Saturday, 30 July 2016

Eine andere Sicht der Wirtschaft (3) — KEY und SKY



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Keynesianismus und Struktureller Keynesianismus

Der Strukturelle Keynesianismus (SKY) teilt mit dem Keynesianismus (KEY) die Auffassung, dass der Kapitalismus das mit Abstand leistungsfähigste sozio-ökonomische System ist, das je existiert hat: seine Fähigkeit, Güter zu erzeugen, Dienstleistungen zu erbringen und für einen hohen Lebensstandard zu sorgen, ist absolut unübertroffen. Es ist daher nicht wünschenswert, den Kapitalismus zu beseitigen. Er verdient unsere Unterstützung. Es ist nur klug, sich an seine Gesetze zu halten, soweit sie anderen wichtigen Bedürfnissen des menschlichen Zusammenlebens nicht entgegenstehen — ein Fall, der freilich genauso ins Kalkül zu ziehen ist, wie die missbräuchliche Verwendung oder die schädlichen Nebeneffekte jedes anderen leistungsfähigen Systems. Ein starker Motor ist nicht in erster Linie dazu da, bewundert zu werden. Wir wollen vor allem, dass er funktioniert und viel leistet; dazu muss er laufend gepflegt, gewartet und gegebenenfalls verbessert werden.

Einer Schwachstelle des Kapitalismus, die der KEY in den Mittelpunkt seiner Analyse der Volkswirtschaft stellt, schenkt auch der SKY große Aufmerksamkeit: nämlich der kuriosen Neigung, die volkswirtschaftliche Gesamt-Nachfrage schon zu drosseln, bevor sie den Punkt erreicht, an dem noch viele weitere Güter und Dienstleistungen bereitgestellt werden könnten, und zwar so, dass Vollbeschäftigung erzielt und gleichzeitig die Wirtschaft nicht überhitzt wird. Das System schöpft sein volles Potenzial nicht aus. Das unterminiert die Fähigkeit vieler Menschen, auf die einzige ihnen im Kapitalismus mögliche Weise, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen: durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft oder anderer Waren und Dienstleistungen.

Für KEY wie für SKY ist es maßgeblich zu verstehen, wovon die Gesamtnachfrage abhängig ist, denn wer die entsprechenden Wirkzusammenhänge kennt, ist in der Lage, das systemische Defizit des Kapitalismus durch Nachfrage-Management auszugleichen und anstelle drohender Massenarbeitslosigkeit einen Wohlstand zu schaffen, an dem alle teilhaben.

Der große Erfolg des KEY in den 30 Jahren nach Ende des 2. Weltkriegs hat jedoch einer technokratischen Deutung dieser Lehre Vorschub geleistet, wie das Schlagwort vom Nachfrage-Management verrät. Man drehe an dieser und jener Stellgröße und schon herrscht Wohlstand: mit der Ansteuerung eines bestimmten Zinsniveaus durch die Zentralbank — man spricht von Geldpolitik — und durch Variieren der Staatsausgaben und der Steuerlast der Bürger — man spricht von Fiskalpolitik — lassen sich nach dieser keynesianische Rezeptur angeblich Konjunktur-Extreme vermeiden und stetige Vollbeschäftigung herbeiführen. Das war unter den Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit tatsächlich so. Doch im Laufe der Zeit wurde man Opfer des eigenen Erfolgs. Man verlor die besonderen Bedingungen dieser Phase des Nachfrage-Managements aus den Augen und begann, daran zu glauben, im Besitz eines technischen Verfahrens zu sein, dessen Anwendung für sich schon Vollbeschäftigung und Wohlstand gewährleistet.

Doch die letzten 25 Jahre widersprachen zunehmend dieser Erwartung. Die Arbeitslosigkeit stieg deutlich und dauerhaft an. Die Ausbreitung des Wohlstands in der Bevölkerung kam ins Stocken und wies schließlich sogar eine rückläufige Tendenz auf. Weit davon entfernt, einen lang anhaltenden Impuls auszusenden, hat die expansionistische Geld- und Fiskalpolitik deutlich an Wirkung eingebüßt. Die Hebung des Beschäftigungsniveaus durch wirtschaftspolitische Maßnahmen gelingt nur noch in bescheidener Dosierung. Vor allem aber erweist sich das herkömmliche Nachfrage-Management als machtlos im Angesicht stagnierender Löhne und zunehmender Ungleichheit in der Einkommensverteilung.

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Der SKY hebt zwei Aspekte der mangelnden Praktikabilität des klassischen KEY hervor: zum einen ist der ursprüngliche Keynesianismus blind für die Veränderlichkeit der Voraussetzungen, unter denen der soziale Ausgleich zu erzielen ist, ohne den sein Wohlstandskonzept nicht funktionieren kann. Zum anderen ignoriert er die Fähigkeit der Unternehmen, sich an die Beschränkungen anzupassen, die ihnen auferlegt werden, um sie auf sozialen Ausgleich zu verpflichten. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden von unterschiedlichen Interessen gelenkt — neben vielen gemeinsamen Interessen. Beide Seiten müssen ihre Ansprüche gegenüber denen des Gegenübers geltend machen. Das heißt, sie müssen sozialpolitische Einflussnahme üben. Gerät das Kräfteverhältnis der Einfluss nehmenden Parteien aus dem Gleichgewicht, verliert auch das System der gemeinschaftlichen Wohlstandsweitung seine Balance — ungute Einseitigkeiten treten an seine Stelle.

Kurzum: Das ökonomische Problem der Wohlstandsmehrung ist eingefasst in einen größeren sozialen Kontext, den der SKY im Gegensatz zum KEY ausdrücklich mitberücksichtigt.

Wenn das Kräfteverhältnis der Sozialpartner/Sozialkontrahenten in Schieflage gerät, so dass die Arbeitnehmer nicht mehr ausreichend am Wachstum der Wirtschaft beteiligt werden und das Volkseinkommen sich zuungunsten eines großen Teils der Bevölkerung verschiebt, trifft dies den Kapitalismus an seiner empfindlichsten Flanke: denn das System der Massenproduktion bei Vollbeschäftigung bedarf einer robusten, von der breiten Bevölkerung getragenen Nachfrage. Diese ist nur gewährleistet, wenn die Arbeitnehmer durch ausreichende Höhe und Wachstum ihres Einkommens an der Prosperität der Wirtschaft beteiligt werden.

Gleichgültig wie man Einkommensungleichheit von einem ethischen Standpunkt aus bewertet, über ein gewisses Maß hinaus ist sie abträglich für die Volkswirtschaft.

Wenn Arbeitnehmer sich verständlicherweise wehren, wenn ihre Interessen übergangen werden, so gilt das Gleiche für den Unternehmer, dem die Gewinn- und Verlustrechnung im Nacken sitzt. Der Grundimpuls des Kapitalismus ist nicht die Gier, sondern der Überlebenstrieb. Ein Unternehmer, der nicht profitabel operiert, überlebt nicht lange. Wenn die Regeln, die ihn zum Abgleich mit den Arbeitnehmern anhalten, ihm beim Kampf ums profitable Überleben in die Quere kommen, lässt er sich Umgehungsstrategien einfallen. Das Resultat sind technologische und betriebsorganisatorische Veränderungen, aber auch politische Anstrengungen des Unternehmers, die im Laufe der Zeit das Terrain umgraben, auf dem sich die Sozialpartner/Sozialkontrahenten begegnen, um ihre relative Stärke zu messen.

Das bedeutet, dass nichts bleibt wie es war, und die Bedingungen einer gegenseitig vernünftigen Lösung immer wieder aufs Neue analysiert und ausgehandelt werden müssen. Deshalb ist es nicht damit getan, an bewährten Techniken des Nachfrage-Managements festzuhalten. Aus Sicht des SKY ist es unerlässlich, die aktuelle Struktur der Wirtschaft unentwegt daraufhin zu prüfen, ob sie noch ein effektives Nachfrage-Management zulässt. Dazu sind zeitgerechte Regeln für die unternehmerische Tätigkeit von Finanzinstitutionen und Firmen der Realwirtschaft, sowie ein wirklichkeitsnaher Ordnungsrahmen für die Arbeitsmärkte und die internationalen Finanzmärkten erforderlich.

Ist der KEY noch von einer eher unpolitisch-technokratischen Haltung geprägt, lässt der SKY keinen Zweifel daran, dass die Politik den Primat über die Wirtschaft innehat. Der Strukturelle Keynesianismus (SKY) leitet seinen Namen aus dieser Prämisse ab: die Struktur des Wohlstands gründet auf politischem Willen, sie ist angewiesen auf den politischen Ausgleich der Interessensgegensätze zwischen Arbeit und Kpital — ohne politische Eingriffe kann es den Wohlstand für alle nicht geben.

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