Monday 24 December 2018

Der (falsche?) Kitzel der Ökonomie (2) — Die klassischen Wurzeln der modernen Wirtschaftstheorie

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Wenn Sie den Wirtschaftsteil Ihrer Tageszeitung aufschlagen, um sich von Fachkundigen über Zustand und Aussichten der Wirtschaft informieren zu lassen, sollte Ihnen bewusst sein, dass deren Denken auf vergessenen Annahmen realitätsferner Art beruht.

Entkleidet man die Ökonomik, kommt kein allzu wohlgeformter Körper zum Vorschein. Seine Formen hat man zurechtgebogen, um vorgefasste Ergebnisse zu beglaubigen. Solange dieser Körper noch in ein Laken eingehüllt ist, erscheint er verführerisch. In diesem Aufzug präsentiert sich die Wirtschaft als ein idealer Mechanismus. Sie ist selbstregulierend und führt immer zu einem Gleichgewicht, in dem optimale Zustände erfüllt sind: Arbeitslosigkeit ist unmöglich, der Produktionsausstoß ist von der Ressourcenausnutzung her unübertreffbar effizient und der auf diese Weise geschaffene Wohlstand verteilt sich so unter den Menschen, dass eine Verbesserung nicht möglich ist.

Den Ehrgeiz der Ökonomen inspirierten zwei Träume: Ihr Fach sollte (1) exakt wie die Physik sein und (2) den Beweis führen, dass die Wirtschaft wie sie sie sich vorstellen eine Gleichgewichtsordnung darstelle, die nicht nur für einen optimalen Ausstoß, sondern auch für eine harmonische Gesellschaft sorgt, in der niemand zu kurz kommt.

Der Ökonomen hat einen hohen Preis. Denn eine ökonomische Gleichgewichtsordnung, wie sie den klassischen und neoklassischen Ökonomen vorschwebt, lässt sich nur konstruieren, wenn grobe Verzerrungen der wirklichen Bedingungen in Kauf genommen werden. Zum Beispiel wird unterstellt, dass alle Wirtschaftsteilnehmer frei von Unsicherheit sind. Ja, Sie haben richtig gelesen: die Zukunft ist bekannt ebenso wie alle anderen Faktoren, die erfüllt sein müssen, damit die Pläne der Menschen sich optimal in einem Gleichgewichtssystem verzahnen.

Kurzum der Traum, die Wirtschaft durch ein Modell darzustellen, dass sich Verfahren der exakten Wissenschaften bedient (Mathematik) kann nur wahr werden, wenn der andere Traum – den selbstregulierenden Charakter der Wirtschaft nachzuweisen – aufgegeben oder per Irreführung aufrechterhalten wird.

Die Ablehnung staatlicher Eingriffe in diesen vermeintlich selbststeuerenden Mechanismus ist also unberechtigt, weil sie auf einer Entstellung der Wirklichkeit fußt. Das Wirtschaftsgeschehen ist kein Automatismus, sondern wird auf Schritt und Tritt beeinflusst durch menschliches Zutun, natürlich auch in seinen kollektiven Ausprägungen, wie z. B. gemeinsam beschlossenen Regeln.

Was vom Versprechen einer freien (sprich selbstregulierenden) Wirtschaft bleibt, ist ein hochabstraktes Modell – die ökonomische Gleichgewichtstheorie – ohne Bezug zur Wirklichkeit bzw. ein Versteckspiel der Ökonomen, die zum einen unterstellen, dass ihre Gleichgewichtstheorie von der Wirtschaft korrekt und also realistisch sei – was sie entschieden nicht ist – und dass die Formen des Eingreifens in die Wirtschaft, die sie ablehnen, den Vollzug der wirtschaftlichen Selbstregulierung verhindern - wohingegen Eingriffe, die ihnen genehm sind, frei von diesem Nachteil seien. Natürlich müssen Gleichgewichtsökonomen Wirtschaftseingriffe bestimmter Art fordern, denn die Wirtschaft ist kein Gleichgewichtsautomatismus. Aus diesem Grunde läuft ihre Argumentation darauf hinaus, ihnen das Monopol auf legitime Wirtschaftseingriffe zu übertragen. Sie tun so als wüssten sie, wie eine ideale und zugleich real betreibbare Wirtschaft aussähe — dabei sind sie an diesem Projekt kläglich gescheitert — und leiten aus dieser falschen Behauptung, das Privileg ab, die korrekte Wirtschaftspolitik für uns zu bestimmen.

Dies sollte man immer im Hinterkopf haben, wenn sich Vertreter der Schulökonomie zur Wirtschaft äußern.

Wir werden uns deshalb im nächsten Beitrag dieser Reihe den Grundannahmen zuwenden, die die zeitgenössiche Wirtschaftslehre von den klasssichen Ökonomen übernommen hat – ohne sich allzu genau daran erinnern zu wollen.

Die bis heute vorherrschende neoklassische Theorie – eine Ergänzung und Fortführung des Gleichgewichtsparadigmas der ökonomischen Klassik – hat jeden Versuch aufgegeben, ein realistisches Modell von der Wirtschaft zu kreieren; sie setzt ganz auf mathematische Eleganz, und schert sich nicht um Bagatellen wie Raum und Zeit. Gleichzeitig lebt sie vom Nachhall des ökonomischen Urknalls der klassischen Wirtschaftstheorie, deren Autoren sich noch die Mühe gemacht hatten, die Wirklichkeitsnähe ihrer Annahmen zu rechtfertigen.

Wer sich also ein Bild davon machen möchte, was Ökonomen eigentlich meinen, wenn sie von einer selbstregulierenden Wirtschaft sprechen, befasst man sich am besten mit dem Wirtschaftsmodell der klassischen Ökonomik – und das ist genau, was wir nun tun werden.

PS

Die mathematische Schlüssigkeit der modernen Gleichgewichtsökonomie wird also anhand eines (neoklassischen) Modells bewiesen, das absolut nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Das Funktionieren der Mechanismen, die der Wirtschaft angeblich zum Gleichgewicht verhelfen, wird wiederum mit den Modellen der klassischen Ökonomie erklärt.  Die modernen Ökonomen tun dann so, als hätten sie sowohl die Schlüssigkeit als auch den funktionellen Realismus (wie die Märkte funktionieren) ihres Wirtschaftsbildes schlagend bewiesen.

Was sie bewiesen haben, ist die Schlüssigkeit eines Glasperlenspiels, das nichts gemein hat mit der Wirtschaft. Die Gleichgewichtsmechanismen, die sie von der Klassik übernehmen, haben keine Entsprechung in der Wirtschaftsrealität, wie wir gleich sehen werden. 

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