Monday, 23 January 2017

Die Zentralbank (11) — Geld-Multiplikator


Zur Erinnerung: wir befassen uns mit den Prozessen, aufgrund deren die Zentralbank in der Lage ist, den Geldschöpfungsprozess anzuregen. Manche behaupten sogar, dass die Zentralbank diesen Prozess ziemlich exakt steuern kann — inwiefern es zutrifft, dass die Zentralbank die Geldmenge aufgrund der hier erläuterten Eingriffe und ihrer Folgewirkungen präzise zu steuern vermag, dazu werden wir uns in späteren Posts äußern.

I.

Vereinfachen wir das Bild ein wenig. Wir nehmen an, dass der Kreditnehmer Stuhlgang den ihm von Bank A (jetzt First Bank) genehmigten Kreditbetrag in Höhe von $ 100.000 an einen einzigen Empfänger überträgt — statt an mehrere: nämlich an die Firma American Steel, die eine Bankverbindung bei der Second Bank (siehe im Schaubild) unterhält.

Die American Steel bekommt also $ 100.000 — die Kreditsumme, die Firma Stuhlgang von First Bank erhalten hatte — auf ihrem Konto bei der Second Bank gutgeschrieben. Eine Verbindlichkeit von der Second Bank gegenüber ihrem Kunden American Steel.


Für Second Bank bedeutet dieser Zugang auf dem Einlagenkonto ihres Kunden American Steel, dass sich ihre Bank-Reserven bei der Zentralbank um $ 100.000 erhöht haben (Schaubild 17.7. A).

Denn der Geldtransfer von First Bank zu Second Bank findet so statt, dass die Reserven von First Bank bei der Zentralbank auf das Reserve-Konto von Second Bank bei der Zentralbank übertragen werden. Das Reserve-Konto der First Bank wird um $ 100.000 belastet, während der gleiche Betrag dem Reserve-Konto der Second Bank gutgeschrieben wird. Die Reserven der involvierten Banken bei der Zentralbank werden also unter den Banken verschoben.

Reserven und Zahlungsverkehr

Um also am Zahlungsverkehr teilnehmen zu können, müssen Banken über Reserve-Guthaben bei der Zentralbank verfügen, mit denen sie Forderungen, die von anderen Banken gegen sie bestehen, begleichen können. Denn in einem komplexen Bankensystem tauschen die Banken jeden Tag zahllose Forderungen untereinander aus. Einige Kunden von Bank B haben Geld zu bekommen von einigen Kunden der Bank A; andere Kunden der Bank A haben Geld zu bekommen von Kunden der Bank B. Diese Forderungen werden gegeneinander aufgerechnet, so dass zu einem bestimmten Zeitpunkt — z.B. am Ende des Geschäftstags oder einmal im Monat oder ... — ein Abschluss-Saldo zur Begleichung fällig wird. Dieser Saldo kann so ausfallen, dass Bank A einen bestimmten Betrag an Bank B überweisen muss, also eigene Bank-Reserven an diese Bank zu übertragen hat. 

Damit eine Bank jederzeit dazu in der Lage ist, Forderungen aus dem Zahlungsverkehr mit anderen Banken zu begleichen, kann es sein, dass Banken von sich aus einen gewissen Bestand an Reserven bei der Zentralbank unterhalten — wenn die vorgehaltenen Reserven nicht von der Zentralbank zwingend gefordert werden, spricht man von Überschuss-Reserven. 

Aber es ist eben auch möglich, dass die Zentralbank von jeder Bank einen Mindestbetrag an Reserven verlangt: die so genannten Mindestreserven.

Von diesem Fall gehen wir in unserem Beispiel nun aus. Die Zentralbank verlangt von jeder Bank Mindestreserven in Höhe von, sagen wir, 10% der Kunden-Einlagen bei dieser Bank — diese Einlagen sind ja Forderungen der Kunden gegenüber der Bank, die die Kunden geltend machen können à la "das ist mein Geld auf meinem Einlage-Konto bei dir, bitte zahle es an X. aus".

Grundsätzlich und zum besseren Verständnis des nachstehenden Beispiels: Mindestreserven (gesetzlich vorgeschrieben oder aus kaufmännischer Vorsicht freiwillig vorgesehen) haben ursprünglich und auch weiterhin (neben anderen Gründen) die Aufgabe, die (in Form von Einlagen bei den Banken bestehenden) Aktiva der Bank-Kunden zu schützen, insbesondere indem sie einen reibungslosen Zahlungsverkehr (gegenseitiges Verrechnen dieser Aktiva zwischen Kunden unterschiedlicher Banken und der gleichen Bank) gewährleisten (es sind immer genügend Bank-Reserven vorhanden, um die gewünschten Verrechnungen anstandslos vorzunehmen). Das erklärt warum im nachfolgenden Beispiel, die Kredite, die aufgrund von eingehenden Einlagen ausgereicht werden, mit Mindestreserven unterlegt/belegt sind, nicht aber der erste Kredit der First Bank. Dieser beruht auf Bank-Reserven, die durch einen Aktiv-Tausch "Wertpapiere(-im-Besitz-der-Bank)-gegen-Reserven" entstanden sind, und somit keine Verbindlichkeit der First Bank gegenüber Einlegern darstellt.

II.

Wenn nun von First Bank $ 100.000 an neuen Reserven auf das Zentralbank-Konto von Second Bank übertragen worden sind — zur Begleichung der von American Steel an Firma Stuhlgang ausgestellten Rechnung —, stellt sich nun auch Second Bank die Frage: was machen wir mit diesen Reserven? Denn die Reserven, die sie erhalten hat, pflegen keinen nennenswerten Zinsertrag abzuwerfen, indes der Kunde, dem dieses Geld gutgeschrieben worden ist, einen gewissen Zins für sein Guthaben verlangt. Kurzum: wie können die eingegangen Reserven eingesetzt werden, so dass die Bank mit ihnen einen passablen Netto-Ertrag erwirtschaften kann / kein Geld verliert, relativ oder absolut.

Second Bank wird versuchen, die bei ihr auf ihrem Zentralbank-Konto neu eingegangen Bank-Reserven auszuleihen, um sich Zinseinnahmen (in ausreichender Höhe) aus diesem Kredit-Engagement zu sichern.

Doch bei einem Mindestreserve-Satz von 10% ( =  $ 100.000  x  0.1  =  $ 10.000), können nur $ 90.000 ( =  $ 100.000  -  $ 10.000) ausgeliehen werden. 

"Nur" ist gut. Immerhin lässt sich ein neuer Kredit (Geld, das es bisher nicht gab) in Höhe von 90% der eingegangen Reserven in den Wirtschaftskreislauf einspeisen.

Nun nehmen wir wieder an, dass die Kreditsumme vollständig an einen einzigen Empfänger ausgezahlt / überwiesen wird, der ein Konto bei Third Bank unterhält.
Third Bank hat das gleiche Bestreben wie Second Bank — sie möchte einen befriedigenden Ertrag auf die neu hinzugekommenen Reserven erwirtschaften. Zu diesem Zweck leiht auch sie den freien (nicht durch Mindestsatz gesperrten) Teil dieser Reserven zu einem auskömmlichen Zinssatz aus: Von den $ 90.000 sind also 10% Mindestreserve ($ 90.000  x  0.1  =  $ 9.000) abzuziehen, so dass $ 81.000 ( =  $ 90.000  -  $ 9.000) zur Kreditvergabe bereitstehen. 

Dieser Prozess kann sich solange fortpflanzen bis einfach keine Bank-Reserven zur Kreditvergabe mehr übrig geblieben sind.

Schauen wir uns einmal an, wie weit sich jetzt schon das Kreditvolumen, das Einlagenvolumen und letztlich die Geldmenge — angestoßen durch einen Wertpapier-Kauf der Zentralbank — im Banken-System ausgeweitet haben:

Der Kauf von Wertpapieren im Wert von $ 100.000 durch die Zentralbank hat neue Einlagen bei Second Bank ($ 100.000) und Third Bank ($ 90.000) in Höhe von insgesamt $ 190.000 erzeugt.

Gleichzeitig sind aufgrund dieses Multiplikator-Prozesses neue (bisher nicht bestehende, neues Geld in die Wirtschaft einspeisende) Kredite auf den Weg gebracht worden, zuerst durch First Bank ($ 100.000), dann durch Second Bank ($ 90.000) und schließlich durch Third Bank ($ 81.000), also ist insgesamt neues Geld in Höhe von $ 271.000 erschaffen worden. Aber der Prozess ist noch nicht zu ende.


Rekapitulieren wir den Prozess, der dazu führt, das das Volumen an Einlagen und das in der Wirtschaft zirkulierende (mittels Krediten dort eingespeiste) Geld sich ausweiten:

Die $ 100.000, die First Bank ihrem Kunden Stuhlgang als Kredit ausgereicht hat, sind bei Second Bank als Einlagen (auf dem Konto von American Steel) gelandet. Second Bank leiht unter Abzug von 10% Mindestreserven $ 90.000 dieser Einlagen als neuen Kredit an einen ihr kreditwürdig erscheinenden Kreditnehmer aus. Dieser Kreditbetrag in Höhe von $ 90.000 geht bei Third Bank als Einlage (eines ihrer Kunden) ein, die unter Abzug von 10% Mindestreserven in Form eines Kredits in Höhe von $ 81.000 an einen neuen Kreditnehmer ausgereicht wird. Bis dahin sind also infolge einer Intervention der Zentralbank (durch Wertpapierkauf) in das Bank-System insgesamt

$ 100.000 + $ 90.000 + $81.000 = $ 271.000 

an neu geschaffenen Krediten, neuem Geld, das in die Wirtschaft fließt, und

$ 100.000 + $ 90.000 = $ 190.000

an neu geschaffenen Einlagen

erzeugt worden. 

Wenn der Kredit der Third Bank bei der Fourth Bank eingeht, erhöht sich die Summe der neu geschaffenen Einlagen entsprechend, und es ist (nun für Fourth Bank) möglich, einen weiteren Kredit unter Abzug der Mindestreserve auszureichen, und so weiter und so weiter.

Fortgesetzt hier.

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