Tuesday 11 December 2018

Ökonomie verstehen (2) – Gleichgewicht halten

Image credit: Hier sieht man Angebotskurve (S = supply) und Nachfragekurve (D = demand). Ihr Schnittpunkt bezeichnet den unten beschriebenen Gleichgewichtspreis. Die horizontale Achse steht für "Menge", die vertikale für "Preis". Je höher der Preis, desto größer das Angebot (die angebotene Menge); je niedriger der Preis, desto höher die Nachfrage (die nachgefragte Menge).




Gleichgewicht

Seit die Wirtschaftswissenschaften von einem Arzt namens Quesnay 1758 aus der Taufe gehoben wurde, dreht sich fast alles in dieser Disziplin um das Thema Gleichgewicht.
Ein wesentlicher Fortschritt in Quesnays Wirtschaftsmodell bestand in der Erkenntnis, dass Ausgaben nicht einfach nur verbraucht waren, sondern an anderer Stelle als Einnahmen erschienen, die nun wieder Ausgaben möglich machten und so weiter. Nicht mehr einzelne Phänomene des Wirtschaftslebens wurden untersucht, sondern es entstand ein Schema, mit dem erkennbar wurde, wie Produktion, Verteilung und Verbrauch zusammenhingen und einander bedingten. Der so entstehende Kreislauf würde sich sozusagen naturgesetzlich selbst regulieren, der Staat sollte so wenig wie möglich eingreifen: „Laissez faire et laisser passer“ wurde zum Wahlspruch der Physiokraten.
Quelle.

Wie entsteht eine Balance innerhalb der einzelnen Teile der Wirtschaft und zwischen ihnen dergestalt, dass sie sich zu einem leistungsfähigen Ganzen verzahnen. Dies ist die große Frage der Ökonomie, die sich in allerlei Abwandlungen wiederholt: Welche Arten von (Un-)Gleichgewicht gibt es? Wie enstehen oder vergehen (Un)Gleichgewichtslagen. Wie vollkommen, wie stabil sind sie? Was bewirken sie? Wie haben wir uns gegenüber ihnen zu verhalten? Und vor allem zunächt einmal: Was ist unter einem (Un-)Gleichgewicht zu verstehen?    

Jedem, der sich mit Ökonomie auseinandersetzt, gerade auch dem Anfänger, sei es wärmstens empfohlen, sich mit der Frage beschäftigen, wie eine Gleichgewichtslage überhaupt definiert ist. Was genau bedeutet es, dass ein Markt im Gleichgewicht sei? Was meint die Aussage, die Wirtschaft befände sich im Gleichgewicht? 

Bewahren Sie sich Ihre eigene kritische Haltung, wenn sie diesen Fragen nachgehen; bleiben Sie stets skeptisch gegenüber den Autoritäten des Fachs. Es wird viel von einander abgeschrieben unter den Experten, die sich ihrerseits gerne einfach auf die Tradition und auf noch spezialisiertere Experten, deren Werk sie nicht kennen, verlassen. Die gehobenen Rechenknechte, die sich mit den mathematischen Herleitungen der Gleichgewichtsbefunde befassen, begegnen ihren Modellen oft mit größerem Misstrauen als die für die Verbreitung der allgemeinen Botschaft zuständigen Experten. 

Kaum jemand tut sich damit hervor, die Fehler und Lücken laut und deutlich anzuprangern, die sich in den Grundlagen der Ökonomie und insbesondere in der Gleichgewichtstheorie verbergen. Es ist eher üblich, Fragwürdiges und Irrtümer zu überspielen. Eine beliebte Methode des Kaschierens besteht darin, zu behaupten bestimmte grundlegende Fragen seien zu anspruchsvoll für den Anfänger. Der  Argumentationszusammenhang wird auf weit auseinander liegende Teile verteilt – für Anfänger hier, für fortgeschrittenere "Semester" dort:  Wichtige Folgerungen und Behauptungen, tauchen erst hunderte von Seiten später oder an anderen Stellen der Literatur auf, sodass es schwierig ist, am Ball zu bleiben, um die Widerspruchsfreiheit der Schulökonomie zu überprüfen. Dem Anfänger werden wichtige Schlüsse vorenthalten. Hat er sich erst zum stolzen Fachmann gemausert, ist ihm nicht mehr erinnerlich, dass die Weisheiten der ersten Lektionen sich durchaus nicht mit der hohen Theorie verzahnen, um dem Gesamtbild die logische Konsistenz und Wirklichkeitsnähe zu verleihen, an die der fortgeschrittene Ökonom inzwischen fest glaubt.

Wenn es um Gleichgewicht in wirtschaftlichen Zusammenhängen geht, fällt es den Ökonomen schwer, das Gleichgewicht zu halten — statt abzukippen in verherrlichende Übertreibungen über die Schlüssigkeit und Anwendbarkeit ihrer diesbezüglichen Modelle.

Aber wovon reden wir überhaupt? Als erste Annäherung seien folgende Definitionen von einem wirtschaftlichen Gleichgewicht vorgestellt:

Wann befindet sich ein Markt im Gleichgewicht oder im Jargon der Ökonomen, wann "räumt der Markt"?

Betrachten wir den Arbeitsmarkt. Dort stehen sich Käufer und Verkäufer von Arbeitskraft gegenüber. Alle Verkäufer wollen ihre Arbeitskraft verkaufen. Alle Käufer möchten soviel Arbeit einkaufen, wie sie benötigen, um die Waren zu produzieren, von denen sie annehmen, dass sie sie mit Gewinn  absetzen können. Ein Gleichgewicht wird erzielt, wenn der Angebotspreis der Arbeit und ihr Nachfragepreis übereinstimmen. In diesem Fall kann das vollständige Angebot an Arbeit abgesetzt werden: Es gibt einen Preis, zu dem (a) alle Arbeitnehmer bereit sind zu arbeiten/ihre Arbeitskraft zu verkaufen und  zu dem gleichzeitig (b) Arbeitgeber, dieses Angebot an Arbeit in vollem Umfang aufkaufen. Der Markt wird geräumt.

Wäre der Preis höher als der markträumende Preis, würden einige Arbeiter ohne Arbeit bleiben, weil es sich für die Arbeitgeber nicht lohnt, sie einzustellen. 

Die Ökonomie geht davon aus, dass die Produktivität mit jedem zusätzlichen Arbeiter tendenziell nachlässt – der sogenannte abnehmende Grenznutzen der Arbeit –, sodass über einen bestimmten Punkt hinaus, zusätzliche Arbeit nicht mehr genug für das Unternehmen erwirtschaftet, um ihre Beschäftigung zu rechtfertigen. 

Wäre der Preis der Arbeit niedriger, ließen sich auch diese Arbeiter wirtschaftlich anstellen. Würde also der Angebotspreis nachgeben, bis er mit dem Nachfragepreis übereinstimmt, entstünde wieder eine Gleichgewichtslage. Umgekehrt, wenn noch Profitpotenzial ungenutzt bleibt, könnten die Arbeitgeber versuchen, durch einen höheren Lohn, diejenigen Arbeitnehmer anzulocken, die beim derzeitigen Lohnniveau nicht arbeiten wollen.

Also, ein markträumendes Gleichgewicht entsteht, wenn sich Angebots- und Nachfragepreis aufeinander zubewegen bis sie schließlich zusammenfallen und somit die größtmögliche Übereinstimmung zwischen der von zahlungsfähigen Interessenten nachgefragten und der von verkaufswilligen Verkäufern angebotenen Art und Menge  einer Ware erzielt wird.

Gleichgewichtsökonomie

Die Gleichgewichtsökonomie stellt sich eine Wirtschaft als aus mehreren Märkten bestehend vor, wovon jeder – wie soeben beschrieben – für sich, aber auch untereinander im Gleichgewicht sind. Um ein bestimmtes Profit potenzial zu erreichen bedürfen Unternehmen der  Finanzierung durch Sparer, ein Preisniveau ihrer angebotenen Waren, dem eine ausreichende Nachfrage bei den Abnehmern gegenüber steht und ein Lohnniveau, das es gestattet, diese Waren zum benötigten Preis und mit der erforderlichen Profitmarge herzustellen. Damit die Wirtschaft insgesamt im Gleichgewicht sei, müssen diese verschiedenen Märkte simultan ineinander greifen, sprich: Angebots- und Nachfragepreis am Markt für Arbeit, im Produktmarkt und am Kapitalmarkt übereinfallen, den jeweiligen Markt räumen und insgesamt für ein Gesamtgleichgewicht sorgen.   

In der Ökonomie dreht sich fast alles um wirtschaftliches Gleichgewicht und sei es, dass Ökonomen die Möglichkeit eines solchen Gleichgewichts infrage stellen. Es gibt gute Gründe zur Skepsis. Jeder, der sich auf Ökonomie einlässt, sollte kritisch hinterfragen, ob es den Ökonomen tatsächlich gelingt, eine überzeugende Gleichgewichtstheorie aufzustellen und ob die zu ihrem Nachweis vorgelegten empirischen Belege stichhaltig sind.

Ein guter Ökonom misstraut der Ökonomie.

Und ein guter Ökonom hält Gleichgewicht, wenn es um die Bewertung wirtschaftlicher Gleichgewichte geht: Er zeigt sich nicht voreingenommen zugunsten dieser oder jener Argumente.


Fortgesetzt hier.


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