Wednesday, 24 August 2016

Ökonomie und Finanzwirtschaft (5) — Über einen maßgeblichen Unterschied



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Es drängt sich die Frage auf: unter welchen Umständen sorgt das Finanz-System dafür, dass die Produktion von Gütern begünstigt wird und die Erzielung von Einkommen in gesunder und nachhaltiger Weise erfolgen kann? Und wann leistet das System der Spekulation und der Abzweigung von Renten (produktivwirtschaftlich unberechtigten Gewinnen) Vorschub?

Die klassischen Ökonomen untersuchten Renteneinkommen, die dem Besitz von Land zu verdanken waren. Minsky befasste sich später mit Kapitalerträgen aus Investitionen mit geliehenem Geld („investment on margin“) und schlug unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 eine Entwicklungskaskade vor, die von der Hedge-Finanzierung (volle Deckung der Kreditverpflichtungen durch Einnahmen des Kreditnehmers) über die spekulative Finanzierung (Einnahmen-Deckung nur noch des Zinsdiensts) bis zur Ponzi-Finanzierung (Deckung aus Kursgewinnen) reicht — eine Spirale der Übersteigerung, mit der Minsky die These begründet, dass Stabilität Instabilität gebiert, sprich: solide wirtschaftliche Verhältnisse nach und nach zu immer riskanteren Finanztransaktionen verleiten. So wenig die Theorie der Renten nur für den Produktionsfaktor Boden, für den sie entwickelt wurde, gilt, so wenig trifft Minskys Instabilitäts-Hypothese nur auf Aktienmärkte zu.

So hat in unserer Zeit die Abzweigung von Renten ihre wohl größten Exzesse bei Verbraucherkrediten, insbesondere bei der Vergabe von Krediten für die Zwecke der Immobilienfinanzierung erlebt. Um diese Art der Kreditgewährung abzugrenzen gegen die Kreditfinanzierung produktiver Investitionen sollte man laut Bezemer und Hudson unterscheiden zwischen Finanzierungen, die Einkommen ermöglichen, und solchen, die die Stabilität des Finanz-Systems gefährden, oder wie man auch sagt: die systemische Finanzfragilität erhöhen. Man betrachte Tabelle 1 und Abbildung 3:





Kredite an Unternehmen des Nicht-Finanz-Sektors tragen dazu bei, produktive Investitionen und Innovationen in der Wirtschaft und somit auch das BIP-Wachstum anzukurbeln.

Ein geliehener Dollar, der zu Investitionszwecken ausgegeben wird, hat eine proportionale Erhöhung des Einkommens zur Folge. Ist zudem das Geschäftsmodell brauchbar, das auf diese Weise finanziert wird, werden die aus der ausgeweiteten Produktion erzielten Einnahmenhöher sein als der betrag, der zur Deckung der Kreditverbindlichkeiten an den Kreditgeber rückgeführt werden muss: es besteht keine Gefahr, dass sich Finanzfragilität breitmacht. Zwar erhöhen sich die zu bedienenden Verbindlichkeiten, doch gleichermaßen auch das Einkommen. Die Schuldenquote, der Quotient der Verbindlichkeiten zu Einkommen, hat keinen zwingenden Anlass zu steigen.

Zwar tragen Verbraucher-Kredite an private Haushalte, nicht anders als Kredite an Unternehmen des Nicht-Finanz-Sektors, zum Anstieg der Kaufkraft und der effektiven Nachfrage bei, wodurch sich das BIP wächst, aber erstere zeichnen sich gegenüber letzteren durch zwei Eigenarten aus, die, bei gleichem Kreditbetrag, ihre Wachstumswirkung beschränken und für eine größere Neigung sorgen, zur Finanzfragilität beizutragen.

Das erste dieser Merkmale ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen der Schuldenlast und dem Einkommen, das sich mit Hilfe des Kredits erzielen lässt: anders als bei Unternehmenskrediten ist es bei Verbraucherkrediten nicht so, dass sie dazu verwendet werden, Einkommen zu erarbeiten, mit dem sich der Kredit zurückzahlen lässt. Die aufgrund der Verschuldung erzielbaren Einnahmen und die Kreditverbindlichkeiten befinden sich nicht in der gleichen Bilanz. Außer wenn makro-ökonomische Flüsse Einnahmen von den Firmen zu den Haushalten (z.B. in Form von Löhnen) umlenken, erzeugen Verbraucherkredite verletzliche Flanken in den Bilanzen der privaten Haushalte.

Was überdies die Wirkung von Verbindlichkeiten auf die Einkommenserzeugung betrifft, sind Verbraucherkredite privater Haushalte wegen der mit ihnen verbundnen sehr hohen Zinsraten kein sonderlich effizientes Mittel, die Produktion zu finanzieren. Eine Reihe von Studien haben gezeigt, dass der volkswirtschaftliche Wachstumseffekt von Verbraucherkrediten deutlich geringer ist als der von Firmenkrediten. Jeder Dollar an Mehrwert, der durch die Bereitstellung von Verbraucherkrediten an den Mann gebracht werden kann, muss mit einem höheren Betrag für den Schuldendienst bezahlt werden, als im Fall von Unternehmenskrediten. Bezemer weist nach, dass das Verhältnis des Wachstums an privaten Verbindlichkeiten zum BIP-Wachstum von durchschnittlich 2:1 in den 1950er und 1960er Jahren auf 4:1 in den 1990er und 2000er Jahren angestiegen ist. Freilich ist dieser Trend nicht allein mit Verbraucherkrediten zu erklären — eine noch größere Gruppe unter den Verbindlichkeiten der privaten Haushalte bilden Baufinanzierungs-Kredite.

Genau wie Verbraucherkredite erhöhen Hypotheken-Kredite die Schuldenlast, ohne jedoch eine Einkommenssteigerung zu bewirken. Dies trägt zu erhöhter Finanzfragilität bei. Anders als Verbraucherkredit, erzeugen Hypotheken-Kredite jedoch kein Einkommen in anderen Bereichen der Wirtschaft. Hypotheken-Kredite werden ausgereicht, um Vermögenswerte zu erwerben, größtenteils solche, die bereits existieren. Was sie zur Folge haben können sind Kapitalzuwächse beim Wert der Immobilie, aber nicht Einkommen aus der Produktion von Gütern oder der Bereitstellung von Dienstleistungen. Dieser Unterschied verwischt sich ein wenig, wenn Hypotheken-Kredite benutzt werden, um den laufenden Verbrauch oder den Bau einer neuen Hauses zu finanzieren, doch machen diese Kategorien nur einen verschwindend kleinen Teil aller Hypotheken-Kredite aus.

Kommt noch hinzu, dass Immobilien sich zum größten Markt für Vermögenswerte — und dem mit der höchsten Beteiligungsquote der Bevölkerung — in allen westlichen Volkswirtschaften entwickelt haben. Wenn jeder kreditfinanzierte Immobilien-Erwerb seit den 1970er Jahren mit einem kleinen Aufschlag für den nächsten Käufer-Kreditnehmer verbunden war, dann dürfte der dramatische Anstieg des Immobilienbesitzes seit damals die Abzweigung von Renten und den Zinszufluss an die Hypotheken-Gläubiger deutlich erhöht haben. Nun haben sich ja nicht nur inländische Immobilienkäufer sondern, dank der Verbriefung von Hypotheken-Verbindlichkeiten, auch Investoren aus der ganzen Welt an diesem Markt beteiligt. Wie in einem Schneeballsystem („Ponzi scheme“), kann sich die Nachfrage über umso größere Zeiträume strecken, je größer das Einkommen, das den Teilnehmern des betreffenden Marktes winkt. Je mehr Interessenten sich anlocken lassen, desto länger dreht sich das Ketten-Karussell und desto höher fliegen die Fahrgastsitze. Das ist ein wichtiger Grund dafür, warum sich der Kredit-Boom im Hypotheken-Bereich von den 1990er Jahren bis 2007 hinziehen konnte, und das in vielen verschiedenen Ländern des wirtschaftlich entwickelten Westens gleichzeitig.

Zudem sind Hypotheken-Kredite insofern einzigartig, als sie in besonderem Maße für volkswirtschaftliche Finanzfragilität sorgen können. Die Hebelwirkung hoher Schulden und ihre weite Verbreitung bedeuten, dass bei fallenden Immobilienpreisen die Budgets vieler Haushalte stark belastet werden und so gar nicht, kaum oder nur noch wenig zur Aufrechterhaltung der Nachfrage beitragen können. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines Konjunktureinbruchs am Immobilienmarkt sind umso größer als (Sicherheiten aus) Baufinanzierungen auch einen bedeutenden Posten in den Bilanzen der Banken darstellen und wiederum deren Finanzfragilität stark erhöhen. In schlechten Zeiten schlagen entsprechende Einbußen bei den Banken nicht nur auf deren Bereitschaft zur Kreditvergabe bei Immobilien durch, sondern nehmen ihnen auch den Appetit an Unternehmensfinanzierungen.




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