Sunday 16 December 2018

Der (falsche?) Kitzel der Ökonomie (1) — Die klassischen Wurzeln der modernen Wirtschaftstheorie

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Der Titel widerspricht meiner Absicht – sollte er langweilig klingen. 

Eigentlich möchte ich Aufmerksamkeit wecken und für Spannung sorgen, indem ich die grundlegendsten Grundlagen der Ökonomie anspreche. Ich würde den Leser gerne darüber in Staunen versetzen, wie haltlos die fundamentalen Postulate der ehrwürdigen Ökonomenzunft sind. 

Allerdings habe ich gerade noch per Nachbesserung den ersten Teil der Überschrift eingefügt, um vielleicht Lust und Neugier beim Leser zu steigern.

Logische Lücken, totgeborene und verfaulte Wurzeln in der Ökonomie sind damit zu erklären, dass  ihre Ziele und Zwecke sich schneller und gründlicher geändert haben als das Lehrgebäude, mit dem sie unser Denken lenken will. 

Wir haben es mit einer Geologie des Moders zu tun, mit Sedimenten, die zum Überbau schlecht passen – mit verborgenen Annahmen, die nicht übereinstimmen mit der selbstbewussten Behauptung, die Ökonomie zeichne ein realistisches Bild der Wirtschaft und kläre uns sachgerecht über die Optionen auf, die wir im Umgang mit ihr haben.

Die Klassische Ökonomik (KÖ) behauptet, dass es keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit gäbe. 

Sie behauptet, dass die Märkte, aus denen die Wirtschaft sich zusammensetzt, immer im Gleichgewicht seien, im Einzelnen und in ihrem Zusammenspiel, sodass alle Ressourcen optimal verteilt und eingesetzt werden und wir daher in den Genuss der höchstmöglichen Leistungskraft der Wirtschaft gelangen – es sei denn, externe Faktoren störten dieses Gleichgewicht oder hinderten diese Gleichgewichtsordnung daran, auf das happy end zuzusteuern, zu dem ihre natürliche Mechanik unweigerlich führe.

Es ist natürlich nicht so, dass die klassische Ökonomik mit einer auf Realitätsnähe bedachten Beschreibung der Wirtschaft begonnen hätte. Vielmehr hat sie nachträglich rationalisiert – hat einen Idealzustand unterstellt – die Wirtschaft als Gleichgewichtsordnung – und ist vor Eifer gleich einen großen Schritt weitergesprungen, um zu erklären, was fehle, wenn das System aus den Fugen gerate, und welche Mechanismen außer Kraft gesetzt seien, wenn der natürliche Gleichgewichtszustand nicht erreicht werde.

Das Denken über die Wirtschaft hat seinen Anfang in den Bemühungen genommen, das Wirken wirtschaftlich selbstständiger Schichten zu rechtfertigen. Zu Recht wurde betont, dass Gutes zu erzielen sei, wenn ein freieres Wirtschaften gestattet werde und wie es gelingt, mit diesen Aktivitäten Gutes hervorzubringen.

Da gilt es Zusammenhänge freizulegen und sie zu erklären – zum Beispiel wie es zur Markträumung – dem Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage – kommt, Überangebot und Engepässe vermieden werden. 

Sherlock Holmes und die Ökonomik

Doch das Gepäck, das die Ökonomie bis heute mit sich herumträgt, enthält auch den Ehrgeiz eines rationalistischen Zeitalters, das uns treffend in der Figur des Sherlock Holmes versinnbildlicht worden ist. Holmes steht für eine Welt, die vollständig erklärbar ist.

Und das versucht auch die Ökonomie, die ihre Rationalisierungen in den Dienst der vermeintlich besten aller möglichen Welten stellt – jener,  für die sie Werbung machen will.

Dazu passt auch der unreife Eifer, den Status einer exakten Wissenschaft zu erlangen. Von dieser Sehnsucht getrieben, stürzt sich die Ökonomik in ein Abenteuer, bei dem sie den Realismus ihrer Darstellungen aus den Augen verliert. Sie verschreibt sich ganz den Details ihrer Rationalisierungsvehikel, schätzt Gleichungen und mathematische Methoden höher als den Zweck, etwas Sinnvolles über die Wirtschaft zu erfahren. 

War sie in ihren Anfängen eine nützliche Fackel, die Licht in die neue Welt des Kapitalismus bringen und den Unternehmern und den nach Selbstständigkeit drängenden Teilen der Bevölkerung verdiente Schützenhilfe leisten wollte, gestaltet sich die Ökonomik bald zum Instrument ideologischer Vorlieben. Sie fertigt Skizzen einer Welt an, in der die Interessen einer Klasse so geschickt verwischt werden, dass sie scheinbar mit den Interessen aller in Einklang stehen.

Erst Keynes stellt sich im Zuge der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre der ideologischen Vereinnahmung der Ökonomik in den Weg.

Die Makroökonomie wird geboren. Sie lehrt uns, dass die Mikroökonomie – die Beschreibung der Bedingungen, unter denen individuelle Wirtschaftssubjekte ihre Interessen maximieren können – nicht gleichzeitig schon eine Lehre sein kann, die auch die Funktionsweise, das Potenzial und die Anfälligkeiten der Gesamtwirtschaft angemessen wiedergibt.  

Die Gesamtwirtschaft folgt zum Teil ganz anderen Gesetzen als das wirtschaftlich maximierende Individuum (Einzelperson, Haushalt, Unternehmen).

Wenn ein einzelnes Unternehmen Löhne kürzt, kann dies gut für dessen Entwicklung sein, sogar eine betriebliche Erholung anstoßen, die langfristig zur Einstellung einer größeren Zahl an Mitarbeitern und zu höheren Löhnen führen mag. Wenn aber in der Wirtschaft insgesamt die Löhne gekürzt werden, lässt die Nachfrage auf breiter Front nach. Die Unternehmen mögen nun kostengünstiger und potenziell mit höherem Gewinn  produzieren, aber was nützt das, wenn ihnen die Kunden ausbleiben?

Was mikroökonomisch Sinn macht, ergibt makroökonomisch noch lange keinen Sinn.

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