Tuesday 23 August 2016

Ökonomie und Finanzwirtschaft (4) — Über einen maßgeblichen Unterschied

 
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Fortgesetzt von hier.

Man war nicht immer blind gegenüber den Fehlleistungen, zu denen des Finanz-System fähig ist. Tatsächlich stellt das moderne ökonomische Denken in dieser Hinsicht einen Rückschritt gegenüber früheren Zeiten dar. Denn was die Eigenart des Bankwesens und der Hochfinanz betrifft, in die Wirtschaft einzugreifen, um ihr Austerität und eine polarisierte Verteilung von Einkommen und Vermögen aufzuerlegen, ignoriert die moderne Ökonomie die Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts, ja des Mittelalters und selbst der klassischen Antike. In Kapitel 30 des Kapitals unterscheidet Marx „Kredit, dessen Umfang mit dem Umfang des Werts der Produktion wächst“ und „dem Überangebot an Geldkapital" oder, wie er auch schreibt,  "jener Plethora an Leihkapital — "einem besondren Phänomen ... neben" der industriellen Produktion. Ebenso unterschied Keynes zwischen „Geld in der Finanz-Zirkulation“ und „Geld in der industriellen Zirkulation“. (Siehe Original wg. Quellenangaben aller, auch der folgenden Zitate).

Schon 1984 äußerte sich Tobin besorgt darüber, dass “wir einen immer größeren Teil unserer Ressourcen, einschließlich der Crème unserer Jugend, im Bereich der von der Produktion von Gütern und Dienstleistungen fernen Finanzaktivitäten einsetzen.“ In seinen späten Jahren warnte Minsky vor “dem Kapitalismus der Money Manager”, den er vom Industriekapitalismus unterschied. Autoren wie Richard Werner und Randolph Wray haben Irving Fishers Austausch-Gleichung (MV=PT) modifiziert, um Kredite an die “reale” Wirtschaft von solchen an die Finanz- und Vermögens-Sektoren abzugrenzen.

Werner konstatiert anhand von Daten der japanischen Wirtschaft „eine stabile Beziehung zwischen ‚Geld’ (Kredit an den realwirtschaftlichen Sektor), welches der Realwirtschaft zugute kommt, und dem nominellen BIP.“ Ebenso beobachten Wynne Godley und Gennaro Zezza bei ihrer Analyse der Vereinigten Staaten: „In der Vergangenheit sind erhebliche konjunkturelle Abkühlungen oft von einem Rückgang in der Netto-Kreditvergabe begleitet gewesen. Beide Faktoren haben sich in einem Maße parallel bewegt, das schon erstaunlich ist“. „Analysten der amerikanischen Zentralbank haben festgestellt, dass sich über längere Zeiträume eine recht enge Beziehung zwischen dem Wachstum der Verbindlichkeiten des Nicht-Finanz-Sektors und dem Niveau der gesamtwirtschaftlichen Aktivität abzeichnet.“

Derartige Korrelationen legen ein direktes Verhältnis zwischen Bank-Krediten und dem Leistungsniveau des Nicht-Finanz-Sektors nahe (siehe Abbildung 1). Das Wachstum der an die Realwirtschaft vergebenen Kredite verlief von den 1950er Jahren bis Mitte der 1980er Jahre parallel zur Entwicklung des nominellen BIP — bis eben die Finanzialisierung um sich zu greifen begann. Bis Anfang der 1980er Jahre verlief diese Parallelbewegung in nahezu exakter Übereinstimmung.



Abbildung ("Figure") 1 lässt erkennen, dass der realwirtschaftliche Sektor ab Mitte der 1980er Jahre ein Kreditvolumen in Anspruch nahm, das höher als sein Einkommen war. Über diesen bemerkenswerten Trend sagte Wynne Godley 1999: „das rasante Wachstum während der vergangenen sieben Jahre war nur möglich als Resultat eines spektakulären Anstiegs privater Ausgaben relativ zum Einkommen. Dieser Anstieg hat den Privatsektor in ein finanzielles Defizit getrieben, das seinesgleichen sucht."

Die privaten Haushalte häuften negative Ersparnisse an. Unternehmen erwirtschaften Gewinne nun nicht mehr durch den Verkauf von Waren und Dienstleistungen, sondern durch Erzielung von Kapitalgewinnen und andere rein finanzielle Transaktionen. Aus Gneral Electric wurde GE Capital. Grydanki und Bezemer machen uns darauf aufmerksam, dass der Anstieg der Verbindlichkeiten jene fast unheimliche Ruhe erklärt, die während der Zeit herrschte, als sich die große Finanzblase nach und nach aufpumpte. Später als „the Great Moderation“ bezeichnet, sahen Akteure wie Greenspan, Bernanke und andere in dieser „windstillen“ Phase das Ergebnis ihres geldpolitischen Geschicks. Tatsächlich hatte man es mit der Ruhe vor dem Sturm zu tun.



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