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Über das hinaus, was ich als Vorüberlegung unter 15 a anzumerken habe, bin ich mit einigen Kernaussagen des nachstehenden Texts heute, einige Jahre nachdem ich ihn geschrieben habe, sehr unzufrieden.Was ich unten über sedimentiertes Wissen zu sagen habe, ist interessant, wertvoll und bestimmt auch für viele eine willkommene Horizonterweiterung. So weit so gut. Aber. Ich überziehe maßlos, indem ich suggeriere, dass Versuche, sich Probleme des menschlichen Miteinanders bewusst zu machen und sie durch geplante Vorgehensweisen angemessen zu handhaben, eine gefährliche zivilisatorische Anomalie darstellen. Diese Haltung ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund einer ideologisch gefärbten stillen Annahme. Nämlich, dass die zahlreichen Projekte, mit denen der politische Mensch in Wirtschaft und Gesellschaft eingreift, grundsätzlich verfehlt seien und als Typus menschlichen Verhaltens, ungeachtet ihrer genauen Umstände und Auswirkungen, den gebührenden Respekt vor dem sedimentierten Wissen vermissen ließen und zu gesellschaftlichen Entartungen führen müssten.[English, partial summary: The below text deals with an interesting and important aspect of human knowledge, sedimented knowledge, as I call it: knowledge enclosing (long-standing) human experience, such as the rules of algebra, which we may take advantage of without having to go through the process of acquiring it from scratch. Or think of principles of human conduct that we follow to our benefit without re-living the experiences that have led man to adopt them more or less gradually.The text, however, strongly suggests — preposterously — that by using explicit knowledge (especially as manifested in strategies fully reasoned out) rather than relying on sedimented knowledge, political man is bound to go astray by virtue of interfering with a complex order that he has not created himself, giving up a reliable source of knowledge in favour of mere pretense of knowledge, as somehow in dealing with his societal environment man is — for the most part — better served by general principles than by rational analysis and well-planned strategy. Rendering intelligible the reasons why I should adopt such an awkward position requires recourse to a set of classically liberal presuppositions: human intervention in the economy and society is a priori a highly dubious ambition and in most cases of detrimental outcome. If one shares this expectation, the below text reads without bumps. To me, however, over the years, it has become a very bumpy read.]
5. Sedimentiertes Wissen und
polyzentrisches Wissen
5.1 Sedimentiertes Wissen
Unter
sedimentiertem Wissen ist jenes
Wissen zu verstehen, das sich einlagert in der historischen Tiefenstruktur der
an die Nachwelt weitergegebenen Menschheitserfahrungen. Es handelt sich
vielfach um Erfahrungen, die die Menschen über große Zeiträume gemacht haben.
Erfahrungen, die später nicht mehr zugänglich sind in der Fülle der sie einst bestimmenden
konkreten Umstände. (Niemand kann wirklich rekonstruieren, wie das
Begrüßungsritual des Händeschüttelns sich in Europa tatsächlich in allen
konkreten Einzelheiten entwickelt hat.) Oder es ist einfach effizienter, darauf
zu verzichten, die Erfahrungen praktisch oder im Kopf zu wiederholen, die uns
ein nützliches Stück sedimentiertes
Wissen gegeben haben. (Wenn der Rumba erstmal „sitzt“, wozu sich die Tanzschritte
immer wieder bewusst machen?) Sie bleiben uns in hochgradig komprimierter Form
erhalten, als abstrakte Sedimente einstmals konkreter Erfahrungen. Sie bilden
einen erfahrungsgeologischen Code, den wir als erlernte Automatismen, Routinen,
Gepflogenheiten, Konventionen, Traditionen und Prinzipien wahrnehmen, die wir
zu beherzigen oder als selbstverständlich hinzunehmen gelernt haben. Dieses
Wissen ist leicht zu übersehen, auch wenn seine Bedeutung für uns nur schwer zu
überschätzen ist. Fast alles, was wir tun und denken wird durch dieses sedimentierte Wissen beherrscht. Ob wir
unsere Schuhe schnüren, uns die Zähne putzen, die richtige Kleidung für einen
gegebenen Anlass auswählen, uns passend ausdrücken, Auto fahren, eine
Doktorarbeit anfertigen, Geld anlegen, uns auf einer Tanzparty amüsieren,
jemandem die Meinung sagen, uns zur Nachtruhe betten, eine Geburt hilfreich
begleiten oder einen Menschen bestatten – zum allergrößten Teil folgen wir
dabei Traditionen, d.h. wir machen uns sedimentiertes
Wissen zu nutze, Wissen, das uns überliefert worden ist, nicht Wissen, das
wir selbst entdeckt haben. Natürlich reichern wir das sedimentierte Wissen mit originellem Wissen an und vor allem
stellen wir es zu ganz eigenen Arrangements zusammen, so dass wir ein Leben
führen, das keine simple Kopie der Vergangenheit ist. Aber das Rohmaterial, das
wir hierzu hauptsächlich verwenden, ist sedimentiertes
Wissen.
Wenn
wir die Bedeutung des sedimentierten Wissens nicht kennen oder leugnen und
seinen Gebrauch einschränken, erschweren oder verbieten, so reduziert sich der
Schatz an nützlichen Erfahrungen, über den wir gebieten. Wir verlieren wichtige
Orientierungshilfen. Der naive Rationalismus bestärkt in uns die Neigung, nur
explizites Wissen anzuerkennen und andere Formen des Wissens zu ignorieren oder
als unbrauchbar oder gar als irrational zu verwerfen. Wie wir mit Wissen
umgehen, was wir über Wissen denken und was wir als Wissen anerkennen und was
nicht, sind alles Fragen, die die größten Auswirkungen auf unser Leben nach
sich ziehen. Die rationalistische Weigerung oder Unfähigkeit, die Bedeutung des
sedimentierten Wissens zu würdigen,
oder es als schädlichen Aberglaubens abzutun oder sogar zu bekämpfen, hat
geradezu katastrophale Konsequenzen für die menschliche Zivilisation. Denn es
verändert die Einstellung der Menschen gegenüber allgemeinen Regeln und
Prinzipien zu seinem Nachteil. Es veranlasst sie diesen Erfahrungs- und
Orientierungsquell mit Geringschätzung zu bedenken und ihn der Austrocknung
preis zu geben. Man gibt sich dem Dünkel hin, erfolgreicher zu verfahren, wenn
man die Gebote allgemeiner Regeln und
Prinzipien ( = sedimentiertes Wissen) durch die Einschätzungen ersetzt, die
sich dem Mensch aufgrund seines Verstandes als unmittelbar einsichtig
aufdrängen. Doch ohne den Respekt vor allgemeinen Regeln und Prinzipien kann
eine wohlhabende und friedliche Gesellschaft ebenso wenig auf Dauer auskommen,
wie der einzelne Mensch seinen Alltag ohne die tausendfältigen Hilfestellungen
des sedimentierten Wissens zu
bewältigen vermag. Denn, wie gesagt, auch wenn unser bewusstes Denken und unser
explizites Wissen die tragende Rolle bei der Bewältigung unserer Lebensaufgaben
nach unserem Empfinden zu spielen scheint, sind in Wahrheit weitaus größere
Anteile unserer Lebenstauglichkeit dem Tradierten, dem Imitierten, dem
nichtexpliziten Wissen, eben dem sedimentierten Wissen zuzuschreiben, das zudem
stets die Voraussetzung unserer bewussten Kalküle ist (Einstein z.B. wäre nicht
denkbar ohne die Jahrtausende der Vorarbeit anderer Gelehrter, da er sonst wohl
kaum über, sagen wir, die Erfindung der elementarsten Arithmetik oder anderer
ihm tatsächlich selbstverständlicher Hilfsmittel hinausgekommen wäre).
Fortgesetzt hier.
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