Tuesday 30 August 2016

Aufdringliche Witzbolde

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Manchmal schießt einem ein Ausdruck durch den Kopf, und man weiß nicht wieso. Man benötigt ein wenig Zeit, um einzuordnen, was das Wort, die Phrase, der Satz ausdrücken wollen.

Als ich kürzlich ein Bild von Gene Wilder sah, waren sie da—die zwei Worte: aufdringlicher Witzbold. Und gleich flossen Bilder anderer aufdringlicher Witzbolde nach: Charlie Chaplin, Jerry Lewis, die immer gleichen Zirkusclowns.

Ich nenne sie so, weil sie einem überall begegnen und sich meine Mitmenschen so verhalten, als seien diese Darsteller urkomisch. Ich kann mich nicht daran erinnern je über Charlie Chaplin und seinesgleichen gelacht zu haben. Ich kann heute noch nicht lachen, wenn sich mir diese Typen aufdrängen—im Fernsehen oder, wie jetzt, unverhofft in einem Beitrag eines Blogs.

Stimmt etwas nicht mit mir? Oder gehöre ich vielleicht einer schweigenden Mehrheit an?

English summary: Aufdringliche Witzbolde—importunate jesters: it seems, I've never been "normal" as regards my feelings towards clowns like Gene Wilder, Charlie Chaplin, Jerry Lewis or similar figures one cannot help but run into, like the ordinary circus clown. They simply don't make me laugh. In fact, to me, they're remarkable for being not funny at all, leaving me with an awkward sense of being isolated, considering that most people seem to find their buffoonery hilarious. Is there something wrong with me, or am I part of a silent majority?

Sunday 28 August 2016

Pickings from a Deluge of Flotsam

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The below is in keeping with my growing suspicion that much of the economic discourse is fed by mythical tales, creed and ideological fervour. What makes economics so hard to practice responsibly is the cumbersome challenge to pick nuggets of truth while standing in a roaring deluge of flotsam.

Her discussion of policy options was mainly useful for those of us who are entertained by the collapse into incoherence of mainstream economics.

Brian Romanchuk on Janet Yellen's remarks at Jackson Hole, August 2016

Les amoureux de la "Deudeuche" à Wiltz, Luxembourg

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On Thursday, I've been to Wiltz, Luxembourg, where I was passed by a cute little car parade of 2 CVs — the most lovable vehicle I ever owned. 

Am Donnerstag war ich in Wiltz, Luxembourg, wo mir eine kleine, entzückende Karavane von 2 CVs begegnete — das liebenswerteste Gefährt, das ich je bessessen habe.

Des courbes originales, un style intemporel signé Flaminio Bertoni, un bruit typique émis par un petit moteur de deux cylindres: la 2 CV Citroën a séduit plusieurs générations. 

Des amoureux de la "Deudeuche" se sont rassemblés à Wiltz ce week-end avec leurs plus beaux spécimens. 
 
Cette rencontre est organisée chaque année à l'initiative du 2 CV club Luxembourg, qui compte plus de 130 membres. Il a été créé en 1979.

Les passionnés qui se sont retrouvés au camping de Toutschemillen venaient du Luxembourg, de France, Belgique, des Pays-Bas et d'Allemagne. Une soixantaine de "Deudeuches" étaient présentées.


 


Mehr über die Luxemburger Ardennen-Hauptstadt im ausgezeichneten Video weiter unten (leider nur in deutsch). More on Luxembourg's capital of the Ardennes in the below excellent video (unfortunately, available only in German).

 

Saturday 27 August 2016

UF (3) — The Blue Gravel Walk of Freedom


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Markets and other manifestations of liberty (like the rule of law) are not self-generating (unless you look at the matter in the most extensive time dimensions); they are dependent on conditions exogenous to the processes of liberty.

This is why I am interested in politics and the state; it is not sufficient to look at politics and the state from a purely normative point of view, you have to capture them in a positive theory to understand how they are related to the emergence, the contemporary stage and shape of freedom and its future prospects.

Liberty is a lot more messy than many people think – or to put it, I hope, more felicitously: I think of liberty as a gravel walk.

In between the gravel are beautiful blue globules. The globules are manifestations of liberty; the gravel is all sorts of other stuff, relevant and irrelevant, but also lots of stuff adverse to liberty. Historically, today and in the future liberty will always be fragmentary, dispersed, discontinuous, displaced, flattened, stretched, disrupted, superimposed upon by other stuff – in a word: liberty will always be a shimmering scheme in a gravel walk with different densities and distributional patterns of blue globules.

So, we ought to develop a keen eye for liberty in its real dispersion, in its actual coexistence with phenomena and structures many of which - such as state structures - being ambivalent vis-à-vis liberty or even antithetical to her.

To be able to defend and further liberty in the real world, I must be prepared to recognise it in its granular spread amongst the gravel. Liberty is often contaminated with non-liberty and the transition between liberty and nonliberty is continuous, and this within a multidimensional grid – there are blue globules underneath the top gravel.

The same agents and institutions may both enforce and destroy liberty, consider for an example disparate practices of the legal system. I agree with most of the things expressed in this blog in favour of free markets and liberty, which is why I am interested in what we have not yet said about liberty, especially that it is happening amongst us, right next to goings-on hardly compatible with liberty. I want to be able to name some of the 2 567 876 acts that every minute are committed in the USA to make liberty happen (including acts attributable to the Aunt Sallys of libertarian critique, like state institutions) – and not only the 3 453 876 acts perpetrated against liberty.

I want to understand the imperfection of liberty, to appreciate her the better, to grasp her more realistically and to be able to act more effectively in her favour in the messy political arena, where she is born and reborn, savaged and yet reborn anew.

Written in March 2013


FV (3) — Freiheit – ein bläulich schimmernder Kiesweg

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Über FV.


Märkte und andere Manifestationen der Freiheit, wie der Rechtsstaat, sind nicht befähigt, sich selbst ins Leben zu rufen, es sei denn man wählte einen außerordentlich großen Zeitrahmen, in dem evolutive Spuren sichtbar werden. Sie sind vielmehr abhängig von Bedingungen, die außerhalb der Prozesse liegen, aus denen die Freiheit hervorgeht.

Deshalb befasse ich mich mit Politik und Staat. Freilich ist es unzureichend, Politik und Staat aus rein normativer Perspektive zu betrachten. Vielmehr ist es erforderlich, sie durch die Optik einer positiven Theorie zu erfassen, so dass zu erkennen ist, wie diese Phänomene eingebettet sind in das Entstehungsgeschehen, das gegenwärtige Stadium, die jetzigen Formen der Freiheit und wie sie ihre Zukunftsaussichten beeinflussen.

Freiheit ist nicht der lupenreine Zustand, den manche in ihr sehen. Um es vielleicht, wie ich hoffe, etwas anschaulicher auszudrücken: Für mich ähnelt die Freiheit in gewisser Hinsicht einem bläulich schimmernden Kiesweg.

Zwischen den Kieselsteinen befinden sich wunderschöne, blaue Kügelchen. Sie sind die Manifestationen der Freiheit. Der Kies stellt alles mögliche Andere dar, ob von Bedeutung für die Freiheit oder nicht, aber eben auch Vieles, was der Freiheit schadet.

Historisch betrachtet, heute und auch künftig, wird es sich immer zeigen, dass die Freiheit von fragmentarischer Erscheinugsform ist, zerstreut, unterbrochen, verschoben, gedehnt, überlagert durch Anderes – in einem Wort: die Freiheit wird immer ein Schemengebilde in einem Kiesweg sein, auf dem die blauen Kügelchen in unterschiedlicher Dichte und Verteilung durchscheinen.

Man sollte ein scharfes Auge dafür entwickeln, wie sich die Elemente der Freiheit verteilen, wie sie sich in ihrem Nebeneinander mit Phänomenen und Strukturen einfügen, von denen viele unverträglich mit ihr sind oder in einem ambivalenten Verhältnis zu ihr stehen – so wie das z.B. bei staatlichen Strukturen der Fall sein kann.

Um in der Lage zu sein, die Freiheit in der wirklichen Welt zu verteidigen und zu fördern, gilt es, sich vertraut zu machen mit dem Weg, den sie mit ihren und fremden Elementen bildet. Häufig ist Freiheit belastet mit dem Unfreiheitlichen, und der Übergang zwischen Freiheit und Unfreiheit spielt sich in einem Kontinuum ab – die blauen Kügelchen der Freiheit vermischen sich mit vielerlei Anderem, unterhalb der Kiesdecke, auf den unterschiedlichsten Ebenen und in den diversesten Lagen.

Ich stimme größtenteil dem zu, was in diesem Blog [in dem der vorliegende Beitrag als Kommentar erschien, I.U.] an Positivem über freie Märkte und die Freiheit geäußert wird, doch das ist mir nur ein Grund dafür, auch sehr neugierg auf das zu sein, was wir noch nicht über die Freiheit gesagt haben – über ihr Stattfinden hier und jetzt in einer unvollkommenen Welt, die sich auf vielfache Weise gegen die Freiheit richtet. Ich will imstande sein, einige der 2 567 876 Handlungen zu benennen, die jede Minute in den USA vollführt werden, so dass die Freiheit stattfinden kann – natürlich einschließlich der Handlungen, die von (staatlichen) Institutionen vollzogen werden, die gerne als grundsätzlich freiheitshinderlich dargestellt werden  – und nicht nur die 3 453 876 Handlungen, die gegen die Freiheit gerichtet sind.

Ich möchte die Unvollkommenheit der Freiheit verstehen, damit ich ihr umso eher gerecht werde, sie desto realistischer erfasse und umso besser in der Lage bin, in den chaotischen Arenen der Politik wirkungsvoll zu ihren Gunsten aufzutreten, wo sie vernichtet und doch immer wieder neugeboren wird.

Geschrieben im März 2013

Friday 26 August 2016

The Joys of Failure

 
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Two quotes that will be useful to remember in the right kind of context.


Resentment is like drinking poison and then waiting for the other person to die. 

And:

If you ever read about great salespeople, they love rejection. If a salesman knows that he can close a sale half of the time, then having 30 rejections this month implies he also had about 30 sales.

The source.

Close — Knapp

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Narrow escape. Da hat nicht viel gefehlt.

Wednesday 24 August 2016

UF (2) — Political Sculpting – Aspects of a Theory of the State

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Concepts and institutions of liberty have emerged from efforts to oppose political practices and power structures that produce arbitrariness and tyranny. Politics and the state, therefore, are from the outset fundamental parameters in the development of freedom and her theories.

Presently, I am writing up, in fact, largely collating, the last section of the first part of my chapter on “Politics”. Before going on to analyse later in the chapter what I like to call the (potential) toxicity of the state, I find it necessary to define and explain the state phenomenon, how and why it came about, and why it has elicited an uninterrupted persistence since its ascent. It seems fair to suggest that the entire development of human civilisation, since the neolithic revolution that gave rise to sedentary agriculture roughly 10 000 years ago, has been accompanied by what one can make out to be state structures. To summarise the remarkable observation in the words of Douglas Cecil North:

… the creation of the state in the millenia following the first economic revolution [the neolithic revolution, I.U.] was the necessary condition for all subsequent economic development.

Structure an Change in Economic History, 1981,  p. 24

Why is the state such a faithful companion to humankind? I am not going to report my answers to these questions in the present post. I am mentioning these issues merely to provide the backdrop against which I shall write about the collating choices I am facing today.

In the chapter on “Politics,” I offer (i) an account of the origin of the state and (ii) three theorems which encapsulate the reasons why the emerging state was going to prove robustly persistent to this day, and most probably far into the future.

Moving on from these considerations, the passages in question today are meant to serve as a historic tapestry that illustrates a number of crucial points about the state, to wit:

  • (a) there are forces stronger than the state,

  • (b) holders of power are dependent on forces that they cannot control or manipulate to their liking,

  • (c) the shaping of the state is a highly complex process in which societal factions interact with power holders and functionaries of the state,

  • (d) as a result of (a), (b), and (c) the state is subject to an ongoing process of evolution, the outcome of which is neither predictable nor can it be (i) minutely planned and – on that basis – (ii) faithfully implemented.

Ultimately, the state is a spontaneous, a self-generating order created “by human action, but not by human design,” to borrow Adam Fergusson’s famous words.

To illustrate these general aspects, I have to bring three fragments into a meaningful order:

(i) Olson’s account of the origins of the state discernible in the transition of a regime of itinerant power claimants to a regime of stationary power holders, (ii) David Waldner’s and Michael Mann’s work on the characteristics of mediate and immediate states, as well as (iii) Spruyt’s research into the emergence of modern sovereign territorial or nation states, especially as instanced by the rise of the French kingship in the era of the Carpet dynasty.

I draw from Douglas C. North the overarching theme that helps me to unify the four above aspects. North shows that — on the most general level — the state has to balance two objectives: it is rationally induced to maximise both (i) the material means underlying its power, as well as (ii) the political support of its power.

This duplex objective function leaves considerable room for mismanagement (say in terms of economic advancement or human rights), but it also defines a corridor from which the state cannot deviate. There are limits to the destructiveness and inadequacy of the state, as well as incentives for it to promote progress.

In principle, it is rational for the state to support conditions of freedom and economic vitality, as long as

  • (i) the costs of fostering freedom and wealth do not surpass the benefits – see (II) and (III) – accruing to the ruler, 

  • (ii) requirements of political support do not outweigh and countervail economically conducive measures and institutions, and 

  • (iii) modes of rent seeking applied by power holders do not substantially undermine the prerequisites of freedom and wealth.

Olson demonstrates the fundamental tenet that  – in principle and subject to the above provisos – it is rational for a ruler to create conditions conducive to improved economic conditions, as can be seen from the advantages that roving bandits stand to gain by becoming stationary bandits with a stake – an encompassing interest – in their realm.

Waldner and Mann show that acquiring and maintaining power is always predicated on compromise, delegation, complicated negotiations and tactical games determining the distribution of  power and its spoils amongst a community of contenders. The ruler of the mediate state depends very strongly on other power holders (local notables), because he cannot (i) ensure sufficient concentration of military power for conquest – the core base of his dominance – AND (ii) adequate dispersion of his forces to provide desirable outcomes in local administration and other processes of peaceful ruling.

The tension is not resolved when the mediate state gives way to the immediate state, where the power centre controls bureaucracies that allow him to interfere immediately in the affairs of his subjects. Pars pro toto: the tax farmer- a local notable with his own power base – is replaced by the state revenue office – bureaucrats without an independent power base of their own.

Spruyt describes how coalitions of political elites need to be formed to generate structures of sustainable power. He gives us an account of how during the High Middle Age the emerging urban population and the French king forge a coalition against the Emperor, the clergy and the feudal lords of their time.

People will always contend for power – mostly relative power – to protect and further their interests – for instance, a company’s effort to change the law so as to remove a discriminatory clause. The state is a pattern that is moulded by the intersection of these multifarious endeavours for (mostly relative) standing, validation or dominance.

The historic “tapestry,” as I call it above, is  the prelude to the final section where I offer a general theory of the state, in which I model the state as a fluid network of negotiated relative shares of power.

The crux of the conclusion to which the above arguments lead up is: property rights and other rights that are fundamental to a free society are being originated by dint of the described state-forming process.

The lesson for liberty seems to be that freedom can only hope to gain prominence through this very process of political sculpting. The state is the sculpture. Hence, it is of the essence to be aware of the need to promote liberty politically, to study the process of political sculpting that determines cycles of prominence and obscurity for ideologies and their policies, and to participate in the political process to alter the character of the state in the direction of liberty.

FV — Politische Bildhauerei – Aspekte einer Staatstheorie

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Das Vokabular und die Institutionen der Freiheit sind aus Bemühungen hervorgegangen, politischen Praktiken und staatlichen Strukturen entgegenzutreten, die zu Willkür und Tyrannis führen. Politik und der Staat sind daher von Anbeginn an grundlegende Größen in der Entwicklung der Freiheit und der sich mit ihr befassenden Theorien.

Gegenwärtig befasse ich mich mit der Niederschrift – genauer eigentlich mit der Festlegung der Reihenfolge – der Passagen, die die letzten Abschnitte des ersten Teils meines Kapitels über “Politik” ausmachen. Bevor ich später im Kapitel dazu übergehe, das genauer zu analysieren, was ich gerne die (potenzielle) Toxizität des Staats nenne, erscheint es mir nötig, das Phänomen des Staats zu definieren, und zu erklären und darauf einzugehen, wie und warum es entstanden ist, und wieso es seit seinen Anfängen ohne Unterbrechung bis heute präsent bleibt. Mit Fug und Recht lässt sich behaupten, dass seit der neolithischen Revolution, die der sesshaften Landwirtschaft vor rund 10 000 Jahren zum Durchbruch verhilft, die gesamte Entwicklungsgeschichte der menschlichen Zivilisation begleitet wird von der Präsenz staatlicher Strukturen. Douglas Cecil North fasst diesen bemerkenswerten Umstand mit folgenden Worten zusammen:

… the creation of the state in the millenia following the first economic revolution [the neolithic revolution, I.U.] was the necessary condition for all subsequent economic development.

… die Schaffung des Staats in den Jahrtausenden, die auf die erste ökonomische Revolution [die neolithische Revolution, I.U.] folgen, war die notwendige Bedingung für jede weitere wirtschaftliche Entwicklung.

Structure and Change in Economic History, 1981,  S. 24.

Warum ist der Staat ein derart getreuer Begleiter der Menschheit? Ich werde meine Antworten auf diese Frage nicht im vorliegenden Beitrag darlegen. Ich erwähne sie lediglich, um den Hintergrund anzugeben, vor dem sich mir die Fragen hinsichtlich der Anordnung der oben erwähnten Passagen stellen.

Im Kapitel über “Politik”, biete ich (i) eine Darstellung der Ursprünge des Staats und (ii) drei Theoreme, die die Gründe dafür zusammenfassen, warum der entstehende Staat sich bis heute als ein Phänomen von unverwüstlicher Präsenz erweisen sollte, wahrscheinlich noch bis weit in die Zukunft.
Ausgehend von diesen Überlegungen sind die in Frage stehenden Passagen gedacht als ein Bilderteppich historischer Szenen, anhand derer sich eine Reihe von zentralen Einsichten in den Charakter des Staats veranschaulichen lassen, namentlich, dass:

  • (a) es Kräfte gibt, die stärker sind als der Staat,

  • (b) Machthaber abhängig von Kräften sind, die sie nicht zu kontrollieren oder nach ihrem Belieben zu manipulieren vermögen.

  • (c) die Herausbildung des Staats ein außerordentlich komplexer Prozess ist, in dem gesellschaftliche Gruppierungen in Wechselwirkung zu Machthabern und Funktionären des Staats stehen,

  • (d) als Resultat von (a), (b), und (c) der Staat einem fortlaufenden Prozess der Evolution unterliegt, dessen Ausgang weder vorhersehbar ist noch (i) im Einzelnen geplant und (ii)  auf dieser Basis getreulich umgesetzt werden kann.

Letzten Endes ist der Staat eine spontane, eine sich selbst erzeugende Ordnung, deren Entstehen sich “menschlichen Handlungen, nicht aber einem menschlichen Plan” verdankt, um Adam Fergussons bekanntes Diktum zu bemühen: “by human action, but not by human design.”

Um diese allgemeinen Gesichtspunkte zu veranschaulichen, muss ich nun eine sinnvolle Zusammenstellung für drei Fragmente meines Manuskripts finden:

Dabei handelt es sich um Olsons Erklärung des Ursprungs des Staats, der sich aus dem Übergang von Herrschaftsformen, die von umherziehenden Machtaspiranten geprägt sind zu einem Regime-Typus, der sich durch sesshafte Machthaber auszeichnet. Des Weiteren handelt sich um Arbeiten von David Waldner und Michael Mann, die sich mit den Merkmalen mittelbarer und unmittelbarer Staaten (mediate and immediate state) befassen. Schließlich noch Spruyts Forschungsergebnisses bezüglich des Aufkommens souveräner Territorialoder Nationalstaats, besonders am Beispiel des Aufstiegs des französischen Königtums in der Epoche der Karpetinger Dynastie.

Um die vier oben aufgeführten Aspekte zusammenzuführen, lehne ich mich an eine übergreifende Themenspange an, die ich Douglas Cecil North entnehme. Er zeigt, dass – auf der Stufe der höchsten Verallgemeinerung – der Staat zwei Ziele in Einklang miteinander zu bringen hat:

Es entspricht dem Rationalitätskalkül des Staats sowohl (i) die materielle Basis seiner Macht, als auch (ii) die politische Unterstützung seiner Macht zu maximieren. Diese doppelte Zielfunktion lässst viel Raum für schlechte Lösungen (etwa im Sinne wirtschaftlicher Entwicklung oder hinsichtlich des Schutzes von Menschenrechten). Aber sie definiert zugleich einen Korridor, den der Staat nicht verlassen kann. Es gibt somit Grenzen für die Destruktivität und Unzulänglichkeit des Staats, ebenso wie Anreize, fortschrittliche Entwicklungen zu fördern.

Grundsätzlich ist es rational für den Staat Bedingungen zu unterstützen, die Freiheit und wirtschaftliche Besserstellung begünstigen – solange

  • (i) the Kosten der Unterstützung von Freiheit und Wohlstand nicht die Vorteile übertreffen – siehe (ii) und (iii) -, die dem Machthaber entstehen, 

  • (ii) Erfordernisse, die der Sicherung politischer Unterstützung dienen, nicht wirtschaftlich förderlichen Maßnahmen und Institutionen entgegenwirken, und 

  • (iii)  die Gewährleistung des Zuflusses von politische Renten, die der Machthaber für sich beansprucht, nicht Maßnahmen verlangt, die Freiheit und Wohlstand konterkarieren.

Olson verdeutlicht den fundamentalen Lehrsatz, wonach es – prinzipiell und vorbehaltlich der oben angesprochenen Einschränkungen – dem rationalen Interesse eines Herrschers entspricht, verbesserte wirtschaftliche Bedingungen herbeizuführen, wie zu erkennen ist an den erheblichen Vorteilen, die sich umherziehenden Machtaspiranten erschließen, wenn sie sich als “sesshafte Banditen” niederlassen und ein umfassendes Interesse” (“encompassing interest”) an ihrem neuen Reich entwickeln.

Waldner und Mann demonstrieren, das Erwerb und Erhalt von Macht stets abhängig ist von Kompromissen, von der Übertragung von Zuständigkeiten an Dritte, von komplizierten Verhandlungen und taktischen Manövern, mit denen die Verteilung der Macht und ihrer Spolien fortlaufend und ewig veränderlich unter einer Vielzahl von Aspiranten geregelt werden.

Der Herrscher im unmittelbaren Staat sieht sich starken Abhängigkeiten gegenüber anderen Machthabern (orstansässigen Notabeln) ausgesetzt. Denn er kann nicht beides gewährleisten: (i) einen ausreichenden Konzentrationsgrad der militärischen  Kräfte, mit denen er seine Raubzüge vollführt und seine Herrschaftsansprüche durchsetzt, UND  (ii) eine angemessene Auffächerung seiner Kräfte, um den Anforderungen gerecht zu werden, die bei der Verwaltung des Reichs und anderen Aufgaben des friedlichen Regierens erfüllt sein wollen.

Wie Spruyt aufzeigt, löst sich diese Spannung nicht auf beim Übergang vom mittelbaren zum unmittelbaren Staat. Im unmittelbaren Staat vermag das Herrschaftszentrum mit der Hilfe entsprechender Bürokratien allenthalben im Reich unmittelbare Macht über das Leben seiner Untertanen auszuüben. Pars pro toto: der fürstliche Steuerpächter mit eigener lokaler Machtbasis weicht dem Finanzamt, das über keine vergleichbare eigene Machtbasis verfügt.

Spruyt untersucht wie Koalitionen von politischen Eliten geschmiedet werden müssen damit Strukturen nachhaltiger Macht entstehen können. Er beschreibt wie im Verlaufe des Hohen Mittelalters die städtischen Bevölkerungen und er französische König eine Koalition bilden, um sich wirkungsvoll gegen die Ansprüche des Kaisers, des Klerus und der Feudalherren abzugrenzen.

Menschen werden immer nach Macht streben — vor allem nach relativer Macht, Macht, relativ zu den Gegebenheiten ihrer Umgebung und ihrer Mitmenschen — um ihre Interessen zu verteidigen oder geltend zu machen — und sei es, dass ein Unternehmen sich um eine Gesetzesänderung bemüht, damit eine Klausel gestrichen  wird, die sich für die Geschäftsaussichten nachteilig auswirkt. Der Staat ist ein Gebilde, das geformt wird im Überschneidungsbereich vielfältigster Bemühungen, bestimmten Überzeugungen und Interessen zu (meist relativer) Geltung, Gültigkeit und Vorherrschaft zu verhelfen.

Der historische Bilderteppich, wie ich es oben nannte, ist der Auftakt zum letzten Abschnitt, in dem ich eine allgemeine Staatstheorie anbiete. Darin erscheint der Staat als ein im Fluss befindliches Geflecht an relativen Machtanteilen, die ständiger Aushandlung und Neubestimmung unterliegen.

Die Crux der Folgerungen, zu denen die oben angeführten Argumente Anlass geben, lautet: Eigentumsrechte und andere Rechte, die grundlegend für eine freie Gesellschaft sind, werden durch den soeben beschriebenen Prozess der Staatsbildung ins Leben gerufen.

Die Lektion für die Freiheit besteht in der Erkenntnis, dass ihre Konturen sich ausprägen in einem Prozess, den man als politische Bildhauerei bezeichnen könnte. Der Staat ist die Skulptur. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, sich bewusst zu machen, wie wichtig es ist, die Freiheit politisch zu fördern, die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Bildhauerei sorgfältig kennen zu lernen — denn sie bestimmen die Zyklen schwankender Geltung, denen Ideologien und politische Vorgehensweisen unterliegen — und sich am politischen Prozess zu beteiligen, um den Charakter des Staats im Sinne des Freiheitsideals zu beeinflussen.

Ökonomie und Finanzwirtschaft (5) — Über einen maßgeblichen Unterschied



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Fortgesetzt von hier.


Es drängt sich die Frage auf: unter welchen Umständen sorgt das Finanz-System dafür, dass die Produktion von Gütern begünstigt wird und die Erzielung von Einkommen in gesunder und nachhaltiger Weise erfolgen kann? Und wann leistet das System der Spekulation und der Abzweigung von Renten (produktivwirtschaftlich unberechtigten Gewinnen) Vorschub?

Die klassischen Ökonomen untersuchten Renteneinkommen, die dem Besitz von Land zu verdanken waren. Minsky befasste sich später mit Kapitalerträgen aus Investitionen mit geliehenem Geld („investment on margin“) und schlug unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 eine Entwicklungskaskade vor, die von der Hedge-Finanzierung (volle Deckung der Kreditverpflichtungen durch Einnahmen des Kreditnehmers) über die spekulative Finanzierung (Einnahmen-Deckung nur noch des Zinsdiensts) bis zur Ponzi-Finanzierung (Deckung aus Kursgewinnen) reicht — eine Spirale der Übersteigerung, mit der Minsky die These begründet, dass Stabilität Instabilität gebiert, sprich: solide wirtschaftliche Verhältnisse nach und nach zu immer riskanteren Finanztransaktionen verleiten. So wenig die Theorie der Renten nur für den Produktionsfaktor Boden, für den sie entwickelt wurde, gilt, so wenig trifft Minskys Instabilitäts-Hypothese nur auf Aktienmärkte zu.

So hat in unserer Zeit die Abzweigung von Renten ihre wohl größten Exzesse bei Verbraucherkrediten, insbesondere bei der Vergabe von Krediten für die Zwecke der Immobilienfinanzierung erlebt. Um diese Art der Kreditgewährung abzugrenzen gegen die Kreditfinanzierung produktiver Investitionen sollte man laut Bezemer und Hudson unterscheiden zwischen Finanzierungen, die Einkommen ermöglichen, und solchen, die die Stabilität des Finanz-Systems gefährden, oder wie man auch sagt: die systemische Finanzfragilität erhöhen. Man betrachte Tabelle 1 und Abbildung 3:





Kredite an Unternehmen des Nicht-Finanz-Sektors tragen dazu bei, produktive Investitionen und Innovationen in der Wirtschaft und somit auch das BIP-Wachstum anzukurbeln.

Ein geliehener Dollar, der zu Investitionszwecken ausgegeben wird, hat eine proportionale Erhöhung des Einkommens zur Folge. Ist zudem das Geschäftsmodell brauchbar, das auf diese Weise finanziert wird, werden die aus der ausgeweiteten Produktion erzielten Einnahmenhöher sein als der betrag, der zur Deckung der Kreditverbindlichkeiten an den Kreditgeber rückgeführt werden muss: es besteht keine Gefahr, dass sich Finanzfragilität breitmacht. Zwar erhöhen sich die zu bedienenden Verbindlichkeiten, doch gleichermaßen auch das Einkommen. Die Schuldenquote, der Quotient der Verbindlichkeiten zu Einkommen, hat keinen zwingenden Anlass zu steigen.

Zwar tragen Verbraucher-Kredite an private Haushalte, nicht anders als Kredite an Unternehmen des Nicht-Finanz-Sektors, zum Anstieg der Kaufkraft und der effektiven Nachfrage bei, wodurch sich das BIP wächst, aber erstere zeichnen sich gegenüber letzteren durch zwei Eigenarten aus, die, bei gleichem Kreditbetrag, ihre Wachstumswirkung beschränken und für eine größere Neigung sorgen, zur Finanzfragilität beizutragen.

Das erste dieser Merkmale ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen der Schuldenlast und dem Einkommen, das sich mit Hilfe des Kredits erzielen lässt: anders als bei Unternehmenskrediten ist es bei Verbraucherkrediten nicht so, dass sie dazu verwendet werden, Einkommen zu erarbeiten, mit dem sich der Kredit zurückzahlen lässt. Die aufgrund der Verschuldung erzielbaren Einnahmen und die Kreditverbindlichkeiten befinden sich nicht in der gleichen Bilanz. Außer wenn makro-ökonomische Flüsse Einnahmen von den Firmen zu den Haushalten (z.B. in Form von Löhnen) umlenken, erzeugen Verbraucherkredite verletzliche Flanken in den Bilanzen der privaten Haushalte.

Was überdies die Wirkung von Verbindlichkeiten auf die Einkommenserzeugung betrifft, sind Verbraucherkredite privater Haushalte wegen der mit ihnen verbundnen sehr hohen Zinsraten kein sonderlich effizientes Mittel, die Produktion zu finanzieren. Eine Reihe von Studien haben gezeigt, dass der volkswirtschaftliche Wachstumseffekt von Verbraucherkrediten deutlich geringer ist als der von Firmenkrediten. Jeder Dollar an Mehrwert, der durch die Bereitstellung von Verbraucherkrediten an den Mann gebracht werden kann, muss mit einem höheren Betrag für den Schuldendienst bezahlt werden, als im Fall von Unternehmenskrediten. Bezemer weist nach, dass das Verhältnis des Wachstums an privaten Verbindlichkeiten zum BIP-Wachstum von durchschnittlich 2:1 in den 1950er und 1960er Jahren auf 4:1 in den 1990er und 2000er Jahren angestiegen ist. Freilich ist dieser Trend nicht allein mit Verbraucherkrediten zu erklären — eine noch größere Gruppe unter den Verbindlichkeiten der privaten Haushalte bilden Baufinanzierungs-Kredite.

Genau wie Verbraucherkredite erhöhen Hypotheken-Kredite die Schuldenlast, ohne jedoch eine Einkommenssteigerung zu bewirken. Dies trägt zu erhöhter Finanzfragilität bei. Anders als Verbraucherkredit, erzeugen Hypotheken-Kredite jedoch kein Einkommen in anderen Bereichen der Wirtschaft. Hypotheken-Kredite werden ausgereicht, um Vermögenswerte zu erwerben, größtenteils solche, die bereits existieren. Was sie zur Folge haben können sind Kapitalzuwächse beim Wert der Immobilie, aber nicht Einkommen aus der Produktion von Gütern oder der Bereitstellung von Dienstleistungen. Dieser Unterschied verwischt sich ein wenig, wenn Hypotheken-Kredite benutzt werden, um den laufenden Verbrauch oder den Bau einer neuen Hauses zu finanzieren, doch machen diese Kategorien nur einen verschwindend kleinen Teil aller Hypotheken-Kredite aus.

Kommt noch hinzu, dass Immobilien sich zum größten Markt für Vermögenswerte — und dem mit der höchsten Beteiligungsquote der Bevölkerung — in allen westlichen Volkswirtschaften entwickelt haben. Wenn jeder kreditfinanzierte Immobilien-Erwerb seit den 1970er Jahren mit einem kleinen Aufschlag für den nächsten Käufer-Kreditnehmer verbunden war, dann dürfte der dramatische Anstieg des Immobilienbesitzes seit damals die Abzweigung von Renten und den Zinszufluss an die Hypotheken-Gläubiger deutlich erhöht haben. Nun haben sich ja nicht nur inländische Immobilienkäufer sondern, dank der Verbriefung von Hypotheken-Verbindlichkeiten, auch Investoren aus der ganzen Welt an diesem Markt beteiligt. Wie in einem Schneeballsystem („Ponzi scheme“), kann sich die Nachfrage über umso größere Zeiträume strecken, je größer das Einkommen, das den Teilnehmern des betreffenden Marktes winkt. Je mehr Interessenten sich anlocken lassen, desto länger dreht sich das Ketten-Karussell und desto höher fliegen die Fahrgastsitze. Das ist ein wichtiger Grund dafür, warum sich der Kredit-Boom im Hypotheken-Bereich von den 1990er Jahren bis 2007 hinziehen konnte, und das in vielen verschiedenen Ländern des wirtschaftlich entwickelten Westens gleichzeitig.

Zudem sind Hypotheken-Kredite insofern einzigartig, als sie in besonderem Maße für volkswirtschaftliche Finanzfragilität sorgen können. Die Hebelwirkung hoher Schulden und ihre weite Verbreitung bedeuten, dass bei fallenden Immobilienpreisen die Budgets vieler Haushalte stark belastet werden und so gar nicht, kaum oder nur noch wenig zur Aufrechterhaltung der Nachfrage beitragen können. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines Konjunktureinbruchs am Immobilienmarkt sind umso größer als (Sicherheiten aus) Baufinanzierungen auch einen bedeutenden Posten in den Bilanzen der Banken darstellen und wiederum deren Finanzfragilität stark erhöhen. In schlechten Zeiten schlagen entsprechende Einbußen bei den Banken nicht nur auf deren Bereitschaft zur Kreditvergabe bei Immobilien durch, sondern nehmen ihnen auch den Appetit an Unternehmensfinanzierungen.




Fortgesetzt hier.

Tuesday 23 August 2016

Ökonomie und Finanzwirtschaft (4) — Über einen maßgeblichen Unterschied

 
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Fortgesetzt von hier.

Man war nicht immer blind gegenüber den Fehlleistungen, zu denen des Finanz-System fähig ist. Tatsächlich stellt das moderne ökonomische Denken in dieser Hinsicht einen Rückschritt gegenüber früheren Zeiten dar. Denn was die Eigenart des Bankwesens und der Hochfinanz betrifft, in die Wirtschaft einzugreifen, um ihr Austerität und eine polarisierte Verteilung von Einkommen und Vermögen aufzuerlegen, ignoriert die moderne Ökonomie die Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts, ja des Mittelalters und selbst der klassischen Antike. In Kapitel 30 des Kapitals unterscheidet Marx „Kredit, dessen Umfang mit dem Umfang des Werts der Produktion wächst“ und „dem Überangebot an Geldkapital" oder, wie er auch schreibt,  "jener Plethora an Leihkapital — "einem besondren Phänomen ... neben" der industriellen Produktion. Ebenso unterschied Keynes zwischen „Geld in der Finanz-Zirkulation“ und „Geld in der industriellen Zirkulation“. (Siehe Original wg. Quellenangaben aller, auch der folgenden Zitate).

Schon 1984 äußerte sich Tobin besorgt darüber, dass “wir einen immer größeren Teil unserer Ressourcen, einschließlich der Crème unserer Jugend, im Bereich der von der Produktion von Gütern und Dienstleistungen fernen Finanzaktivitäten einsetzen.“ In seinen späten Jahren warnte Minsky vor “dem Kapitalismus der Money Manager”, den er vom Industriekapitalismus unterschied. Autoren wie Richard Werner und Randolph Wray haben Irving Fishers Austausch-Gleichung (MV=PT) modifiziert, um Kredite an die “reale” Wirtschaft von solchen an die Finanz- und Vermögens-Sektoren abzugrenzen.

Werner konstatiert anhand von Daten der japanischen Wirtschaft „eine stabile Beziehung zwischen ‚Geld’ (Kredit an den realwirtschaftlichen Sektor), welches der Realwirtschaft zugute kommt, und dem nominellen BIP.“ Ebenso beobachten Wynne Godley und Gennaro Zezza bei ihrer Analyse der Vereinigten Staaten: „In der Vergangenheit sind erhebliche konjunkturelle Abkühlungen oft von einem Rückgang in der Netto-Kreditvergabe begleitet gewesen. Beide Faktoren haben sich in einem Maße parallel bewegt, das schon erstaunlich ist“. „Analysten der amerikanischen Zentralbank haben festgestellt, dass sich über längere Zeiträume eine recht enge Beziehung zwischen dem Wachstum der Verbindlichkeiten des Nicht-Finanz-Sektors und dem Niveau der gesamtwirtschaftlichen Aktivität abzeichnet.“

Derartige Korrelationen legen ein direktes Verhältnis zwischen Bank-Krediten und dem Leistungsniveau des Nicht-Finanz-Sektors nahe (siehe Abbildung 1). Das Wachstum der an die Realwirtschaft vergebenen Kredite verlief von den 1950er Jahren bis Mitte der 1980er Jahre parallel zur Entwicklung des nominellen BIP — bis eben die Finanzialisierung um sich zu greifen begann. Bis Anfang der 1980er Jahre verlief diese Parallelbewegung in nahezu exakter Übereinstimmung.



Abbildung ("Figure") 1 lässt erkennen, dass der realwirtschaftliche Sektor ab Mitte der 1980er Jahre ein Kreditvolumen in Anspruch nahm, das höher als sein Einkommen war. Über diesen bemerkenswerten Trend sagte Wynne Godley 1999: „das rasante Wachstum während der vergangenen sieben Jahre war nur möglich als Resultat eines spektakulären Anstiegs privater Ausgaben relativ zum Einkommen. Dieser Anstieg hat den Privatsektor in ein finanzielles Defizit getrieben, das seinesgleichen sucht."

Die privaten Haushalte häuften negative Ersparnisse an. Unternehmen erwirtschaften Gewinne nun nicht mehr durch den Verkauf von Waren und Dienstleistungen, sondern durch Erzielung von Kapitalgewinnen und andere rein finanzielle Transaktionen. Aus Gneral Electric wurde GE Capital. Grydanki und Bezemer machen uns darauf aufmerksam, dass der Anstieg der Verbindlichkeiten jene fast unheimliche Ruhe erklärt, die während der Zeit herrschte, als sich die große Finanzblase nach und nach aufpumpte. Später als „the Great Moderation“ bezeichnet, sahen Akteure wie Greenspan, Bernanke und andere in dieser „windstillen“ Phase das Ergebnis ihres geldpolitischen Geschicks. Tatsächlich hatte man es mit der Ruhe vor dem Sturm zu tun.



UF (1) — Coexistence of State and Freedom

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Those who subscribe to a radical dismissal of the state as being a condition of freedom seem to be facing a conundrum.

If the absence of state structures is a condition of freedom, then mankind has never enjoyed freedom. But then, how is one to account for differences, say, between Communist East Germany and West Germany without referring to less than trivial aspects of freedom?

However, once a notion of freedom is admitted that allows for differential degrees of liberty, it becomes inevitable to explain how state and freedom can coexist.

In fact, it is possible to argue rather compellingly that freedom is particularly pronounced in countries with very sophisticated, powerful state structures that elicit high levels of societal permeation. Who would challenge the contention that state structures in the US are more sophisticated, more powerful, and more ubiquitous in people’s lives than state structures in Mali? Who would deny the higher degree of liberty in the US compared to Mali?

The conundrum appears to suggest the need for careful research into the coexistence of state and freedom.

German twin post.


February 2013

FV (1) — Das Nebeneinander von Staat und Freiheit

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Anhänger der Vorstellung, wonach die Abwesenheit staatlicher Strukturen eine Bedingung der Freiheit sei, haben sich mit folgendem Dilemma auseinanderzusetzen.

Wenn die Abwesenheit staatlicher Strukturen eine Bedingung der Freiheit ist, dann hat die Menschheit niemals Freiheit erfahren. Doch ist es möglich, Unterschiede, sagen wir, zwischen der BRD und der DDR zu erklären, ohne nichttriviale Merkmale der Freiheit zu berühren?

Tatsächlich kann man wohl mit großer Plausibilität argumentieren, dass die Freiheit gerade in Ländern besonders ausgeprägt ist, in denen staatliche Strukturen einen hohen Entwicklungsstand aufweisen, über sehr viel Macht verfügen und das gesellschaftliche Leben in starkem Maße durchdringen. Wer wollte die Auffassung in Frage stellen, dass staatliche Strukturen in den Vereinigten Staaten einen höheren Entwicklungsstand aufweisen, mit mehr Macht ausgestattet sind und das Leben der Menschen stärker durchdringen als dies für staatliche Strukturen in Mali gilt? Wer würde in Abrede stellen, dass in den Vereinigten Staaten ein höherer Grad an Freiheit herrscht als in Mali?

Angesichts dieses Dilemmas scheint es angebracht, dem Phänomen der Koexistenz von Staat und Freiheit größeres Augenmerk in der Forschung zu schenken.


Februar 2013

NEW Series/NEUE Serie: Entries from Defunct 2013 Bilingual Blog on Liberty Re-Posted — Freiheit verstehen / Understanding Freedom

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In 2013, I ran a blog for a number of months — "Freiheit verstehen / Understanding Freedom - A Bilingual Blog". Toward the end of the year, the input petered out, along with the days in which I held staunchly libertarian views. 

Im Jahr 2013 habe ich für einige Monate einen Blog betrieben — "Freiheit verstehen / Understanding Freedom - A Bilingual Blog". Gegen Ende des Jahres allerdings versandete der Strom der Beiträge, genauso wie die Tage, während derer ich den Standpunkt des Libertarismus mit beherzter Überzeugung vertrat.

Though in important respects no longer representing my thinking, I feel that the posts contain many worthwhile ideas. What is more, they help trace the gradual transitioning of my views away from libertarianism toward my present contrarian conception of liberty. Each post is offered in an English and a German version, which will be cross-linked.

Wiewohl die Beiträge des Blogs meinen heutigen Auffassungen in wichtigen Belangen nicht mehr entsprechen, glaube ich, dass sie einiges enthalten, das von Wert ist. Überdies hinterlassen sie eine Spur des Übergangs meiner Sichtweise vom Libertarismus hin zu meinem heutigen Standpunkt, der konträr zu vielem verläuft, was besonders das liberale Denken zum Thema Freiheit zu sagen hat. Jeder Post erscheint in einer englischen Variante und in einer deutschen, die überkreuz verlinkt sind, so dass man mit einem Klick von einem zum anderen gelangen kann.

I suspect, the most characteristic feature of these posts is that in them I still seem to assume something like a pristine one-and-only true basic model of freedom, irrespective of the extent to which this ideal has been attained at any period in history, in fact, irrespective of whether it is practically attainable at all.

Der charakteristischste Zug dieser Beiträge mag darin bestehen, dass in ihnen die Annahme spürbar ist, es gäbe ein einzigartiges, makelos ursprüngliches Model der Freiheit, das allein ihre Wahrheit verkörpert, ungeachtet der Frage, in welchem Maße dieses Ideal geschichtlich verwirklicht worden ist oder überhaupt je verwirklicht werden könnte.

Continue to the first post of the defunct blog Understanding Freedom.

Weiter zum ersten deutschen Post aus dem inzwischen eingestellten Blog Freiheit verstehen.


Waltz for Debby - Bill Evans

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Kräftig draufgelegt? Ein Beitrag zu den Kosten des heutigen Finanz-Systems

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Das gegenwärtige Finanz-System steht in der Kritik. Das ist gut so. Denn wer den Sinn einer Finanzordnung erkennt, weiß auch, dass wir um ihre sinnvolle Gestaltung fortwährend ringen müssen. Wie der Fortschritt in der Wissenschaft, verlangt auch der Wandel unserer wirtschaftlichen Umwelt ein unentwegtes Nachfragen über die Qualität und die Folgen ihrer Institutionen.

Gerald Epstein und Juan Antonio Montecino greifen mit einem lesenswerten Beitrag in die Diskussion um den finanzwirtschaftlichen Reformbedarf ein.

Darin umreißen die Autoren ihre Vorstellung von den Anforderungen an ein wünschenswertes Finanz-System und vergleichen es mit dem Leistungsergebnis der aktuell installierten Ordnung. Sie kommen zum Schluss, dass Amerika sich ein Finanz-System leistet, dessen Kosten die Summe der Nutzen bei weitem übersteigen.

Für Epstein und Montecino zeichnet sich ein volkswirtschaftlich sinnvolles Finanzsystem dadurch aus, dass es 

  • Finanz-Mittel produktiven Investitionsprojekten zuführt, 
  • Familien die Möglichkeit gibt Ersparnisse anzuhäufen, mit denen sie wichtige Großausgaben etwa im Zusammenhang mit der Ausbildung ihrer Kinder und der persönlichen Altersvorsorge bestreiten können,  
  • Produkte anbietet, die ein verbessertes Risiko-Management gestatten,
  • Liquidität in ausreichendem Maße und auf gesamtwirtschaftlich verträgliche Weise bereitstellt,
  • einen funktionierenden Zahlungsverkehr gewährleistet, und
  • Innovationen hervorbringt, die uns instand setzen, all diese und andere zweckmäßige Funktionen immer günstiger, effizienter und qualitätvoller durchzuführen. 

Diese Funktionen sind unverzichtbar in einer stabilen und auf produktive Zwecke ausgerichteten Marktwirtschaft.

Doch nach Jahrzehnten der Deregulierung, behaupten Epstein und Montecino, hat sich das gegenwärtige Finanz-System der Vereinigten Staaten zu einem hochgradig spekulativem Gebilde entwickelt, dem die Erfüllung dieser wichtigen Ziele nicht in gebotener Weise gelingen kann.

Sie stellen die Frage: wie hoch sind die Kosten, die dieses unzweckmäßige System der US-Wirtschaft aufbürdet? Welcher Betrag ist zu veranschlagen, um sich einen Begriff davon zu machen, was ein defektes und schädliches System die Familien, Steuerzahler und Unternehmen der USA kostet?

In ihrer Abrechnung nehmen sie sich dabei drei Komponenten vor:
  • (1) Renten im wirtschaftstheoretischen Sinne, oder, wie man auch sagen könnte: unberechtigte Gewinne; 
  • (2) Kosten der Fehlallokation, oder anders ausgedrückt; der Preis, der zu dafür zahlen ist, dass Ressourcen produktiveren Zwecken entzogen werden; 
  • (3) Krisen-Kosten, will sagen: die Kosten der Großen Finanzkrise von 2008.

Die Autoren schätzen: zusammengenommen entziehen diese drei Kostenkomponenten der US-Wirtschaft im Zeitraum von 1990 bis 2013 Ressourcen in Höhe von über $ 22 Trillionen.

Lesen Sie die vollständige (auf Englisch verfasste) Studie hier.

Blue & Green. Bill Evans and Toots Thielemans

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Enjoy.


Ökonomie und Finanzwirtschaft (3) — Über einen maßgeblichen Unterschied



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Fortgesetzt von hier.


Es steht außer Frage, dass Wirtschaftswachstum angewiesen ist auf die Bereitstellung von Krediten für die Realwirtschaft. Jedoch ist es so, dass das Gros an Krediten nur gegen Sicherheiten ausgereicht wird. Diese Art der Kreditvergabe beruht also auf dem Besitz von Vermögenswerten seitens der Kreditnehmer. Wie schon Schumpeter unterstrich ist Kredit somit kein „Produktionsfaktor“, sondern eine Vorbedingung, die erfüllt sein will, bevor Produktion überhaupt stattfinden kann.

Man mag sich fragen, warum besicherte Kredite gewissermaßen einen Fremdkörper darstellen sollen, der den Notwendigkeiten der Realwirtschaft irgendwie äußerlich sei.

Wenn ich Bezemer und Hudson richtig verstehe, wollen sie folgendes sagen: Das Angewiesen-Sein des Produzenten auf den Kreditgeber führt eine Verhaltensoption ein, die zu Missbrauch Anlass geben kann. Der Kreditgeber kann den „Eintrittspreis“ für die Durchführung eines angestrebten Produktionsvorhabens unnötig überhöhen. Doch wann ist die Schwelle überschritten, die den Vorwurf des „Wuchers“, der „Ausbeutung“, der „Überteuerung“, der „ungerechten Bereicherung“ rechtfertigt?

Kredit — eine Art der Vorleistung — ist immer im Spiel, wenn Geschäfte stattfinden, bei denen Erzeugung und Verbrauch zeitlich auseinander liegen. Kredit ist schon im Neolithikum involviert, als die Landwirtschaft aufkommt, namentlich in der Phase zwischen Saat und Ernte, und später sind die ausgeprägte Arbeitsteilung und der zeitaufwendige Fernhandel angewiesen auf Formen der Kreditgewährung.

Doch, wie gesagt, die Kreditvergabe birgt das Risiko in sich, die Wirtschaft über Gebühr zu belasten, denn sie gibt dem Gläubiger Gelegenheit, „Kassenhäuschen“ am Rand des zur Produktion führenden Wegs aufzustellen, in denen der Rentier sitzt, um seine Zugangsgebühren abzukassieren.

Bezemers and Hudsons Analyse ist umso interessanter, als sie ein Schlaglicht wirft auf die Grauzone, in der die Notwendigkeit der Kreditfinanzierung verschwimmt mit dem Übel fehlgeleiteter Kreditzwecke, überteuerter Kredite und wirtschaftlicher Zwänge, die Kreditnehmer zu Überschuldung verleiten oder sogar zwingen. Es dürfte nicht immer leicht sein, Formen unzweifelhaften Missbrauchs auszumachen, geschweige denn mit Hilfe einfach anwendbarere Verallgemeinerungen. Umso wichtiger ist es, genau hinzusehen und die Gefahren zu thematisieren und nach ihnen zu suchen.

So stellen die Autoren fest, dass die uns heute geläufige Ökonomie den Finanz- und Vermögens-Sektor unbeleuchtet lässt. Seit gut zwei Jahrhunderten, d.h. nachdem David Ricardo seine Principles of Political Economy and Taxation im Jahre 1817 veröffentlicht hatte, wurde es zur Gewohnheit, Geld als einen bloßen „Schleier“ anzusehen, der die wirtschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse zwar verdeckt, nicht aber selbst grundlegend beeinflusst. Dementsprechend beschränkt sich bis heute die Ökonomie auf die Analyse der Produktion, des Verbrauchs und der Einkommen ohne wichtige Institutionen und Folgen des Geldes in Betracht zu ziehen.

Diese Ricardianische Tradition hat es sich auch zur Angewohnheit gemacht, das Recht des Landbesitzers, Renten-Einkommen zu beanspruchen, gemeinsam mit der Arbeit und Kapitalbestandteilen der industrieller Produktion in den Rang eines Produktionsfaktors zu erheben. Die Einspeisung von Bank-Krediten in die Volkswirtschaft wird behandelt, als übte sie keinen Einfluss auf die relativen Preise, die Einkommen und ihre Verteilung aus.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, meinen die Autoren, dass Ricardo sich in diesem Sinne äußerte, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt als kurz nach Beendigung der Napoleonischen Kriege im Jahre 1815 Großbritannien wegen seiner Kriegsschulden mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Adam Smith und andere Ökonomen der Vorläufer-Generation hatten noch darauf hingewiesen, dass die Regierung jede neue Kriegsanleihe damit finanzierte, dass sie Verbrauchssteuern erhob, um die entsprechenden Zinsforderungen abzudecken.

Diese Steuern ließen die Lebenshaltungskosten steigen, machten die Geschäftstätigkeit teurer und leiteten Kaufkraft aus der Wirtschaft an die Inhaber der Anleihen ab. Des ungeachtet gelang es dem parlamentarischen Wortführer und Lobbyisten David Ricardo, eine neue Orthodoxie zu etablieren, derzufolge Geld, Kredit und Verbindlichkeiten keine Bedeutung besitzen für die Produktion, ökonomische Werte und Preise. Gemäß seiner Handelstheorie spielten ausschließlich reale Arbeitskosten eine Rolle bei der Bestimmung internationaler Preisrelationen — Geld, Kredit, der Schuldendienst blieben außen vor. Die Bedienung von Bankkrediten und die Verteilung von Finanzaktiven und Verbindlichkeiten unter den Wirtschaftsteilnehmern werden nicht als Einflussgrö0en angesehen, die sich auf die Verteilung des Einkommens und der Vermögen auswirken.

Adam Smith beklagte noch die Monopolrenten (Einkommen aus monopolistischen Vorteilen), besonders die Handelsprivilegien, welche die britische und andere Regierungen sich ausdachten, um sie an Anleiheinhaber zu vergeben, damit sie ihre Kriegsschulden abbauen konnten. Ricardo behandelte Zinsen als einen Kostenpunkt, der mit der normalen Geschäftstätigkeit anfiel. Daher rechnete er die Bedienung von Verbindlichkeiten dem Produktionssektor zu — sie war für ihn keine zusätzliche Abgabe, die dem Produzenten vom Rentier unabhängig von jeder wirtschaftlichen Notwendigkeit abgepresst wurde. Aus diesem Grunde bezog er weder Banken noch Monopole in die Erörterung ökonomischer Renten ein — deren Einkommen beruhten in seinen Augen auf Zahlungen für produktive Dienste, die somit ein unverzichtbarer Teil der Produktionskosten waren.

Die gleiche Annahme liegt noch heute der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zugrunde. Jedermanns Einkommen (Kapitalgewinne nicht eingerechnet) entspricht einem „Produkt“, zum Beispiel einer Dienstleistung des Finanzsektors. Doch sind die Einnahmen des FIRE-Sektors wirklich Teil der Produktionssphäre der Realwirtschaft — also echtes Einkommen ֫— oder sind sie nicht vielmehr Gebühren, die auf diese Sphäre erhoben werden — also Renten? Damit sind wir bei der Unterscheidung angelangt, die Frederick Soddy zwischen „wirklichem Vermögen“ und „virtuellem Vermögen“, das unter den Verbindlichkeiten der Bilanz einer Nation zu verbuchen ist, getroffen hat. Bei Zinseinnahmen und anderen Einnahmen aus Finanzdienstleistungen – handelt es sich dabei nun um Einkommen oder um Rente?

Um diese Frage zu beantworten, muss man die Wirtschaft unterteilen in einen “produktiven” Bereich, der Einkommen und Mehrwert erzeugt, und einen “extraktiven” Rentiers-Bereich, der den geschaffenen Mehrwert durch Zahlungen im Zusammenhang mit Eigentumsrechten (Eigentumsüberlassung), Krediten (Geldüberlassung) und verwandten Privilegien abschöpft.

Ich muss sagen: an diesem Punkt scheinen mir die Autoren uns noch immer eine klare Unterscheidung schuldig zu bleiben zwischen der produktiven, notwendigen und unverzichtbaren Komponente eines Entgelts für Kreditbereitstellung und einer nicht zu rechtfertigenden extraktiven Komponente. Anders betrachtet, es scheint mir noch eine Begründung auszustehen, warum ein Entgelt für Kreditbereitstellung grundsätzlich und ausschließlich extraktiven Charakters sein soll.

Bezemer und Hudson berufen sich an dieser Stelle auf die institutionalistische Schule, die Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem mit der Forderung in Erscheinung trat, die von Versorgungsunternehmen und öffentlichen Monopolen erhobenen Preise und deren Einnahmen zu regeln, so dass diese übereinstimmen mit den rein „wirtschaftlichen“ Produktionskosten, welche die klassische Ökonomik als „Wert“ definiert hatte.

Das erklärte Ziel von Bezemer und Hudson ist es, die in der zeitgenössischen ökonomischen Analyse verloren gegangene Unterscheidung zwischen „Wert“ und „Rente“ wieder aufleben zu lassen.

Erst dann sei es möglich zu verstehen, wie die Schein-Prosperität der Blasenwirtschaft in Wahrheit durch kräftig sprudelnde Kreditflüsse und das Auftürmen von Schulden genährt wurde. Der vermeintliche Wohlstand sei angewiesen gewesen auf die inflationäre Aufblähung von Märkten in bestimmten Vermögenswerten, wobei die Eigentumsrechte an ihnen jenen übertragen wurden, die bereit waren, sich am stärksten zu verschulden.

Wider betonen die Autoren, dass wir in zwei Wirtschaften leben: in der Realwirtschaft werden Waren erzeugt und Dienstleistungen erbracht und die entsprechenden Transaktionen vollzogen, Kapital gebildet, Arbeitskräfte beschäftigt und die Produktivität verbessert.

Produktives Einkommen besteht größtenteils aus Arbeits-Einkommen und Gewinnen. Die zweite Wirtschaft bildet das Rentiers-Netzwerk aus Finanzforderungen und Eigentumsansprüchen. Dort werden Zinsen und ökonomische Renten abgesaugt. Leider werde dieser Unterschied durch die offiziellen Statistiken kaschiert. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden etwa Einnahmen aus Mieten („rental income“) mit Einkommen vermengt, als ob alle Gewinne verdient worden seien. Es fehlt eine Kategorie, in die sich unverdientes und extrahiertes einstellen ließe. Die Einnahmen-Kategorie “Rente” — der Focus von zwei Jahrhunderten klassischer politischer Ökonomie — sei  in einem Orwellschen Schlund des Vergessens verschwunden.

Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist seit den 1980er Jahren neu konzipiert worden, so dass der Finanzsektor und die Immobilienbranche als „produktiv“ erscheinen. In ihr werden denn auch die tatsächlich verfügbaren Einkommen der Haushalte drastisch überzeichnet. Die quasi-„bilanziellen“ Erfassungsformate, die den meisten ökonomischen Analysen zugrunde liegen, sind Ausdruck einer Schuldner-orientierten, pro-Rentiers Ideologie. Haushalte erzielen keine Einnahmen aus den Häusern, die sie selbst bewohnen. Der Wert der “Dienste”, die ihnen ihre Häuser leisten, steigt nicht schon deshalb, weil auch das Niveau der Hauspreise steigt, wie es die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung fingiert.

Der Finanzsektor produziert keine Güter oder „Real-„Vermögen. Insofern, als er Dienstleistungen erbringt, sind diese großenteils darauf gerichtet, Einnahmen an Rentiers umzuleiten, nicht aber Arbeitseinkommen zu ermöglichen und Gewinne aus produktiver Tätigkeit zu erzeugen.

Es wird die fiktive Annahme getroffen, dass sämtliche Verbindlichkeiten dazu benötigt werden, Investitionen in die Produktionsmittel der Wirtschaft zu tätigen. Aber Banken sind dazu in der Lage, Geld zu schöpfen, um Schulden ins Leben zu rufen, die nicht verwendet werden, um produktive Investitionen vorzunehmen, sondern um sich an den bestehenden Produktionsmitteln und den von ihrem Einsatz erwarteten zukünftigen Einnahmeströmen zu beteiligen. Anders gesagt: Banken produzieren keine Güter, sie schaffen kein realwirtschaftlich unterlegtes Vermögen und sie erbringen keine produktiven Dienstleistungen; vielmehr erzeugen sie Ansprüche auf derartiges bereits geschaffenes Vermögen und derartige schon existierende Güter und Dienstleistungen — Soddys „virtuelles Vermögen“. Indem sie dies tun, tragen sie dazu bei, dass der Preis solcher Forderungen und Privilegien in die Höhe getrieben wird, denn der Preis solcher Vermögenswerte steigt solange wie Banken bereit sind, sie als Sicherheiten für ihre Kreditgewährung zu akzeptieren.

Im folgenden Absatz gebe ich einen Passus aus der Abhandlung von Benzemer und Hudson so gut ich kann wieder, der mir, wie vielleicht auch dem Leser, nicht ganz erhellt. Besonders der nächste Satz bereit mir Verständnisschwierigkeiten:

In dem Maße wie der FIRE-Sektor für den Anstieg des BIP verantwortlich ist, muss dieser aus anderen Komponenten des BIP bestritten werden. Der Handel in Vermögenswerten des Finanzsektors und der Immobilienwirtschaft stellt ein Null-Summen-Spiel (oder sogar ein Negativ-Summen-Spiel) dar. Er basiert hauptsächlich nicht auf realer Produktion, sondern auf Spekulation und dem Aufsaugen von Einnahmen, die entweder schuldenfinanziert sind, oder aus der produktiven Wirtschaft stammen. Langfristig muss dies zu einer Zunahme der Schuldenquote (Schulden ins Verhältnis zum BIP gesetzt) und schließlich zu einer Erlahmung des BIP-Wachstums führen, wenn nämlich die geplatzte Finanzblase schließlich eine Spur aus Schuldendeflation, Austeritätsmaßnahmen, Arbeitslosigkeit, Insolvenzen, Pfändungen und Zwangsversteigerungen zurücklässt. Auf diese Weise lässt sich der moderne Finanzsektor im Sinne der klassischen Theorie der Renten und ihrer Unterscheidung zwischen Realvermögensbildung und schieren Aufschlagskosten („overhead“) einordnen.

„Geld“ entstammt in erster Linie der Kreditschöpfung, denn „Kredite schaffen Einlagen“. Daher spiegelt sich der Anstieg der Summe aller in das BIP eingehenden Transaktionen, die final bereitgestellte Waren und Dienstleistungen betreffen, im Volumen der sie ermöglichenden Bankkredite. Doch seit den 1980er Jahren ist die Kreditausreichung durch Banken stärker als das BIP gestiegen. Ein Großteil der seit diesem Zeitpunkt vergebenen Kredite ist nicht der Produktion zugute gekommen, sondern hat die Preisinflation von Vermögenswerten kräftig angeheizt und für steigende Lebenshaltungskosten gesorgt. Um ihren Lebensstandard zu halten, mussten die Verbraucher sich stärker verschulden. Besonders Immobilienbesitzer und Inhaber von Aktien und Anleihen machten von der Möglichkeit Gebrauch, Kredit mit diesen Vermögenswerten zu besichern. Indes die Realeinkommen sich leicht rückgängig entwickelten, sind die Lebenshaltungskosten (nach Steuern) gestiegen: Sozial- und Krankenversicherung sind stark gestiegen, so auch die Kosten für eine höherer Bildung; die Immobilienblase — von Alan Greenspan als vermögensbildend gepriesen — hat den Preis des Erwerbs von Wohnungen und Häusern nach oben getrieben. Inzwischen wird weithin anerkannt, dass der Lebensstandard in den USA seit den 1970er Jahren vornehmlich durch Schulden statt durch Einkommen finanziert worden ist. Nicht zuletzt, weil die gängige ökonomische Lehre den Unterschied zwischen produktiver und unproduktiver Kreditfinanzierung nicht kennt, blieb dies lange unbemerkt, bis schließlich das Platzen der Blase die Wahrheit an den Tag brachte.


Quelle.


Fortgesetzt hier.