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Keynesianismus und Struktureller
Keynesianismus
Der Strukturelle Keynesianismus (SKY) teilt mit
dem Keynesianismus (KEY) die Auffassung, dass der Kapitalismus das mit Abstand
leistungsfähigste sozio-ökonomische System ist, das je existiert hat: seine Fähigkeit,
Güter zu erzeugen, Dienstleistungen zu erbringen und für einen hohen
Lebensstandard zu sorgen, ist absolut unübertroffen. Es ist daher nicht
wünschenswert, den Kapitalismus zu beseitigen. Er verdient unsere
Unterstützung. Es ist nur klug, sich an seine Gesetze zu halten, soweit sie
anderen wichtigen Bedürfnissen des menschlichen Zusammenlebens nicht
entgegenstehen — ein Fall, der freilich genauso ins Kalkül zu ziehen ist, wie
die missbräuchliche Verwendung oder die schädlichen Nebeneffekte jedes anderen
leistungsfähigen Systems. Ein starker Motor ist nicht in erster Linie dazu da,
bewundert zu werden. Wir wollen vor allem, dass er funktioniert und viel
leistet; dazu muss er laufend gepflegt, gewartet und gegebenenfalls verbessert
werden.
Einer Schwachstelle des Kapitalismus, die der KEY
in den Mittelpunkt seiner Analyse der Volkswirtschaft stellt, schenkt auch der
SKY große Aufmerksamkeit: nämlich der kuriosen Neigung, die
volkswirtschaftliche Gesamt-Nachfrage schon zu drosseln, bevor sie den Punkt erreicht,
an dem noch viele weitere Güter und Dienstleistungen bereitgestellt werden
könnten, und zwar so, dass Vollbeschäftigung erzielt und gleichzeitig die
Wirtschaft nicht überhitzt wird. Das System schöpft sein volles Potenzial nicht
aus. Das unterminiert die Fähigkeit vieler Menschen, auf die einzige ihnen im
Kapitalismus mögliche Weise, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen: durch den
Verkauf ihrer Arbeitskraft oder anderer Waren und Dienstleistungen.
Für KEY wie für SKY ist es maßgeblich zu
verstehen, wovon die Gesamtnachfrage abhängig ist, denn wer die entsprechenden
Wirkzusammenhänge kennt, ist in der Lage, das systemische Defizit des
Kapitalismus durch Nachfrage-Management auszugleichen und anstelle drohender
Massenarbeitslosigkeit einen Wohlstand zu schaffen, an dem alle teilhaben.
Der große Erfolg des KEY in den 30 Jahren nach
Ende des 2. Weltkriegs hat jedoch einer technokratischen Deutung dieser Lehre
Vorschub geleistet, wie das Schlagwort vom Nachfrage-Management verrät.
Man drehe an dieser und jener Stellgröße und schon herrscht Wohlstand: mit der Ansteuerung
eines bestimmten Zinsniveaus durch die Zentralbank — man spricht von
Geldpolitik — und durch Variieren der Staatsausgaben und der Steuerlast der
Bürger — man spricht von Fiskalpolitik — lassen sich nach dieser
keynesianische Rezeptur angeblich Konjunktur-Extreme vermeiden und stetige
Vollbeschäftigung herbeiführen. Das war unter den Rahmenbedingungen der
Nachkriegszeit tatsächlich so. Doch im Laufe der Zeit wurde man Opfer des
eigenen Erfolgs. Man verlor die besonderen Bedingungen dieser Phase des
Nachfrage-Managements aus den Augen und begann, daran zu glauben, im Besitz
eines technischen Verfahrens zu sein, dessen Anwendung für sich schon
Vollbeschäftigung und Wohlstand gewährleistet.
Doch die letzten 25 Jahre widersprachen zunehmend
dieser Erwartung. Die Arbeitslosigkeit stieg deutlich und dauerhaft an. Die
Ausbreitung des Wohlstands in der Bevölkerung kam ins Stocken und wies
schließlich sogar eine rückläufige Tendenz auf. Weit davon entfernt, einen lang
anhaltenden Impuls auszusenden, hat die expansionistische Geld- und
Fiskalpolitik deutlich an Wirkung eingebüßt. Die Hebung des
Beschäftigungsniveaus durch wirtschaftspolitische Maßnahmen gelingt nur noch in
bescheidener Dosierung. Vor allem aber erweist sich das herkömmliche
Nachfrage-Management als machtlos im Angesicht stagnierender Löhne und
zunehmender Ungleichheit in der Einkommensverteilung.
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Der SKY hebt zwei Aspekte der mangelnden
Praktikabilität des klassischen KEY hervor: zum einen ist der ursprüngliche Keynesianismus blind für die
Veränderlichkeit der Voraussetzungen, unter denen der soziale Ausgleich zu
erzielen ist, ohne den sein Wohlstandskonzept nicht funktionieren kann. Zum anderen
ignoriert er die Fähigkeit der Unternehmen, sich an die Beschränkungen anzupassen,
die ihnen auferlegt werden, um sie auf sozialen Ausgleich zu verpflichten. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden von
unterschiedlichen Interessen gelenkt — neben vielen gemeinsamen
Interessen. Beide Seiten müssen ihre Ansprüche gegenüber denen des Gegenübers
geltend machen. Das heißt, sie müssen sozialpolitische Einflussnahme üben.
Gerät das Kräfteverhältnis der Einfluss nehmenden Parteien aus dem
Gleichgewicht, verliert auch das System der gemeinschaftlichen Wohlstandsweitung
seine Balance — ungute Einseitigkeiten treten an seine Stelle.
Kurzum: Das ökonomische Problem der
Wohlstandsmehrung ist eingefasst in einen größeren sozialen Kontext, den der SKY
im Gegensatz zum KEY ausdrücklich mitberücksichtigt.
Wenn das Kräfteverhältnis der Sozialpartner/Sozialkontrahenten in
Schieflage gerät, so dass die Arbeitnehmer nicht mehr ausreichend am Wachstum
der Wirtschaft beteiligt werden und das Volkseinkommen sich zuungunsten eines
großen Teils der Bevölkerung verschiebt, trifft dies den Kapitalismus an seiner
empfindlichsten Flanke: denn das System der Massenproduktion bei
Vollbeschäftigung bedarf einer robusten, von der breiten Bevölkerung getragenen
Nachfrage. Diese ist nur gewährleistet, wenn die Arbeitnehmer durch ausreichende Höhe und Wachstum ihres Einkommens an der Prosperität der
Wirtschaft beteiligt werden.
Gleichgültig wie man Einkommensungleichheit von einem ethischen Standpunkt aus bewertet, über ein gewisses Maß
hinaus ist sie abträglich für die Volkswirtschaft.
Wenn Arbeitnehmer sich verständlicherweise wehren, wenn ihre
Interessen übergangen werden, so gilt das Gleiche für den Unternehmer, dem die
Gewinn- und Verlustrechnung im Nacken sitzt. Der Grundimpuls des Kapitalismus
ist nicht die Gier, sondern der Überlebenstrieb. Ein Unternehmer, der nicht
profitabel operiert, überlebt nicht lange. Wenn die Regeln, die ihn zum Abgleich
mit den Arbeitnehmern anhalten, ihm beim Kampf ums profitable Überleben in die
Quere kommen, lässt er sich Umgehungsstrategien einfallen. Das Resultat sind
technologische und betriebsorganisatorische Veränderungen, aber auch politische
Anstrengungen des Unternehmers, die im Laufe der Zeit das Terrain umgraben, auf
dem sich die Sozialpartner/Sozialkontrahenten begegnen, um ihre relative Stärke zu messen.
Das bedeutet, dass nichts bleibt wie es war, und
die Bedingungen einer gegenseitig vernünftigen Lösung immer wieder aufs Neue
analysiert und ausgehandelt werden müssen. Deshalb ist es nicht damit getan, an
bewährten Techniken des Nachfrage-Managements festzuhalten. Aus Sicht des SKY
ist es unerlässlich, die aktuelle Struktur der Wirtschaft unentwegt daraufhin
zu prüfen, ob sie noch ein effektives Nachfrage-Management zulässt. Dazu sind zeitgerechte
Regeln für die unternehmerische Tätigkeit von Finanzinstitutionen und Firmen
der Realwirtschaft, sowie ein wirklichkeitsnaher Ordnungsrahmen für die
Arbeitsmärkte und die internationalen Finanzmärkten erforderlich.
Ist der KEY noch von einer eher
unpolitisch-technokratischen Haltung geprägt, lässt der SKY keinen Zweifel
daran, dass die Politik den Primat über die Wirtschaft innehat. Der
Strukturelle Keynesianismus (SKY) leitet seinen Namen aus dieser Prämisse ab:
die Struktur des Wohlstands gründet auf politischem Willen, sie ist angewiesen
auf den politischen Ausgleich der Interessensgegensätze zwischen Arbeit und Kpital
— ohne politische Eingriffe kann es den Wohlstand für alle nicht geben.
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