Die Theorie der ausleihbaren Kreditmittel (TAK) - englisch und auch von deutschen Autoren gerne verwendet "loanable fund (LF) theory" - beschreibt eine Welt, in der die Banken sich die Mittel für die Kreditvergabe bei Sparern beschaffen müssen, um sie dann unter Erhebung eines Zinssatzes und anderer Finanzierungskosten an kreditnachfragende Investoren auszuleihen.
Die Banken sind Intermediäre (Vermittler) zwischen Sparern, die das Angebot an Kreditmitteln bereitstellen, und Investoren, die die Nachfrage nach Kreditmitteln erzeugen.
Das bedeutet: Banken sind nicht in der Lage, selbst Geld aus dem Nichts zu erzeugen.
Damit ist es nach TAK den Banken eben auch nicht möglich, Investitionen vorzufinanzieren, will sagen: Investitionen dadurch zu ermöglichen, dass sie Geld, das bisher nicht existiert hat, ins Leben rufen, um es Investoren vorzustrecken.
Allerdings nimmt TAK keine Rücksicht auf die Wirklichkeit, bei deren Betrachtung wir feststellen, dass die Annahme falsch ist, Banken könnten Kredite nur in dem Maße ausreichen wie es ihnen gelingt, die auszuleihenden Mittel von Sparern einzusammeln.
Aus einer Mischung von Tradition, ideologischer Vorliebe und Modellverliebtheit ist die makroökonomische Theorie diesem Umstand gegenüber blind.
Der älteste und tief reichendste Grund für diese Verfälschung liegt in dem (heute gerne unreflektiert übernommenen) Wunsch früher Ökonomen, sich die Wirtschaft als eine Tauschwirtschaft vorzustellen, in der es kein Geld gibt, und somit alle Waren direkt gegeneinander getauscht werden, sodass sie ohne "künstliche" Behinderungen (wie durch ein Geld, das der Wirtschaft eine destabilisierende Eigendynamik außerhalb einer reinen Tauschwirtschaft aufprägen kann) immer in der Lage sind, zu einem markträumenden Gleichgewicht zu gelangen.
Geld kommt darin lediglich als Verrechnungshilfe und Tauschvereinfachung vor, aber nicht als das empirische Phänomen, das das Bewirken von
hervorrufen kann.
- Gleichgewichtstendenzen in der Wirtschaft entscheidend kompliziert,
- Krisen und
- dysfunktionale Gleichgewichtslagen (Arbeitslosigkeit)
hervorrufen kann.
Die TAK spiegelt uns einen reinen, durch Preisanpassungen ins Gleichgewicht gelangenden Gütermarkt vor, in dem Geld (ausleihbare Mittel) das Gut darstellt und der Zinssatz den Preis.
Die Implikation ist, dass Geld ein Gut wie jedes andere ist - Schuhe , Pkws etc. - und somit keine eigenen Merkmale aufweist, die die Gleichgewichtsfähigkeit des konstruierten Modells umstoßen könnten.
Durch die Wahl ihrer Prämissen weichen die Modelle von der Wirklichkeit ab, denn sie lassen sich von dem Wunsch leiten, die Wirtschaft als einen reibungslos selbstregulierenden Organismus zu rekonstruieren.
Zu diesem Zweck spezifizieren sie Bedingungen - der Punkt an dem der mit dem Modell verbundene Wunsch, sich selbst zu modellieren beginnt) -, aus denen sich die gewünschten Gleichgewichtslagen automatisch ergeben.
Etwas anders gesagt: Sie legen a priori Modellkonfigurationen fest - freilich ohne sich ihrer Tatsachenentsprechung zu vergewissern - in denen ein einfach zu erfassender Faktor (z.B. der Zinssatz in der TAK) Anpassungen in Gang setzt, die ein markträumendes Gleichgewicht automatisch herstellen.
Das ist der Zweck der realitätswidrigen TAK, die aber inzwischen schon seit Jahrhunderten Generationen von Studenten von der arrivierten Volkswirtschaftslehre als unbezweifelbare Wahrheit beglaubigt wird.
Wie wir oben schon sahen gewährleistet gemäß der TAK der Zinssatz das Gleichgewicht im Markt für ausleihbare Mittel (siehe Schaubild unten).
Steigen die Zinsen, erhöht sich das Angebot an ausleihbaren Mittel, während die Nachfrage nach ihnen sinkt - bis ein Gleichgewicht sich einstellt, d.h. die Übereinstimmung der angebotenen Menge und der nachgefragten Menge an ausleihbaren Mitteln.
Sinken die Zinsen, verringert sich das Angebot an ausleihbaren Mitteln, während die Nachfrage nach ihnen steigt - bis Gleichgewicht herrscht, d.h. Angebot und Nachfrage nach ausleihbaren Mitteln identisch sind.
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Wenn nun aber dieser Gleichgewichtsmechanismus eine Störung aufweist (etwa durch Erreichung der Nullzinsgrenze) schaltet die Makroökonomie in den Modus: was nicht sein kann, nicht sein darf.
Das Problem ist nicht die gleichgewichtsfähige Wirtschaft, sondern ein bösartiger Eindringling, ein sogenannter "externer Schock": Demographie, asiatisches Vorsichtssparen etc.
Das heißt, man versucht, die vermeintliche Abbildung der Realität (das bevorzugte Modell) mit Hilfe von ad hoc hinzugefügten neuen Annahmen zu retten. Will sagen: die ideologische Kernaussage gilt als weiterhin zutreffend, sofern man die unzuträglichen Sondereinflüsse wieder ausschaltet.
Wenn dies nicht möglich ist, zuckt die Makroökonomie ratlos mit den Schultern und verkündet eine auf lange Sicht unheilbare Stagnation - secular stagnation. Pech. End of story.
Es gibt noch andere Gründe - außer ihrer Eignung, die Wirtschaft als grundsätzlich selbstregulierend darzustellen -, warum die Makroökonomie an der TAK festhält: Der behauptete Zusammenhang lässt sich in einem vergleichsweise überschaubaren Schaubild wiedergeben (siehe oben), das für viele vielleicht sogar den Touch hat, einer exakten Wissenschaft zu entstammen.
Zudem besteht die Versuchung, (a) der Einfachheit dieser Theorie und (b) ihrem Einklang mit politischen Idealen und (c) volkstümlichen Intuitionen auf den Leim zu gehen, zumal sie (d) eingängig und leicht zu verstehen ist.
Selbst der Fachmann ist nicht davor gefeit, sie für umso überzeugender zu halten, je häufiger sie - wegen (a), (b), (c) und (d) - wiederholt wird.
Außerdem spiegelt sich das Weltbild der ökonomischen Neoklassik auch insofern in der TAK wider, als ihren Anhängern Entbehrung jedem Wachstumszuwachs vorauszugehen schien, ihnen daher eiserne Sparsamkeit heilig war und tüchtiges Sparen als unverzichtbare Voraussetzung des wirtschaftlichen Erfolges galt.
Die moralisierende Adelung rigoroser Sparsamkeit feiert fröhliche Urständ im Zeitalter der Europäischen Union, die die Austerität ihren braven Bürgern als Selbstzweck in ihrem Gründungsdokument, dem Maastrichter Vertrag, zur artigen Befolgung vorgibt.
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