreditnehmer. Wie schon Schumpeter unterstrich ist Kredit somit
kein „Produktionsfaktor“, sondern eine Vorbedingung, die erfüllt sein will,
bevor Produktion überhaupt stattfinden kann.
Man mag sich fragen, warum besicherte Kredite
gewissermaßen einen Fremdkörper darstellen sollen, der den Notwendigkeiten der
Realwirtschaft irgendwie äußerlich sei.
Wenn ich Bezemer und Hudson richtig verstehe,
wollen sie folgendes sagen: Das Angewiesen-Sein des Produzenten auf den Kreditgeber
führt eine Verhaltensoption ein, die zu Missbrauch Anlass geben kann. Der
Kreditgeber kann den „Eintrittspreis“ für die Durchführung eines angestrebten
Produktionsvorhabens unnötig überhöhen. Doch wann ist die Schwelle
überschritten, die den Vorwurf des „Wuchers“, der „Ausbeutung“, der
„Überteuerung“, der „ungerechten Bereicherung“ rechtfertigt?
Kredit — eine Art der Vorleistung — ist immer im
Spiel, wenn Geschäfte stattfinden, bei denen Erzeugung und Verbrauch zeitlich
auseinander liegen. Kredit ist schon im Neolithikum involviert, als die
Landwirtschaft aufkommt, namentlich in der Phase zwischen Saat und Ernte, und
später sind die ausgeprägte Arbeitsteilung und der zeitaufwendige Fernhandel
angewiesen auf Formen der Kreditgewährung.
Doch, wie gesagt, die Kreditvergabe birgt das
Risiko in sich, die Wirtschaft über Gebühr zu belasten, denn sie gibt dem
Gläubiger Gelegenheit, „Kassenhäuschen“ am Rand des zur Produktion führenden
Wegs aufzustellen, in denen der Rentier sitzt, um seine Zugangsgebühren abzukassieren.
Bezemers and Hudsons Analyse ist umso
interessanter, als sie ein Schlaglicht wirft auf die Grauzone, in der die
Notwendigkeit der Kreditfinanzierung verschwimmt mit dem Übel fehlgeleiteter
Kreditzwecke, überteuerter Kredite und wirtschaftlicher Zwänge, die
Kreditnehmer zu Überschuldung verleiten oder sogar zwingen. Es dürfte nicht
immer leicht sein, Formen unzweifelhaften Missbrauchs auszumachen, geschweige
denn mit Hilfe einfach anwendbarere Verallgemeinerungen. Umso wichtiger ist es,
genau hinzusehen und die Gefahren zu thematisieren und nach ihnen zu suchen.
So stellen die Autoren fest, dass die uns heute
geläufige Ökonomie den Finanz- und Vermögens-Sektor unbeleuchtet lässt. Seit
gut zwei Jahrhunderten, d.h. nachdem David Ricardo seine Principles of Political Economy and Taxation im Jahre 1817
veröffentlicht hatte, wurde es zur Gewohnheit, Geld als einen bloßen „Schleier“
anzusehen, der die wirtschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse zwar verdeckt,
nicht aber selbst grundlegend beeinflusst. Dementsprechend beschränkt sich bis
heute die Ökonomie auf die Analyse der Produktion, des Verbrauchs und der
Einkommen ohne wichtige Institutionen und Folgen des Geldes in Betracht zu
ziehen.
Diese Ricardianische Tradition hat es sich auch
zur Angewohnheit gemacht, das Recht des Landbesitzers, Renten-Einkommen zu
beanspruchen, gemeinsam mit der Arbeit und Kapitalbestandteilen der
industrieller Produktion in den Rang eines Produktionsfaktors zu erheben. Die Einspeisung von Bank-Krediten in
die Volkswirtschaft wird behandelt, als übte sie keinen Einfluss auf die relativen Preise, die Einkommen und ihre Verteilung aus.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, meinen die Autoren, dass Ricardo sich in diesem Sinne äußerte, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt als kurz nach Beendigung der Napoleonischen Kriege im Jahre 1815 Großbritannien wegen seiner Kriegsschulden mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Adam Smith und andere Ökonomen der Vorläufer-Generation hatten noch darauf hingewiesen, dass die Regierung jede neue Kriegsanleihe damit finanzierte, dass sie Verbrauchssteuern erhob, um die entsprechenden Zinsforderungen abzudecken.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, meinen die Autoren, dass Ricardo sich in diesem Sinne äußerte, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt als kurz nach Beendigung der Napoleonischen Kriege im Jahre 1815 Großbritannien wegen seiner Kriegsschulden mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Adam Smith und andere Ökonomen der Vorläufer-Generation hatten noch darauf hingewiesen, dass die Regierung jede neue Kriegsanleihe damit finanzierte, dass sie Verbrauchssteuern erhob, um die entsprechenden Zinsforderungen abzudecken.
Diese Steuern ließen die Lebenshaltungskosten
steigen, machten die Geschäftstätigkeit teurer und leiteten Kaufkraft aus der
Wirtschaft an die Inhaber der Anleihen ab. Des ungeachtet gelang es dem parlamentarischen
Wortführer und Lobbyisten David Ricardo, eine neue Orthodoxie zu etablieren,
derzufolge Geld, Kredit und Verbindlichkeiten keine Bedeutung besitzen für die
Produktion, ökonomische Werte und Preise. Gemäß seiner Handelstheorie spielten
ausschließlich reale Arbeitskosten eine Rolle bei der Bestimmung
internationaler Preisrelationen — Geld, Kredit, der Schuldendienst blieben
außen vor. Die Bedienung von Bankkrediten und die Verteilung von Finanzaktiven
und Verbindlichkeiten unter den Wirtschaftsteilnehmern werden nicht als Einflussgrö0en
angesehen, die sich auf die Verteilung des Einkommens und der Vermögen
auswirken.
Adam Smith beklagte noch die Monopolrenten
(Einkommen aus monopolistischen Vorteilen), besonders die Handelsprivilegien,
welche die britische und andere Regierungen sich ausdachten, um sie an
Anleiheinhaber zu vergeben, damit sie ihre Kriegsschulden abbauen konnten. Ricardo
behandelte Zinsen als einen Kostenpunkt, der mit der normalen
Geschäftstätigkeit anfiel. Daher rechnete er die Bedienung von Verbindlichkeiten
dem Produktionssektor zu — sie war für ihn keine zusätzliche Abgabe, die dem
Produzenten vom Rentier unabhängig von jeder wirtschaftlichen Notwendigkeit abgepresst
wurde. Aus diesem Grunde bezog er weder Banken noch Monopole in die Erörterung
ökonomischer Renten ein — deren Einkommen beruhten in seinen Augen auf
Zahlungen für produktive Dienste, die somit ein unverzichtbarer Teil der Produktionskosten
waren.
Die gleiche Annahme liegt noch heute der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zugrunde. Jedermanns Einkommen
(Kapitalgewinne nicht eingerechnet) entspricht einem „Produkt“, zum Beispiel
einer Dienstleistung des Finanzsektors. Doch sind die Einnahmen des
FIRE-Sektors wirklich Teil der Produktionssphäre der Realwirtschaft — also
echtes Einkommen ֫— oder sind sie nicht vielmehr Gebühren, die auf diese Sphäre
erhoben werden — also Renten? Damit sind wir bei der Unterscheidung angelangt,
die Frederick Soddy zwischen „wirklichem Vermögen“ und „virtuellem Vermögen“,
das unter den Verbindlichkeiten der Bilanz einer Nation zu verbuchen ist,
getroffen hat. Bei Zinseinnahmen und anderen Einnahmen aus
Finanzdienstleistungen – handelt es sich dabei nun um Einkommen oder um Rente?
Um diese Frage zu beantworten, muss man die
Wirtschaft unterteilen in einen “produktiven” Bereich, der Einkommen und
Mehrwert erzeugt, und einen “extraktiven” Rentiers-Bereich, der den
geschaffenen Mehrwert durch Zahlungen im Zusammenhang mit Eigentumsrechten
(Eigentumsüberlassung), Krediten (Geldüberlassung) und verwandten Privilegien
abschöpft.
Ich muss sagen: an diesem Punkt scheinen mir die
Autoren uns noch immer eine klare Unterscheidung schuldig zu bleiben zwischen
der produktiven, notwendigen und unverzichtbaren Komponente eines Entgelts für
Kreditbereitstellung und einer nicht zu rechtfertigenden extraktiven
Komponente. Anders betrachtet, es scheint mir noch eine Begründung auszustehen,
warum ein Entgelt für Kreditbereitstellung grundsätzlich und ausschließlich
extraktiven Charakters sein soll.
Bezemer und Hudson berufen sich an dieser Stelle
auf die institutionalistische Schule, die Ende des 19. Jahrhunderts unter
anderem mit der Forderung in Erscheinung trat, die von Versorgungsunternehmen
und öffentlichen Monopolen erhobenen Preise und deren Einnahmen zu regeln, so
dass diese übereinstimmen mit den rein „wirtschaftlichen“ Produktionskosten,
welche die klassische Ökonomik als „Wert“ definiert hatte.
Das erklärte Ziel von Bezemer und Hudson ist es,
die in der zeitgenössischen ökonomischen Analyse verloren gegangene Unterscheidung
zwischen „Wert“ und „Rente“ wieder aufleben zu lassen.
Erst dann sei es möglich zu verstehen, wie die
Schein-Prosperität der Blasenwirtschaft in Wahrheit durch kräftig sprudelnde
Kreditflüsse und das Auftürmen von Schulden genährt wurde. Der vermeintliche
Wohlstand sei angewiesen gewesen auf die inflationäre Aufblähung von Märkten in
bestimmten Vermögenswerten, wobei die Eigentumsrechte an ihnen jenen übertragen
wurden, die bereit waren, sich am stärksten zu verschulden.
Wider betonen die Autoren, dass wir in zwei
Wirtschaften leben: in der Realwirtschaft werden Waren erzeugt und
Dienstleistungen erbracht und die entsprechenden Transaktionen vollzogen,
Kapital gebildet, Arbeitskräfte beschäftigt und die Produktivität verbessert.
Produktives Einkommen besteht größtenteils aus Arbeits-Einkommen
und Gewinnen. Die zweite Wirtschaft bildet das Rentiers-Netzwerk aus
Finanzforderungen und Eigentumsansprüchen. Dort werden Zinsen und ökonomische
Renten abgesaugt. Leider werde dieser Unterschied durch die offiziellen
Statistiken kaschiert. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden etwa
Einnahmen aus Mieten („rental income“) mit Einkommen vermengt, als ob alle
Gewinne verdient worden seien. Es fehlt eine Kategorie, in die sich
unverdientes und extrahiertes einstellen ließe. Die Einnahmen-Kategorie “Rente”
— der Focus von zwei Jahrhunderten klassischer politischer Ökonomie — sei in einem Orwellschen Schlund des Vergessens
verschwunden.
Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist seit
den 1980er Jahren neu konzipiert worden, so dass der Finanzsektor und die
Immobilienbranche als „produktiv“ erscheinen. In ihr werden denn auch die
tatsächlich verfügbaren Einkommen der Haushalte drastisch überzeichnet. Die
quasi-„bilanziellen“ Erfassungsformate, die den meisten ökonomischen Analysen
zugrunde liegen, sind Ausdruck einer Schuldner-orientierten, pro-Rentiers
Ideologie. Haushalte erzielen keine Einnahmen aus den Häusern, die sie selbst
bewohnen. Der Wert der “Dienste”, die ihnen ihre Häuser leisten, steigt nicht
schon deshalb, weil auch das Niveau der Hauspreise steigt, wie es die
volkswirtschaftliche Gesamtrechnung fingiert.
Der Finanzsektor produziert keine Güter oder
„Real-„Vermögen. Insofern, als er Dienstleistungen erbringt, sind diese
großenteils darauf gerichtet, Einnahmen an Rentiers umzuleiten, nicht aber
Arbeitseinkommen zu ermöglichen und Gewinne aus produktiver Tätigkeit zu
erzeugen.
Es wird die fiktive Annahme getroffen, dass
sämtliche Verbindlichkeiten dazu benötigt werden, Investitionen in die
Produktionsmittel der Wirtschaft zu tätigen. Aber Banken sind dazu in der Lage,
Geld zu schöpfen, um Schulden ins Leben zu rufen, die nicht verwendet werden,
um produktive Investitionen vorzunehmen, sondern um sich an den bestehenden
Produktionsmitteln und den von ihrem Einsatz erwarteten zukünftigen
Einnahmeströmen zu beteiligen. Anders gesagt: Banken produzieren keine Güter,
sie schaffen kein realwirtschaftlich unterlegtes Vermögen und sie erbringen
keine produktiven Dienstleistungen; vielmehr erzeugen sie Ansprüche auf
derartiges bereits geschaffenes Vermögen und derartige schon existierende Güter
und Dienstleistungen — Soddys „virtuelles Vermögen“. Indem sie dies tun, tragen
sie dazu bei, dass der Preis solcher Forderungen und Privilegien in die Höhe
getrieben wird, denn der Preis solcher Vermögenswerte steigt solange wie Banken
bereit sind, sie als Sicherheiten für ihre Kreditgewährung zu akzeptieren.
Im folgenden Absatz gebe ich einen Passus aus der
Abhandlung von Benzemer und Hudson so gut ich kann wieder, der mir, wie
vielleicht auch dem Leser, nicht ganz erhellt. Besonders der nächste Satz
bereit mir Verständnisschwierigkeiten:
In dem Maße wie der FIRE-Sektor für den Anstieg
des BIP verantwortlich ist, muss dieser aus anderen Komponenten des BIP
bestritten werden. Der Handel in Vermögenswerten des Finanzsektors und der
Immobilienwirtschaft stellt ein Null-Summen-Spiel (oder sogar ein
Negativ-Summen-Spiel) dar. Er basiert hauptsächlich nicht auf realer
Produktion, sondern auf Spekulation und dem Aufsaugen von Einnahmen, die
entweder schuldenfinanziert sind, oder aus der produktiven Wirtschaft stammen.
Langfristig muss dies zu einer Zunahme der Schuldenquote (Schulden ins
Verhältnis zum BIP gesetzt) und schließlich zu einer Erlahmung des
BIP-Wachstums führen, wenn nämlich die geplatzte Finanzblase schließlich eine
Spur aus Schuldendeflation, Austeritätsmaßnahmen, Arbeitslosigkeit,
Insolvenzen, Pfändungen und Zwangsversteigerungen zurücklässt. Auf diese Weise
lässt sich der moderne Finanzsektor im Sinne der klassischen Theorie der Renten
und ihrer Unterscheidung zwischen Realvermögensbildung und schieren
Aufschlagskosten („overhead“) einordnen.
„Geld“ entstammt in erster Linie der
Kreditschöpfung, denn „Kredite schaffen Einlagen“. Daher spiegelt sich der
Anstieg der Summe aller in das BIP eingehenden Transaktionen, die final
bereitgestellte Waren und Dienstleistungen betreffen, im Volumen der sie
ermöglichenden Bankkredite. Doch seit den 1980er Jahren ist die
Kreditausreichung durch Banken stärker als das BIP gestiegen. Ein Großteil der
seit diesem Zeitpunkt vergebenen Kredite ist nicht der Produktion zugute
gekommen, sondern hat die Preisinflation von Vermögenswerten kräftig angeheizt
und für steigende Lebenshaltungskosten gesorgt. Um ihren Lebensstandard zu
halten, mussten die Verbraucher sich stärker verschulden. Besonders Immobilienbesitzer und Inhaber von Aktien und Anleihen machten von der Möglichkeit Gebrauch, Kredit
mit diesen Vermögenswerten zu besichern. Indes die Realeinkommen sich leicht
rückgängig entwickelten, sind die Lebenshaltungskosten (nach
Steuern) gestiegen: Sozial- und Krankenversicherung sind stark gestiegen, so auch die
Kosten für eine höherer Bildung; die Immobilienblase — von Alan Greenspan als
vermögensbildend gepriesen — hat den Preis des Erwerbs von Wohnungen und Häusern
nach oben getrieben. Inzwischen wird weithin anerkannt, dass der Lebensstandard
in den USA seit den 1970er Jahren vornehmlich durch Schulden statt durch
Einkommen finanziert worden ist. Nicht zuletzt, weil die gängige ökonomische
Lehre den Unterschied zwischen produktiver und unproduktiver Kreditfinanzierung
nicht kennt, blieb dies lange unbemerkt, bis schließlich das Platzen der Blase
die Wahrheit an den Tag brachte.
Quelle.
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