Tuesday 25 December 2018

Der (falsche?) Kitzel der Ökonomie (3) – Die klassischen Wurzeln der modernen Wirtschaftstheorie – Das Angebot an Arbeit

Image credit


Fortgesetzt von hier.


Vor Keynes dominierte die klassische Ökonomik (KÖ) das akademische ("wissenschaftliche") Bild von der Wirtschaft. Deren Theorie des Beschäftigungsniveaus kannte so etwas wie unfreiwillige Arbeitslosigkeit nicht. Solange sich der Preis der Arbeit frei bewegen kann, wird sich laut KÖ immer ein Gleichgewicht in der Wirtschaft einstellen, bei dem die Nachfrage nach und das Angebot an Arbeit übereinstimmen.

Aus Sicht der KÖ konnte man demnach die Massenarbeitslosigkeit der 1930er Jahre nur damit erklären, dass der Preis der Arbeit (Löhne) durch illegitime Eingriffe in die Wirtschaft (gewerkschaftlichen Widerstand etc.) daran gehindert wurde, sich gleichgewichtsbildend anzupassen. Würden die Löhne nur ausreichend gesenkt, stünden bald alle wieder in Brot und Lohn.

Das Gleichgewicht im Arbeitsmarkt (Vollbeschäftigung) hängt laut KÖ ab vom 

  • Angebot an Arbeit (NS), wofür KÖ eine eigene Theorie der Güterabwägung aus Sicht der Lohnempfänger hat, und von der 


  • Nachfrage nach Arbeit (ND), wofür KÖ ebenfalls eine eigene Theorie der Güterabwägung aus Unternehmersicht hat.


Die Theorie vom Arbeitsangebot (NS) besagt, dass Arbeiter die Vorteile der Beschäftigung gegen ihre Nachteile abwägen. Diese Sichtweise der KÖ ist insofern von besonderem Interesse, als sie den Schlüssel dafür liefert, warum unfreiwillige Beschäftigungslosigkeit nach ihrer Auffassung nicht existieren kann. Wer arbeitslos ist, hat sich freiwillig für diesen Zustand entschieden.

Der Arbeiter kalkuliert also unentwegt das Verhältnis, in dem die Vorteile der Beschäftigung (Arbeitsleid und der Vorteil der Arbeit, nämlich die Einkommensbeschaffung) zu den Vorteilen der Freizeit stehen. Je höher der Lohn, desto teurer wird die Freizeit (steigende Opportunitätskosten der Freizeit ausgedrückt im Lohn bzw. dem realen Gegenwert dieses Lohns an Waren und Dienstleistungen).  

Die Arbeitsmarkttheorie der KÖ ist kompliziert und widersprüchlich. Nicht nur postuliert sie, dass Arbeiter auf ein niedriges Lohnniveau mit freiweilliger Arbeitslosigkeit reagieren. Auch vermischt sie in unklarer Weise zwei gegenläufige Effekte, den sogenannten Substitutions- und den sogenannten Einkommenseffekt. 

Aus der Perspektive des Substitutionseffekts wird der Reallohn durch das sogenannte Nachfragegesetz bestimmt, wonach desto mehr von einem Gut nachgefragt wird, desto günstiger sein Angebotspreis ist. Je höher die Löhne, desto weniger Freizeit muss für die Vorteile entlohnter Beschäftigung geopfert werden – oder umgekehrt: der Preis der Freizeit (des Verzichts auf entlohnte Beschäftigung) ist umso höher, je höher das Lohneinkommen (die erwerbbaren Vorteile aus entlohnter Arbeit), das einem bei Beschäftigungslosigkeit entgeht.

Nun gibt es aber auch die Theorie der normalen und der inferioren Güter. Normale Güter sind solche, von denen umso mehr nachgefragt wird, je höher das Einkommensniveau ist (je reicher die Menschen, desto größer die Nachfrage nach Porsche-Sportwagen) – die Nachfrage nach inferioren Gütern lässt mit steigendem Einkommen nach (je reicher die Menschen, desto geringer ihre Nachfrage nach billigen Brötchen aus dem Supermarkt im Vergleich zu Premium-Brötchen vom Bäcker).  

Aus der Perspektive des Einkommenseffekts ist Freizeit ein normales Gut, je mehr die Menschen verdienen, desto größer ist ihre Nachfrage nach diesem "Produkt".

Also gemäß Substitutionseffekt werden die Menschen mehr Arbeit anbieten/wählen, je höher der Lohn. Gemäß Einkommenseffekt werden sie aufgrund ihres höheren Einkommens mehr Freizeit und weniger (Gelegenheit, Geld zu verdienen mit) Arbeit nachfragen.

Unterm Strich aber entscheidet sich die KÖ dann doch für eine ansteigende Angebotskurve der Arbeit, d. h. die Bereitschaft zu arbeiten steigt mit dem Lohnniveau

An dem Punkt, wo die ansteigende Angebotskurve (NS) sich mit der fallenden Nachfragekurve (ND) schneidet, befindet sich der Arbeitsmarkt im Gleichgewicht: Alle, die arbeiten wollen, werden vom Markt absorbiert. Die Unternehmen wiederum sind in der Lage, genau die Anzahl an Arbeitern einzustellen, die sie benötigen, um gewinnbringend zu produzieren.

Image credit


Nachdem wir gesehen haben, wie sich die KÖ das Zustandekommen des Angebots an Arbeit vorstellt, wollen wir uns nun die andere Seite der Gleichgewichtsgleichung ansehen und also erfahren, was aus klassischer Sicht die Nachfrage nach Arbeit bestimmt.

Während sich uns die Pointe noch nicht offenbart, dass nämlich Arbeitslosigkeit auch bei vollkommen flexiblen Preisen entstehen kann, sollte man sich doch merken, dass die dargelegte Theorie vom Arbeitsangebot, insbesondere die Vorstellung, dass Arbeiter Arbeitslosigkeit freiwillig in Kauf nehmen im Sinne einer rationalen Abwägungsentscheidung, allen Theorien und Modellen (unausgesprochen und den Anwendern meist auch nicht bekannt oder erinnerlich) zugrundeliegt, mit denen uns die Angebotsökonomie noch heute wirtschaftspolitisch zu überzeugen versucht.

Und überhaupt: das Ganze wirkt ein wenig gesteltzt, nicht wahr?

Man kann sich leicht ausmalen, wie sich wohlhabende Liebhaber des Fachs fernab von der Realität der meisten Menschen, dem Ehrgeiz hingaben, eine neue exakte Wissenschaft ins Leben zur rufen.

Fortgesetzt hier.

No comments:

Post a Comment