Monday 31 December 2018

Der Sinn des Lebens

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Mit Sprache kann man erstaunliche Dinge tun – z. B. Handlungen vollziehen, die auf nichts anderem als einer Äußerung beruhen:

„Meine Worte hatten dich beleidigen sollen“ – hier wird durch eine Äußerung, eine Tat begangen, sichergestellt, dass ein verletzender Akt als solcher wahrgenommen wird. Die Sprachphilosophie spricht von einer sogenannten performativen Sprachhandlung oder einem illokutionären Akt.

Man kann auch durch die formale Struktur einer spachlichen Äußerung Menschen – wissentlich oder gezielt – in die Irre führen.

Wer eine Frage stellt, löst im Gegenüber unwillkürlich die Erwartung aus, eine Antwort sei erforderlich und möglich.

Ich habe lange gedacht, dies träfe zu, wenn die Frage gestellt wird:

Was ist der Sinn des Lebens?

Man werde durch die grammtikalische Struktur des Fragesatzes quasi in die Pflicht genommen, eine Antwort zu geben, wo es keine gibt.

Ich habe früher darauf geantwortet, dass es DAS LEBEN überhaupt nicht gibt, sondern nur einen Ablauf diskreter Lebensereignisse, die äußerst unterschiedlich sein können und nicht im Zusammenhang zu einander stehen, geschweige denn Teil einer lückenlosen Kette sein müssen. Die Frage suggeriert also ein Objekt, das überhaupt nicht existiert. 

Man kann versuchen, Aspekte des Lebens daraufhin zu bewerten, ob sie sinnvoll sind, einen Sinn ergeben, einen Sinn besitzen. Das Leben als Gesamtheit existiert aber nicht und kann daher nicht auf seinen Sinn hin befragt werden.

Selbst, wenn wir große Zusammenhänge unseres Lebens der Sinnfrage unterwerfen, und das vielleicht auch nach unserem Empfinden mit Erfolg, zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass auch diese „großen Würfe“, nur Ausschnitte sind in einem Ozean an Perspektiven und Gesichtspunkten, nach denen die unendlich vielfältigen Erfahrungen des Leben sich ordnen lassen. 

Vielleicht bestand der Sinn meines Lebens darin, ein Land zu missionieren, und nachdem mir dies gelungen ist, kann ich bekräftigen, dass mein Leben einen Sinn gehabt und sich dieser erfüllt habe. 

Doch wie gesagt, damit hebe ich nur einen Ausschnitt meines Lebens hervor.

Niemand bestreitet, dass man sinnvolle Ziele verfolgen oder ein Leben führen kann, das einem großen Ziel dient, von dem man empfindet, dass es der eigenen Existenz einen Sinn gibt. Freilich kann man sich darin täuschen oder diesem Gefühl, ein Leben zu leben, das durch eine große Sinn-Klammer zusammengehalten wird, verlustig gehen. Auch kann vieles, das zu einem sinnvollen Leben gehören könnte oder sollte, unterdrückt und verpasst werden, wenn man zu sehr auf das eine große Sinnthema hinlebt.

Der gesamte Fluß des Lebens enthält eine unendliche Fülle an Sinnhaftem, vieles davon trivial aber lebenswichtig – ein geordneter Tagesablauf zum Beispiel: genügend Schlaf, gute Nahrung, ausreichend Bewegung, erfolgreiche Tätigkeiten im Beruflichen und in anderen Kontexten. 

Vermutlich ist es sogar ein ganz besonders glückliches Talent, nicht allzu anfällig zu sein für Sirenenrufen, die dem Leben Sinn zu geben versprechen.

Eine Mutter von fanatischer Religiösität, die auf den einen, den ganz großen Sinn des Lebens hinausgreift, kann vielleicht ihre Kinder deswegen vernachlässigen und verdankt es nur ihrer Verblendung, dass sie nicht merkt wie ihr Leben – nach den eigenen Maßstäben – scheitert.

Ich glaube, es ist besser, das Thema zu portionieren und darauf zu achten, dass man Sinnvolles im Leben tut, statt alles auf die eine große Karte zu setzen.

Ich glaube auch, dass die beste Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens lautet: Es macht Spaß zu leben – ich lebe gerne.

Denn weder die Welt, in der wir leben, noch wir als Gewächse der Evolution, sind dafür gemacht, auf eine große, quasi lebenanschauliche Überwahrheit hin zu leben – so sehr sich auch Machthaber und ihre Schafe ein grandioses Bühnenbild mit dem totalitären Pomp von Absoluta und Ewiggültigem wünschen.

Der Mensch ist seine eigene Allzweckwaffe. Er ist ausgerüstet mit Dispositionen, Instinkten, starken emotionalen Orientierungshilfen. Wie David Hume es einmal, vielleicht etwas überspitzt ausgedrückt hat: Der Kopf ist der Sklave des Gefühls. Das heißt nicht, dass der Mensch kopflos, unüberlegt und irrational ist. Das Diktum ist darauf gemünzt, dass das, was dem Sinn des Lebens vielleicht am nächsten kommt, die Befriedigung ist, die der Mensch empfindet, wenn er seinen grundlegenden Neigungen gemäß leben kann. Die Logik, zu der unser Hirn fähig ist, verleiht dem Leben nicht seine Vitalkraft, das Gefühl der Lust an ihm. Das kommt aus der Tiefe des Gefühlsmäßigen, der Intuitionen und Instinkte.

Das Leben hat einen Sinn, wenn es Spaß macht – oder ein Iota weniger hedonistisch: wenn man sich in ihm wohlfühlt.

Der Sinn des Lebens ist die Freude am Spiel, das uns begleitet, bis wir sterben.

Natürlich kann auch ein übergreifender und lange durchgehaltener Zweck Teil des Bündels an Dingen sein, die unsrerem Leben Sinn verleihen. Aber in der Regel wird das Maß der Sinnhaftigkeit eines Lebens nicht durch Verfolgung eines Ziels, eines Motivs eine befriedigende Qualität, ein ausgewogenes Niveau erreichen, sondern dadurch, dass man offen bleibt für die Vielfalt der Neigungen, mit denen der Mensch ausgestattet ist als ein Lebewesen, das wie andere Tiere auch, nicht durch Gedanken allein, sondern durch die Empfindungen motiviert wird, in denen der Verstand wurzelt.

Wie dem auch sei, die Frage nach dem Sinn des Lebens ist aber von allgemeinerer Natur als die Inspektion des eigenen Lebensgefühls.

Es ist zweifelhaft, ob sich eine allgemeine, eine objektive, eine allgemein gültige Antwort geben lässt, oder ob es überhaupt erstrebenswert ist eine solche Universalklärung herbeizuführen. Sind daran nicht eher Machtsuchende interessiert, die die breite Bevölkerung auf ihre ideologischen Bedürfnisse einschwören möchten?

Traditionell ist die Frage nach dem Sinn des Lebens oft eine Fangfrage der Pfaffen gewesen, die den gesund Geerdeten – und umso effektiver den Labilen und Unsicheren – in das Durcheinander eines unerwarteten Rätsels stürzen, um ihn gefügig zu machen für ihre vorgestanzten Weisheiten.

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