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Fortgesetzt von hier.
Es drängt sich die Frage auf: unter welchen
Umständen sorgt das Finanz-System dafür, dass die Produktion von Gütern begünstigt wird und die Erzielung
von Einkommen in gesunder und nachhaltiger Weise erfolgen kann? Und wann leistet das System
der Spekulation und der Abzweigung von Renten (produktivwirtschaftlich unberechtigten Gewinnen) Vorschub?
Die klassischen Ökonomen untersuchten Renteneinkommen, die dem Besitz von Land
zu verdanken waren. Minsky befasste sich später mit Kapitalerträgen aus Investitionen mit geliehenem
Geld („investment on margin“) und schlug unter dem Eindruck der
Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 eine Entwicklungskaskade vor, die von der
Hedge-Finanzierung (volle Deckung der Kreditverpflichtungen durch Einnahmen des
Kreditnehmers) über die spekulative Finanzierung (Einnahmen-Deckung nur noch
des Zinsdiensts) bis zur Ponzi-Finanzierung (Deckung aus Kursgewinnen) reicht —
eine Spirale der Übersteigerung, mit der Minsky die These begründet, dass
Stabilität Instabilität gebiert, sprich: solide wirtschaftliche Verhältnisse
nach und nach zu immer riskanteren Finanztransaktionen verleiten. So wenig die
Theorie der Renten nur für den Produktionsfaktor Boden, für den sie entwickelt
wurde, gilt, so wenig trifft Minskys Instabilitäts-Hypothese nur auf Aktienmärkte
zu.
So hat in unserer Zeit die Abzweigung von Renten
ihre wohl größten Exzesse bei Verbraucherkrediten, insbesondere bei der Vergabe
von Krediten für die Zwecke der Immobilienfinanzierung erlebt. Um diese Art der
Kreditgewährung abzugrenzen gegen die Kreditfinanzierung produktiver
Investitionen sollte man laut Bezemer und Hudson unterscheiden zwischen
Finanzierungen, die Einkommen ermöglichen, und solchen, die die Stabilität des
Finanz-Systems gefährden, oder wie man auch sagt: die systemische
Finanzfragilität erhöhen. Man betrachte Tabelle 1 und Abbildung 3:
Kredite an Unternehmen des Nicht-Finanz-Sektors
tragen dazu bei, produktive Investitionen und Innovationen in der Wirtschaft
und somit auch das BIP-Wachstum anzukurbeln.
Ein geliehener Dollar, der zu Investitionszwecken
ausgegeben wird, hat eine proportionale Erhöhung des Einkommens zur Folge. Ist
zudem das Geschäftsmodell brauchbar, das auf diese Weise finanziert wird,
werden die aus der ausgeweiteten Produktion erzielten Einnahmenhöher sein als
der betrag, der zur Deckung der Kreditverbindlichkeiten an den Kreditgeber rückgeführt
werden muss: es besteht keine Gefahr, dass sich Finanzfragilität breitmacht.
Zwar erhöhen sich die zu bedienenden Verbindlichkeiten, doch gleichermaßen auch
das Einkommen. Die Schuldenquote, der Quotient der Verbindlichkeiten zu
Einkommen, hat keinen zwingenden Anlass zu steigen.
Zwar tragen Verbraucher-Kredite an private
Haushalte, nicht anders als Kredite an Unternehmen des Nicht-Finanz-Sektors,
zum Anstieg der Kaufkraft und der effektiven Nachfrage bei, wodurch sich das
BIP wächst, aber erstere zeichnen sich gegenüber letzteren durch zwei
Eigenarten aus, die, bei gleichem Kreditbetrag, ihre Wachstumswirkung
beschränken und für eine größere Neigung sorgen, zur Finanzfragilität
beizutragen.
Das erste dieser Merkmale ergibt sich aus dem
Verhältnis zwischen der Schuldenlast und dem Einkommen, das sich mit Hilfe des
Kredits erzielen lässt: anders als bei Unternehmenskrediten ist es bei
Verbraucherkrediten nicht so, dass sie dazu verwendet werden, Einkommen zu
erarbeiten, mit dem sich der Kredit zurückzahlen lässt. Die aufgrund der
Verschuldung erzielbaren Einnahmen und die Kreditverbindlichkeiten befinden
sich nicht in der gleichen Bilanz. Außer wenn makro-ökonomische Flüsse
Einnahmen von den Firmen zu den Haushalten (z.B. in Form von Löhnen) umlenken,
erzeugen Verbraucherkredite verletzliche Flanken in den Bilanzen der privaten
Haushalte.
Was überdies die Wirkung von Verbindlichkeiten
auf die Einkommenserzeugung betrifft, sind Verbraucherkredite privater
Haushalte wegen der mit ihnen verbundnen sehr hohen Zinsraten kein sonderlich
effizientes Mittel, die Produktion zu finanzieren. Eine Reihe von Studien haben
gezeigt, dass der volkswirtschaftliche Wachstumseffekt von Verbraucherkrediten
deutlich geringer ist als der von Firmenkrediten. Jeder Dollar an Mehrwert, der
durch die Bereitstellung von Verbraucherkrediten an den Mann gebracht werden
kann, muss mit einem höheren Betrag für den Schuldendienst bezahlt werden, als
im Fall von Unternehmenskrediten. Bezemer weist nach, dass das Verhältnis des
Wachstums an privaten Verbindlichkeiten zum BIP-Wachstum von durchschnittlich
2:1 in den 1950er und 1960er Jahren auf 4:1 in den 1990er und 2000er Jahren
angestiegen ist. Freilich ist dieser Trend nicht allein mit Verbraucherkrediten
zu erklären — eine noch größere Gruppe unter den Verbindlichkeiten der privaten
Haushalte bilden Baufinanzierungs-Kredite.
Genau wie Verbraucherkredite erhöhen Hypotheken-Kredite
die Schuldenlast, ohne jedoch eine Einkommenssteigerung zu bewirken. Dies trägt
zu erhöhter Finanzfragilität bei. Anders als Verbraucherkredit, erzeugen
Hypotheken-Kredite jedoch kein Einkommen in anderen Bereichen der Wirtschaft.
Hypotheken-Kredite werden ausgereicht, um Vermögenswerte zu erwerben,
größtenteils solche, die bereits existieren. Was sie zur Folge haben können
sind Kapitalzuwächse beim Wert der Immobilie, aber nicht Einkommen aus der
Produktion von Gütern oder der Bereitstellung von Dienstleistungen. Dieser
Unterschied verwischt sich ein wenig, wenn Hypotheken-Kredite benutzt werden,
um den laufenden Verbrauch oder den Bau einer neuen Hauses zu finanzieren, doch
machen diese Kategorien nur einen verschwindend kleinen Teil aller Hypotheken-Kredite
aus.
Kommt noch hinzu, dass Immobilien sich zum
größten Markt für Vermögenswerte — und dem mit der höchsten Beteiligungsquote der
Bevölkerung — in allen westlichen Volkswirtschaften entwickelt haben. Wenn jeder
kreditfinanzierte Immobilien-Erwerb seit den 1970er Jahren mit einem kleinen
Aufschlag für den nächsten Käufer-Kreditnehmer verbunden war, dann dürfte der
dramatische Anstieg des Immobilienbesitzes seit damals die
Abzweigung von Renten und den Zinszufluss an die Hypotheken-Gläubiger deutlich
erhöht haben. Nun haben sich ja nicht nur inländische Immobilienkäufer sondern,
dank der Verbriefung von Hypotheken-Verbindlichkeiten, auch Investoren aus
der ganzen Welt an diesem Markt beteiligt. Wie in einem Schneeballsystem („Ponzi
scheme“), kann sich die Nachfrage über umso größere Zeiträume strecken, je
größer das Einkommen, das den Teilnehmern des betreffenden Marktes winkt. Je mehr Interessenten sich anlocken lassen, desto
länger dreht sich das Ketten-Karussell und desto höher fliegen die Fahrgastsitze.
Das ist ein wichtiger Grund dafür, warum sich der Kredit-Boom im Hypotheken-Bereich
von den 1990er Jahren bis 2007 hinziehen konnte, und das in vielen verschiedenen
Ländern des wirtschaftlich entwickelten Westens gleichzeitig.
Zudem sind Hypotheken-Kredite insofern
einzigartig, als sie in besonderem Maße für volkswirtschaftliche Finanzfragilität sorgen können. Die Hebelwirkung hoher Schulden und ihre weite Verbreitung bedeuten,
dass bei fallenden Immobilienpreisen die Budgets vieler Haushalte stark belastet werden
und so gar nicht, kaum oder nur noch wenig zur Aufrechterhaltung der Nachfrage
beitragen können. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines Konjunktureinbruchs
am Immobilienmarkt sind umso größer als (Sicherheiten aus) Baufinanzierungen
auch einen bedeutenden Posten in den Bilanzen der Banken darstellen und wiederum deren
Finanzfragilität stark erhöhen. In schlechten Zeiten schlagen entsprechende
Einbußen bei den Banken nicht nur auf deren Bereitschaft zur Kreditvergabe bei
Immobilien durch, sondern nehmen ihnen auch den Appetit an Unternehmensfinanzierungen.
Fortgesetzt hier.
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