Sunday 21 August 2016

Ökonomie und Finanzwirtschaft (2) — Über einen maßgeblichen Unterschied



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Fortgesetzt von hier.


Gemäß Bezemer und Hudson kann die Art, wie sich Vermögen und Schulden in den heutigen Volkswirtschaften entwickelt haben, nur korrekt erklärt werden, wenn man die gewohnte Annahme fallen lässt, wonach die Hauptfunktion des Bankensystems darin besteht, Kredite auszureichen, die verwendet werden, um Investitionen in handfeste, neue Produktionsmittel zu finanzieren. Tatsächlich ist es nämlich so, dass Banken vor allem den Erwerb und die Übertragung von Eigentumstiteln und Finanzaktiva finanzieren, die bereits existieren.

In den Werken von Autoren wie Karl Marx, John Maynard Keynes oder Schumpeter war diese Unterscheidung zwischen der Finanzierung  von realem Kapital, einerseits, und Finanzkapital und Immobilien, andererseits, noch ganz zentral.

Und heute? Seit den 1980er Jahren sind die führenden Volkswirtschaften, allen voran die der Vereingten Staaten, in eine lang anhaltende Phase eingetreten, in der ein deutlich zunehmendes Kreditvolumen dazu dient, die Preise von Immobilien, Aktien und Anleihen aufzublähen und bei Investoren die Hoffnung zu nähren, dass sich der Wertzuwachs verstetigen wird. Kreditfinanzierte Spekulation wird zur Gewohnheit, die Schulden wachsen beinahe so schnell wie der Wert der solchermaßen finanzierten Vermögenswerte.

Wenn die Finanzierungsblase schließlich platzt, wenn die Preise der realen Vermögenswerte (Wohnungen, Häuser etc.) einen immer geringeren Wert aufweisen als die sie finanzierenden Hypotheken, Anleihen oder Bankkredite, explodiert mit einem Mal das negative Reinvermögen, also die nun ins Negative umgeschlagene Differenz zwischen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten. Die Schulden sind höher als der Wert der mit ihnen finanzierten Objekte. Noch heute sind die Folgen dieser 2008 geplatzten Finanzierungsblase nicht vollständig abgewickelt — ein Kollaps, der das unentrinnbare letzte Stadium der „Great Moderation“ markiert.

Nach Bezemer und Hudson ist es das Finanzsystem, das bestimmt, auf welche Zwecke — produktiv oder eher finanzwirtschaftlich rentierlich — die Unternehmensleiter einer Volkswirtschaft die ihnen unterstellten betrieblichen Ressourcen ausrichten.

Unter dem vorherrschenden Regime haben Unternehmensführer keine anderen betrieblichen Ziele als die Manager von Investitionsfonds — sie trachten danach, eine möglichst hohe Rendite für sich selbst, für die Unternehmenseigner und ihre Gläubiger/Kapitalgeber zu erwirtschaften. Das vorrangige Ziel ist es, Wertzuwächse zu erwirtschaften, indem Erträge zum Rückkauf von Aktien und zur Auszahlung von Dividenden verwendet werden, während das Management nach höheren Gewinnen durch Personalabbau, Auslagerung der Produktion und die Vermeidung von langfristigen Investitionen strebt.

So genannte leveraged buyouts, sprich der schuldenfinanzierte Erwerb von Unternehmen, haben zur Folge, dass die Rentabilitätsschwelle für das Unternehmen immer höher gesetzt wird. In der Volkswirtschaft breitet sich ein Übermaß an Unternehmensschulden aus. Gewinne werden zur Zahlung von Zinsen abgezweigt, statt dass man sie der Bildung von Realkapital und der Investition in Arbeitskräfte widmet. Es bleibt nicht aus, dass bei drohendem Bankrott, der Versuch unternommen wird, Pensionszusagen zu verwässern und Verluste auf Verbraucher und Mitarbeiter abzuwälzen.

Diese Art der Fixierung auf kurzfristige Renditeziele ist nicht dazu geeignet, den Wettbewerb in einer Wirtschaft durch die Senkung von Produktionskosten zu intensivieren. Eine deartige kurzfristige Orietierung weist auch nicht den Weg, der einzuschlagen wäre, um Vollbeschäftigung und einen höheren Lebensstandard zu erzielen, so dass eine sozial ausgewogene Mittelschichtsgesellschaft begünstigt werden würde.

Um zu erklären, wie die übermäßige Schuldenerzeugung dieser auf Finanzblasen angewiesenen Wirtschaft zu schuldengetriebener Deflation führt, unterscheiden die Autoren zwischen laufender Produktion und laufendem Verbrauch (BIP) und dem FIRE-Sektor, der aus Finance (Finanzsektor), Insurance (Versicherungswesen) und Real Estate (Immobilienwirtschaft) besteht. Der FIRE-Sektor ist primär mit dem Erwerb und der Übertragung von Immobilien und Finanzwerten und ähnlichen Vermögenswerten befasst. Es gilt zu unterscheiden zwischen dem „finanzialisierten“ „Vermögens“-Sektor — ausgewiesen durch das bilanzielle Verhältnis von Aktiven (Vermögenswerten) zu Passiven (Verbindlichkeiten) — und der „realen“ Wirtschaft mit ihren Strömen an Krediten, Einkommen und Ausgaben, welche Produktion und Verbrauch aktuell in Gang halten.

Es ist wichtig, den Finanzsektor vom Rest der Wirtschaft sowie Renten-Einkommen (d.h. Einkommen aus unproduktiven Quellen) von anderen Einkommensformen zu unterscheiden, damit zwei verschiedene Sphären der Volkswirtschaft nicht — wie leider üblich — unsachgerecht miteinander vermischt werden.

Finanzsektor und die übrige Wirtschaft sind als getrennte, aber aufeinander einwirkende Systeme zu behandeln. Vermögenswerte der Immobilienwirtschaft und die Hypotheken-Verschuldung der Haushalte bilden den Kern der Blasenwirtschaft. In der heutigen Rentiers-Wirtschaft sind die Hypotheken-Schulden der Haushalte nicht als reales Vermögen, sondern als Verschuldungskosten zu werten, die pathologische Konsequenzen nachsichziehen — und zwar in Gestalt eines Rückgangs der Realinvestitionen und des Produktivitätswachstums, bei um sich greifender sozialer Ungleichheit und steigender Flatterhaftigkeit der Märkte.


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