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Das Vokabular und die Institutionen der Freiheit sind aus Bemühungen hervorgegangen, politischen Praktiken und staatlichen Strukturen entgegenzutreten, die zu Willkür und Tyrannis führen. Politik und der Staat sind daher von Anbeginn an grundlegende Größen in der Entwicklung der Freiheit und der sich mit ihr befassenden Theorien.
Gegenwärtig befasse ich mich mit der Niederschrift – genauer eigentlich mit der Festlegung der Reihenfolge – der Passagen, die die letzten Abschnitte des ersten Teils meines Kapitels über “Politik” ausmachen. Bevor ich später im Kapitel dazu übergehe, das genauer zu analysieren, was ich gerne die (potenzielle) Toxizität des Staats nenne, erscheint es mir nötig, das Phänomen des Staats zu definieren, und zu erklären und darauf einzugehen, wie und warum es entstanden ist, und wieso es seit seinen Anfängen ohne Unterbrechung bis heute präsent bleibt. Mit Fug und Recht lässt sich behaupten, dass seit der neolithischen Revolution, die der sesshaften Landwirtschaft vor rund 10 000 Jahren zum Durchbruch verhilft, die gesamte Entwicklungsgeschichte der menschlichen Zivilisation begleitet wird von der Präsenz staatlicher Strukturen. Douglas Cecil North fasst diesen bemerkenswerten Umstand mit folgenden Worten zusammen:
… the creation of the state in the millenia following the first economic revolution [the neolithic revolution, I.U.] was the necessary condition for all subsequent economic development.
… die Schaffung des Staats in den Jahrtausenden, die auf die erste ökonomische Revolution [die neolithische Revolution, I.U.] folgen, war die notwendige Bedingung für jede weitere wirtschaftliche Entwicklung.
Structure and Change in Economic History, 1981, S. 24.
Warum ist der Staat ein derart getreuer Begleiter der Menschheit? Ich werde meine Antworten auf diese Frage nicht im vorliegenden Beitrag darlegen. Ich erwähne sie lediglich, um den Hintergrund anzugeben, vor dem sich mir die Fragen hinsichtlich der Anordnung der oben erwähnten Passagen stellen.
Im Kapitel über “Politik”, biete ich (i) eine Darstellung der Ursprünge des Staats und (ii) drei Theoreme, die die Gründe dafür zusammenfassen, warum der entstehende Staat sich bis heute als ein Phänomen von unverwüstlicher Präsenz erweisen sollte, wahrscheinlich noch bis weit in die Zukunft.
Ausgehend von diesen Überlegungen sind die in Frage stehenden Passagen gedacht als ein Bilderteppich historischer Szenen, anhand derer sich eine Reihe von zentralen Einsichten in den Charakter des Staats veranschaulichen lassen, namentlich, dass:
- (a) es Kräfte gibt, die stärker sind als der Staat,
- (b) Machthaber abhängig von Kräften sind, die sie nicht zu kontrollieren oder nach ihrem Belieben zu manipulieren vermögen.
- (c) die Herausbildung des Staats ein außerordentlich komplexer Prozess ist, in dem gesellschaftliche Gruppierungen in Wechselwirkung zu Machthabern und Funktionären des Staats stehen,
- (d) als Resultat von (a), (b), und (c) der Staat einem fortlaufenden Prozess der Evolution unterliegt, dessen Ausgang weder vorhersehbar ist noch (i) im Einzelnen geplant und (ii) auf dieser Basis getreulich umgesetzt werden kann.
Letzten Endes ist der Staat eine spontane, eine sich selbst erzeugende Ordnung, deren Entstehen sich “menschlichen Handlungen, nicht aber einem menschlichen Plan” verdankt, um Adam Fergussons bekanntes Diktum zu bemühen: “by human action, but not by human design.”
Um diese allgemeinen Gesichtspunkte zu veranschaulichen, muss ich nun eine sinnvolle Zusammenstellung für drei Fragmente meines Manuskripts finden:
Dabei handelt es sich um Olsons Erklärung des Ursprungs des Staats, der sich aus dem Übergang von Herrschaftsformen, die von umherziehenden Machtaspiranten geprägt sind zu einem Regime-Typus, der sich durch sesshafte Machthaber auszeichnet. Des Weiteren handelt sich um Arbeiten von David Waldner und Michael Mann, die sich mit den Merkmalen mittelbarer und unmittelbarer Staaten (mediate and immediate state) befassen. Schließlich noch Spruyts Forschungsergebnisses bezüglich des Aufkommens souveräner Territorialoder Nationalstaats, besonders am Beispiel des Aufstiegs des französischen Königtums in der Epoche der Karpetinger Dynastie.
Um die vier oben aufgeführten Aspekte zusammenzuführen, lehne ich mich an eine übergreifende Themenspange an, die ich Douglas Cecil North entnehme. Er zeigt, dass – auf der Stufe der höchsten Verallgemeinerung – der Staat zwei Ziele in Einklang miteinander zu bringen hat:
Es entspricht dem Rationalitätskalkül des Staats sowohl (i) die materielle Basis seiner Macht, als auch (ii) die politische Unterstützung seiner Macht zu maximieren. Diese doppelte Zielfunktion lässst viel Raum für schlechte Lösungen (etwa im Sinne wirtschaftlicher Entwicklung oder hinsichtlich des Schutzes von Menschenrechten). Aber sie definiert zugleich einen Korridor, den der Staat nicht verlassen kann. Es gibt somit Grenzen für die Destruktivität und Unzulänglichkeit des Staats, ebenso wie Anreize, fortschrittliche Entwicklungen zu fördern.
Grundsätzlich ist es rational für den Staat Bedingungen zu unterstützen, die Freiheit und wirtschaftliche Besserstellung begünstigen – solange
- (i) the Kosten der Unterstützung von Freiheit und Wohlstand nicht die Vorteile übertreffen – siehe (ii) und (iii) -, die dem Machthaber entstehen,
- (ii) Erfordernisse, die der Sicherung politischer Unterstützung dienen, nicht wirtschaftlich förderlichen Maßnahmen und Institutionen entgegenwirken, und
- (iii) die Gewährleistung des Zuflusses von politische Renten, die der Machthaber für sich beansprucht, nicht Maßnahmen verlangt, die Freiheit und Wohlstand konterkarieren.
Olson verdeutlicht den fundamentalen Lehrsatz, wonach es – prinzipiell und vorbehaltlich der oben angesprochenen Einschränkungen – dem rationalen Interesse eines Herrschers entspricht, verbesserte wirtschaftliche Bedingungen herbeizuführen, wie zu erkennen ist an den erheblichen Vorteilen, die sich umherziehenden Machtaspiranten erschließen, wenn sie sich als “sesshafte Banditen” niederlassen und ein umfassendes Interesse” (“encompassing interest”) an ihrem neuen Reich entwickeln.
Waldner und Mann demonstrieren, das Erwerb und Erhalt von Macht stets abhängig ist von Kompromissen, von der Übertragung von Zuständigkeiten an Dritte, von komplizierten Verhandlungen und taktischen Manövern, mit denen die Verteilung der Macht und ihrer Spolien fortlaufend und ewig veränderlich unter einer Vielzahl von Aspiranten geregelt werden.
Der Herrscher im unmittelbaren Staat sieht sich starken Abhängigkeiten gegenüber anderen Machthabern (orstansässigen Notabeln) ausgesetzt. Denn er kann nicht beides gewährleisten: (i) einen ausreichenden Konzentrationsgrad der militärischen Kräfte, mit denen er seine Raubzüge vollführt und seine Herrschaftsansprüche durchsetzt, UND (ii) eine angemessene Auffächerung seiner Kräfte, um den Anforderungen gerecht zu werden, die bei der Verwaltung des Reichs und anderen Aufgaben des friedlichen Regierens erfüllt sein wollen.
Wie Spruyt aufzeigt, löst sich diese Spannung nicht auf beim Übergang vom mittelbaren zum unmittelbaren Staat. Im unmittelbaren Staat vermag das Herrschaftszentrum mit der Hilfe entsprechender Bürokratien allenthalben im Reich unmittelbare Macht über das Leben seiner Untertanen auszuüben. Pars pro toto: der fürstliche Steuerpächter mit eigener lokaler Machtbasis weicht dem Finanzamt, das über keine vergleichbare eigene Machtbasis verfügt.
Spruyt untersucht wie Koalitionen von politischen Eliten geschmiedet werden müssen damit Strukturen nachhaltiger Macht entstehen können. Er beschreibt wie im Verlaufe des Hohen Mittelalters die städtischen Bevölkerungen und er französische König eine Koalition bilden, um sich wirkungsvoll gegen die Ansprüche des Kaisers, des Klerus und der Feudalherren abzugrenzen.
Menschen werden immer nach Macht streben — vor allem nach relativer Macht, Macht, relativ zu den Gegebenheiten ihrer Umgebung und ihrer Mitmenschen — um ihre Interessen zu verteidigen oder geltend zu machen — und sei es, dass ein Unternehmen sich um eine Gesetzesänderung bemüht, damit eine Klausel gestrichen wird, die sich für die Geschäftsaussichten nachteilig auswirkt. Der Staat ist ein Gebilde, das geformt wird im Überschneidungsbereich vielfältigster Bemühungen, bestimmten Überzeugungen und Interessen zu (meist relativer) Geltung, Gültigkeit und Vorherrschaft zu verhelfen.
Der historische Bilderteppich, wie ich es oben nannte, ist der Auftakt zum letzten Abschnitt, in dem ich eine allgemeine Staatstheorie anbiete. Darin erscheint der Staat als ein im Fluss befindliches Geflecht an relativen Machtanteilen, die ständiger Aushandlung und Neubestimmung unterliegen.
Die Crux der Folgerungen, zu denen die oben angeführten Argumente Anlass geben, lautet: Eigentumsrechte und andere Rechte, die grundlegend für eine freie Gesellschaft sind, werden durch den soeben beschriebenen Prozess der Staatsbildung ins Leben gerufen.
Die Lektion für die Freiheit besteht in der Erkenntnis, dass ihre Konturen sich ausprägen in einem Prozess, den man als politische Bildhauerei bezeichnen könnte. Der Staat ist die Skulptur. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, sich bewusst zu machen, wie wichtig es ist, die Freiheit politisch zu fördern, die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Bildhauerei sorgfältig kennen zu lernen — denn sie bestimmen die Zyklen schwankender Geltung, denen Ideologien und politische Vorgehensweisen unterliegen — und sich am politischen Prozess zu beteiligen, um den Charakter des Staats im Sinne des Freiheitsideals zu beeinflussen.
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