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Fortgesetzt von hier.
Was Keynes' Allgemeiner
Theorie ihren revolutionären Charakter verleiht, ist der in ihr enthaltene
Angriff auf eine Reihe von Grundannahmen der seinerzeit vorherrschenden klassischen
Ökonomik.
Im Zentrum der in diesem Werk niedergelegten
alternativen Sicht auf die Wirtschaft steht die Frage der Vollbeschäftigung.
Wenn Keynes vom Sayschen Gesetz spricht, so meint er damit eine Attitüde und
eine Reihe von Annahmen, die sich hinter der Ansicht der arrivierten Ökonomen
seiner Zeit verbarg, die von ihnen beschriebene Wirtschaft sei, wenn ungestört
in ihrer Funktionslogik, in der Lage, für Vollbeschäftigung zu sorgen, dass
Arbeitslosigkeit externen Faktoren zu schulden sei, und dass die vollständige
Wiederherstellung der Funktionslogik einer freien Wirtschaft im Sinne der
klassischen Ökonomik dazu geeignet sei, Arbeitslosigkeit vollständig zu
überwinden. Anders gesagt: in einer freien Wirtschaft herrscht
Vollbeschäftigung; und wenn Arbeitslosigkeit aufgrund externer Störungen
(falsche Wirtschaftspolitik z.B.) entsteht, so ist das ungestörte Wirken der
Mechanismen einer freien Wirtschaft das beste Mittel, den Zustand der
Vollbeschäftigung neuerlich herbeizuführen.
Wie kommt die klassische Ökonomik dazu, eine
Marktwirtschaft als Vollbeschäftigungsmaschine darzustellen? Das Saysche Gesetz
gibt die kürzeste Antwort auf diese Frage. Ausgedrückt in einer Sentenz, die John Stuart
Mill zugeschrieben wird, besagt das Saysche Gesetz, dass jedes Angebot seine eigene Nachfrage erzeugt.
Mit anderen Worten, was produziert wird, was am Markt angeboten wird, trifft
immer auch schon auf ausreichende Nachfrage. Wenn dem so sei, dann gilt dies
auch für den Arbeitsmarkt, und das bedeutet, dass jedem Angebot an Arbeitskraft
immer schon eine ausreichende Nachfrage entspricht.
Wenn der Leser sich nun am Kopf kratzt und
vielleicht ein wenig mit der Stirn runzelt, so dürfte er sich nur noch mehr
wundern, wenn ich ihm versichere, dass die moderne Ökonomie nicht nur diese,
sondern noch viele andere befremdliche Annahmen in ihr axiomatisches Fundament
aufnimmt — zum Beispiel kennt sie weder Zeit noch Raum, und die Akteure, die in
ihr wirtschaften, verfügen über vollkommenes Wissen.
Im Vergleich dazu waren die klassischen Ökonomen
noch verhältnismäßig sparsam bei der Wahl theoretischer Voraussetzungen, die
uns nicht nur suspekt vorkommen müssen, sondern es auch ganz entschieden sind.
Von ihren modernen Kollegen werden sie in der Kunst des Drechselns absurder
Annahmen noch kräftig überboten. Das liegt fast schon paradoxerweise daran,
dass die Heutigen über bessere mathematische Ressourcen verfügen, die es
erlauben, die Wirtschaft als ein logisch in sich geschlossenes
Gleichgewichtssystem zu modellieren. Dabei besteht der Ehrgeiz der akademischen
Ökonomen, lange bevor sie an die Wirtschaft denken, darin, als Vertreter einer exakten
Wissenschaft zu gelten, was ihnen, wie sie fest glauben, durch den Einsatz
stimmiger mathematischer Modelle gelingt. Also erst kommt der Wunsch, mit den
so genannten exakten Wissenschaft gleichzuziehen. Dann kommt der Wunsch, ein
geschlossenes System mathematisch zu realisieren. Die nächste brennende
Ambition des Ökonomen besteht nun darin, geeignete Annahmen zu treffen, mit
denen er sich seinen Herzenswunsch erfüllen kann, vor der Welt mit einem exakt
wissenschaftlichen Modell renommieren zu können. Wenn diese Voraussetzungen
eines geschlossenen theoretischen Modells gefunden worden sind, dann erst sieht
sich der moderne Ökonom mit einem vagen Interesse nach den Geschehnissen in der
Wirtschaft um.
Heute ist es leichter, die Weltfremdheit der
ökonomischen Modelle nachzuweisen, die in den Wirtschaftswissenschaften und den
großen wirtschaftspolitischen Institutionen zum Einsatz kommen — aber die
Ökonomen sind erzieherisch darauf geeicht und verdienen ihr Geld damit, sich um
anderes zu kümmern. Verglichen damit war es, rein intellektuell, zu Keynes
Zeiten schwieriger, den klassischen Ökonomen auf die Spur zu kommen, da ihre
Modelle noch nicht so stark formalisiert waren und es eher möglich war,
kritische Annahmen vager darzustellen, zu übersehen, zu verschweigen, oder
hilfreiche Unstimmigkeiten mehr oder weniger unbemerkt durchgehen zu lassen.
Allein schon deshalb war immer ein gewisses Maß an Stilisierung, an künstlicher
Vereinfachung, im Spiel, wenn man, wie Keynes es tat, die Fehler des
ökonomischen Kanons benennen wollte. Auch wenn Keynes deswegen immer angreifbar
blieb (à la „nein, das hat Say so nicht gesagt“), die Hauptstoßrichtung seiner
Attacke war richtig, verheerend und erfolgreich.
Wenn ich die Zeit
dazu finde, werde ich in einem späteren Post auf die kontroverse Frage
eingehen, was der umstrittene Herr Jean Baptiste Say denn nun wirklich
geschrieben habe und ob die diversen Interpretationen des ihm zugeschriebenen
gleichnamigen Gesetzes, etwa die von Mill oder Keynes, tatsächlich als bis ins
Einzelne sachgerecht gelten dürfen. Maßgeblich für den vorliegenden Post ist,
dass sowohl die klassische als auch, ja mehr noch, die moderne neoklassische
Ökonomie auf den Annahmen basiert, die Keynes in seiner Kritik des Sayschen
Gesetzes, wie mir scheint durchaus zu Recht, an den Pranger stellt.
Eine
ausgezeichnete Serie von Blog-Beiträgen und bibliographischen Hinweisen zur
Geschichte und kritischen Bewertung des Sayschen Gesetzes findet man hier.
Zurück zu den sonderbaren Annahmen der
klassischen Ökonomik:
Wieso erwartete die klassische Ökonomik von dem,
was wir heute die freie Marktwirtschaft nennen, ein Regime der Vollbeschäftigung?
Welche Annahmen benötigte sie, um sich für die These stark zu machen, dass
Arbeitslosigkeit nicht der freien Wirtschaft anzulasten sei und diese vielmehr als
Heilmittel gelten durfte gegen Arbeitslosigkeit?
Fortsetzung hier.
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