Thursday, 4 August 2016

Eine andere Sicht der Wirtschaft (6) — Schöpferische Zerstörung: einverstanden, aber Holzauge sei wachsam!



 
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Es ist ein Irrtum, sich die Wirtschaft als ein Geschehen vorzustellen, das frei ist von politischen Einflüssen. Wirtschaft kann nur stattfinden, indem wir Politik betreiben. Der Ursprung des wirtschaftlichen Handelns, seine Anfangsbedingungen werden durch politische Entscheidungen bestimmt. Ihre Abläufe sind durchzogen von Einwirkungen, die aus der politischen Sphäre stammen. Und das wirtschaftliche Agieren zeitigt Resultate, die uns zu politischen Reaktionen herausfordern. Wer unterstellt, dass es ich bei der Wirtschaft um einen freistehenden Mechanismus handele, eine Grundannahme der vorherrschenden volkswirtschaftlichen Modelle, sitzt einem Mythos auf.

An anderer Stelle habe ich Politik definiert als diejenigen Bemühungen der Menschen, auf einander Einfluss auszuüben, die das Ziel haben festzulegen, was in einer Gemeinschaft Gültigkeit beanspruchen darf – ideell und im praktischen Tun. Darf ich auf meinem Grundstück tun und lassen, was mir in den Sinn kommt, oder gibt es Rücksichtnahmen, zu denen ich von der Gemeinschaft angehalten werde, Wer bestimmt die Grenzen meiner Freiheit? Worin bestehen sie? Das Wirtschaften im Kleinen, das Geschäftsgebaren eines Einzelnen ist in diesem Sinne politisch bestimmt, nicht weniger als die vielfachen Rahmenbedingungen, die sich auf ein großes Unternehmen oder eine Volkswirtschaft auswirken.

Der zutiefst politische Charakter des Wirtschaftens und der dabei entstehenden sozialen Gebilde (Firmen, Märkte, Gesetze, Regeln etc.) folgt schon daraus, dass wir recht unterschiedliche Ideen bei dem Versuch entwickeln, zu verstehen, was vor sich geht: was Wirtschaft ist, wie sie funktioniert, was sie leistet, was in ihr zulässig ist, und was nicht.

Solange der Intelligenz der Menschen keine künstlichen Grenzen auferlegt werden und die natürliche Vielfalt der Lebenslagen und persönlichen Standpunkte zur freien Entfaltung kommen darf, wird wirtschaftliche Aktivität Gegenstand politischer Rivalität sein.

Und nicht nur im Sinne geläufiger ideologischer und parteipolitischer Unterschiede — wiewohl diese wichtige Bestimmungsgrößen der wirtschaftlichen Entwicklung sind. Ob zweifelhaft oder nicht, sie geben Halt und Orientierung für Millionen, die sich überfordert fühlen, die komplizierten Zusammenhänge einer Volkswirtschaft ohne sachkundige Hilfe vertrauenswürdiger Quellen einzuordnen.

Der in mancherlei Weise folgenschwerste Ausdruck politischen Strebens um Geltung und Dominanz in einer Gesellschaft schlägt sich in den vorherrschenden ökonomischen Idealen und den daraus abgeleiteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen nieder.

Thomas Palley argumentiert, dass wir vom Weg abgekommen sind, der Wohlstand für alle bedeutete, weil sich ein Paket an ökonomischen Idealen durchsetzen konnte, das die Bedürfnisse des Kapitals einseitig bevorzugt. Es stellt die Wirtschaft als einen natürlichen Prozess dar, in dem kein Platz ist für soziale Gegensätze und die Notwendigkeit, den Konflikt widerstreitender Interessen auszutragen. 

Diese Ideologie des ökonomischen Naturalismus (siehemehr dazu hier) übersieht: Der Prozess des Streitens und Versöhnens ist Teil der wirtschaftlichen Realität. Es gibt keine Harmonie, die zu erzielen wäre, indem man die Mechanismen der Wirtschaft sich selbst überlässt. Immer wieder werden sich die Interessen der unterschiedlichen Parteien gegeneinander verschieben, immer wieder wird man versuchen müssen, sie in die Nähe eines Einklangs zu rücken. Es trifft nicht zu, dass die Selbstorganisation der wirtschaftlichen Ordnung auf ein Optimum hintendiert, das entweder für alle das Beste erreicht (die Suggestiv-Botschaft der Pareto-Optimalität) oder immerhin nicht verbessert werden könne, auch wenn das Ergebnis vielleicht in dieser oder jener Hinsicht etwas zu wünschen übrig lässt.

Als Freiheitsforscher will ich ganz besonders betonen, dass die Freiheit und ihr Wirtschaftssystem des Kapitalismus eine ausgeprägte agonale, sich im Kampf erfüllende  Dimension kennzeichnet. Das große Verdienst der Freiheit ist es, die Gewaltsamkeit und Zerstörungskraft der menschlichen Zwiste zu begrenzen, doch nicht, um natürliche Rivalität zu unterdrücken. Im Gegenteil - das Friedens- und Wohlstands-Rezept der Freiheit beruht darauf, dass unter ihrer Schirmherrschaft Konflikte gewaltentschärft und an Fairness gebunden Zulassung finden, ins Offene hinaus treten dürfen und deshalb gründlich ausgelotet werden können.

Die moderne Ökonomie spricht unentwegt von Kapital und Arbeit, doch als physische, unpersönliche Größen, die keinen sozialen Raum einnehmen, losgelöst sind von unterschiedlichen Erfahrungen und Interessen. 

In Wirklichkeit ist das Kapital unentwegt dabei, die Gesellschaft zu erneuern, womit es die Beziehungen der Menschen, deren Perspektiven, Bedürfnisse und Zwänge verändert. Unter dem unerbittlichen Druck, sich durch Gewinne ihr Lebensrecht zu erhalten, verändern Unternehmen die Waren und Dienstleistungen der Wirtschaft und die Bedingungen, unter denen sie bereitgestellt werden können. So entstehen technischer Wandel und Wirtschaftswachstum. So kommt es zu verbesserter Produktivität und effizienteren Strukturen in der Wirtschaft. Durch kreative Zerstörung. 

In einem Fort spielen sich Dramen der Zerstörung und der Erneuerung ab, die tief in das Leben der Menschen eingreifen. Das sind nicht die Etappen, die Zwischenakte einer prästabilisierten Ordnung. So wenig wie der Unternehmer weiß, zu welchen Reaktionen er sich morgen herausgefordert sehen wird, damit seine Firma überlebt, so wenig gibt es für die Arbeitnehmer Sicherheit ein für alle Mal. Beide Seiten müssen sich bewegen, verändern, in einer Weise, die immer neuer Überlegungen und Strategien bedarf. Was ein hinnehmbares Morgen betrifft, so geschieht da nichts automatisch. Man muss sehen, wo man bleibt. Man muss seine Interessen vertreten, unter Bedingungen, die sich immerzu wandeln. Wie der Kuchen nach der neusten Runde schöpferischer Zerstörung aussehen wird und, wem welche Anteile daran zustehen sollen, steht heute noch in den Sternen und will morgen ausgefochten werden.

Der Streit um die willkommenen Früchte schöpferischer Zerstörung und darum, wie mit ihren Abfällen und Trümmern zu verfahren sei, gehört zu den wichtigsten Merkmalen einer freien Gesellschaft. Schließlich ist Freiheit ein Entdeckungsverfahren, das uns die verschiedenen sozialen Interessen einer Gesellschaft offenlegen soll und die Möglichkeiten, diese miteinander in Vereinbarung zu bringen.

Die Freiheit toleriert, ja fördert unterschiedliche Vorstellungen von der Arbeitsweise einer Wirtschaft, aber sie verträgt sich auf keinen Fall mit einem Bild der ökonomischen Prozesse, das soziale Unterschiede und Konflikte ignoriert und die Rolle des gesellschaftlichen Ausgleichs von den aktuell handelnden Menschen auf zeitlose Mechanismen verlagert.  


Fortgesetzt hier.

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