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Fortgesetzt von hier.
Viele Faktoren tragen dazu bei, den geringen Anteil der Haushalts-Einkommen (am BIP) in China zu erklären, einschließlich dem sehr wichtigen Phänomen der finanziellen Repression [ein schleichender Sparverlust der Haushalte zugunsten des Staats und der Zielgruppen seiner Subventionen], die sich unter anderem auszeichnet durch künstlich niedrig gehaltene Zinsen für Sparkonten, die es wiederum Gläubigern ermöglichen, Geld sehr günstig aufzunehmen — wodurch effektiv Einkommen der Haushalte, diesen entzogen wird, um [staatliche und betriebliche] Kreditnehmer zu begünstigen. Mit vielleicht 5 Prozent des BIP, ist dieser implizite Transfer in China außergewöhnlich hoch.
Je mehr Geld auf diese Weise transferiert wird, desto weniger verfügbares Einkommen steht dem Haushalts-Einleger zur Verfügung, weswegen er gezwungen ist, seine nominellen Ersparnisse und seinen nominellen Konsum herabzusetzen. Während es nicht einfach ist vorherzusagen, wie das künstlich herabgesetzte Zinsniveau sich auf die Spar-Quote der Haushalte auswirkt [wird umso mehr gespart, verliert das Sparen an Reiz?], ist es nicht allzu schwer zu sagen, welche Wirkung es auf die volkswirtschaftliche Spar-Quote hat. Ist der Transfer von beträchtlichem Umfang, verringert er den Anteil des BIP, den die Haushalte für sich behalten/verwenden. Außer wenn die Haushalte ihre Spar-Quote stärker reduzieren als den Rückgang ihres Anteils am BIP, muss dies unweigerlich dazu führen, dass die volkswirtschaftliche Spar-Rate ansteigt.
Kurzum: die außergewöhnlich hohe volkwirtschaftliche Spar-Quote Chinas ist in erster Linie eine Funktion des ungewöhnlich geringen Anteils der Haushalte am BIP.
[ ... Ich lasse hier einen längeren Passus aus, in dem Pettis sich gegen die Angriffe zweier Ökonomen verteidigt ... ]
[Wie schon erwähnt:] Zahlreiche Faktoren — wie die demographischen Verhältnisse, das Ausmaß der Ungleichheit der Vermögen, der Entwicklungsgrad der Infrastruktur für Konsumentenkredite etc — sind verantwortlich für die Spar-Quote eines Landes, aber wenn ein Land eine abnorm hohe Spar-Quote aufweist, liegt die Ursache hierfür meist an wirtschaftspolitischen Entscheidungen und ökonomischen Institutionen, die den Anteil der Haushalte am BIP zwangsweise klein halten.
Dies ist nicht nur in China, sondern auch in Deutschland zu erkennen. In den 1990er Jahren war es so, dass Deutschland zu wenig Ersparnisse ansammelte. In jenem Jahrzehnt war es oft so, dass Deutschland ein Leistungsbilanz-Defizit verzeichnete, was bedeutete, dass das Land Kapital einführte, um binnenländische Investitionen zu finanzieren. Das Leistungsbilanz-Defizit eines Landes ist schlicht und einfach die Differenz zwischen dem, was es investiert, und dem, was es spart, und die Deutschen haben in den 1990er Jahren eben nicht immer genügend gespart, um binnenländische Investitionen finanzieren zu können.
Das aber änderte sich in den ersten Jahren des darauf folgenden Jahrzehnts. Ein Übereinkommen zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und der Regierung bewirkte Zurückhaltung bei der Entwicklung der Löhne in Deutschland — (die von 3,2 Prozent in der Zeit vor dem Jahr 2000 auf 1,1 Prozent im folgenden Jahrzehnt herabsanken) — und sorgte dafür, dass die Haushalts-Einkommen als Anteil des BIP sanken und mit ihnen ebenso auch der Haushalts-Konsum. Da der relative Rückgang des Haushalts-Konsums in Deutschland zugleich einen Rückgang des Gesamtkonsums in Deutschland bewirkte, ist die deutsche Spar-Quote automatisch angestiegen.
Nota bene: die Spar-Rate in Deutschland ist also nicht etwa deshalb angestiegen, weil deutsche Haushalte den Entschluss fassten, sich auf eine schwierige Zukunft in der Euro-Zone dadurch vorzubereiten, dass sie nun mehr sparten. Die Pläne deutscher Haushalte hatten so gut wie nichts mit der Sache zu tun. Die deutsche Spar-Rate stieg, weil wirtschaftspolitische Weichenstellungen, die auf ein geringeres Lohnwachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen abzielten, den Konsum der deutschen Haushalte als Anteil des BIP verringerten.
Indes nun die Ersparnisse kräftig anstiegen, verschob sich die Lage der deutschen Wirtschaft dergestalt, dass nach einer Phase, in der die Ersparnisse nicht ausreichten, den Bedarf an binnenländische Investitionen zu bedienen, nach 2001 nicht nur genügend Spar-Mittel vorhanden waren, um alle Inlands-Investitionen zu finanzieren, sondern zudem in erheblichen und wachsendem Umfang ins Ausland exportiert werden mussten. Martin Wolf schreibt in [...] der Financial Times:
... zwischen 2000 und 2007 bewegte sich Deutschlands Leistungsbilanz von einem Defizit in Höhe von 1,7 Prozent des BIP hin zu einem Überschuss von 7,5 Prozent. Gleichzeitig entstanden korrespondierende Defizite in der übrigen Euro-Zone. Im Jahr 2007 belief sich das Leistungsbilanz-Defizit auf 15 Prozent des BIP in Griechenland, 10 Prozent in Portugal und Spanien und 5 Prozent in Irland.
Beschäftigungspolitik und Spar-Quote
Es ist verlockend, die deutsche Handlungsweise als weitsichtig, klug und als ein Vorbild anzusehen, dem alle anderen Länder hätten folgen sollen, um hohe Wachstumsraten und ein hohes Beschäftigungsniveau zu erzielen. Doch es zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass diese Handlungsweise alles andere als geeignet war, das Problem der Arbeitslosigkeit in Europa zu überwinden [...]. Deutschland hat die Arbeitslosigkeit lediglich aus dem eigenen Land in andere Länder verlagert. Wie? Weil der Export überschüssiger Ersparnisse aus Deutschland einfach nur das spiegelverkehrte Gegenstück von Maßnahmen war, die das Land dazu zwangen, einen Leistungsbilanz-Überschuss zu erzielen.
Um dies besser zu verstehen, tun wir so, als bestünde Europa nur aus zwei Ländern: Spanien und Deutschland. Wie wir schon sahen, hatte das Herabdrücken der Wachstumsrate deutscher Löhne relativ zum BIP die Folge, dass der Anteil deutscher Haushalts-Einkommen am BIP fallen musste. Außer wenn dieser Situation entgegen gewirkt worden wäre, entweder indem die deutschen Haushalte plötzlich sehr viel weniger sparsam geworden wären oder indem Berlin sich zu einem starken Anstieg des Staats-Konsums entschlossen hätte, war die unausweichliche Konsequenz, dass der Anteil des Gesamtkonsums am BIP fallen musste; was eine andere Art zu sagen ist, dass die volkswirtschaftlichen Ersparnisse in Deutschland steigen mussten. In dieser Phase, das mag man beiläufig anmerken, und vielleicht als Folge der Lohnzurückhaltung, ist der Gini-Koeffizient [eine Maßzahl zur Bestimmung des Grads der Ungleichheit in einem Land] in Deutschland deutlich angestiegen, so dass die höhere Einkommens-Ungleichheit die Ersparnis-Rate negativ beeinflusst haben mag [geringeren Konsum bewirkend und damit automatisch einen höheren Anteil der Ersparnisse am BIP].
Indes Deutschlands volkswirtschaftliche Ersparnisse stiegen und den deutschen Investitions-Bedarf deutlich übertrafen, musste die Differenz unweigerlich exportiert werden, wofür die Banken sorgten, indem sie vor allem Kredite an den Rest Europas vergaben, besonders an Länder die finanziell „dünner“ dastanden. Der Rückgang des Konsums in Deutschland hinterließ einen Überschuss an Produkten und Dienstleistungen, die im Inland nicht abgesetzt werden konnten, so dass die Überschuss-Produktion zusammen mit ihrem (unweigerlichen Pendant, dem) Überschuss an Ersparnissen ins Ausland exportiert werden mussten.
Der Rest der Welt musste die Überschuss-Ersparnisse Deutschlands absorbieren und verzeichnete Leistungsbilanz-Defizite, die Deutschlands Leistungsbilanz-Überschuss korrespondierten. Kandidaten für eine derartige Absorption waren jene Länder, die der Euro-Zone beitraten mit einer Vorgeschichte von Währungsabwertungen und höheren Inflationsraten als die in Deutschland – Länder, die wir für unsere gegenwärtigen Zwecke pauschal als „Spanien“ bezeichnen wollen.
Während die auf Europa ausgeweitete Geldpolitik deutschen Interessen entgegenkam und lockerer gehandhabt wurde als dies in Spanien erforderlich gewesen wäre, und während deutsche Ersparnisse von deutschen Banken nach Spanien gelenkt wurden, war zu erwarten, dass dort wahrscheinlich die Löhne, das Preisniveau und der Wert bestimmter Vermögenswerte steigen würden.
Und so kam es denn auch. Spanien und die anderen Länder der europäischen Peripherie erlebten allesamt eine Ausweitung ihrer Handels-Defizite oder ein Schrumpfen ihrer Handels-Überschüsse (welche in vielen dieser Länder in den 1990er Jahren zu verzeichnen gewesen waren), die aber schon kurz nach der Schaffung der Währungsunion beträchtlichen Defiziten wichen, als nämlich ihre Spar-Quoten sich veränderten, um die Exporte und die Überschuss-Ersparnisse Deutschlands aufzunehmen.
Die Art und Weise, wie der Export deutscher Ersparnisse in Spanien aufgenommen wurde, ist des Pudels Kern, was die spätere Krise betrifft. Solange Spanien nicht mehr imstande war, durch eigene Zinspolitik, Handelsbarrieren, oder Währungs-Abwertung deutsche Exporte abzublocken, blieb keine andere Wahl, als die Rolle dessen zu spielen, der die Überschüsse deutscher Ersparnisse über deutsche Investitionen zu absorbieren hatte. Dies bedeutet, dass entweder Spaniens Investitionen zu steigen oder seine Ersparnisse abzusinken hatten (oder beides).
Und beides trat ein. Spanien vermehrte seine Investitionen in Infrastruktur und den Immobilienbereich (weniger in der Fertigungswirtschaft, wahrscheinlich weil das deutsche Wachstum in diesem Bereich auf Kosten der Fertigungswirtschaft in anderen europäischen Ländern ging), aber es gab dabei Übertreibungen nach, womöglich wegen des gewaltigen Umfangs der Kapitalzuflüsse. Am Ende eines Jahrzehnts von Kapitalzuflüssen, die größer waren, als alles, was man bisher erlebt hatte, sah sich Spanien, wie jedes andere Land, das sich je in einer solchen Lage befunden hat, mit Fehlinvestitionen von ungeheurem Ausmaß konfrontiert.
Doch damit nicht genug. Insofern, als sich die von Deutschland nach Spanien exportierten Ersparnisse nicht völlig durch einen Anstieg der Investitionen in Spanien absorbieren ließen, war der nötige Ausgleich nur noch möglich, indem die volkswirtschaftlichen Ersparnisse in Spanien stark fielen. Die spanischen Ersparnisse konnten auf zweierlei Art fallen. Erstens, da der spanische Export-Sektor keine Chance gegenüber den deutschen Wettbewerbern hatte, konnte es dazu kommen, dass die Arbeitslosigkeit in Spanien stieg und so die Spar-Quote in Spanien drückte (arbeitslose Arbeiter müssen ja weiterhin konsumieren).
Zweitens, Spanien hätte die Ersparnisse der Haushalte freiwillig senken können, indem deren Konsum sich relativ zu ihrem Einkommen erhöht. Verstärkter Konsum in Spanien könnte für genügend Beschäftigung im Dienstleistungsbereich und in der Immobilienwirtschaft sorgen, um den Niedergang der Beschäftigung im Export-Sektor auszugleichen.
Mehr Konsum
Kaum verwunderlich angesichts des enormen Optimismus, der die Schaffung des Euros begleitete, geschah auch tatsächlich dies: der Konsum nahm kräftig zu. Als deutsches Geld nach Spanien strömte, wo es einen Aktien- und Immobilien-Boom in Gang brachte, begannen sich gewöhnliche Spanier wohlhabender denn je zuvor zu fühlen, besonders jene, die Häuser besaßen. Aufgrund dieses scheinbaren Vermögenszuwachses reduzierten sie den Anteil der Ersparnisse an ihrem Einkommen, wie Haushalte auf der ganzen Welt dies tun, wenn sie sich wohlhabender wähnen. Zusammen genommen war die Reduktion der spanischen Ersparnisse und der Anstieg der spanischen Investitionen (in Infrastruktur und Immobilien) ausreichend, um den Export deutscher Überschuss-Ersparnisse in vollem Umfang aufzusaugen.
Doch um welchen Preis? Das Ungleichgewicht, das in Europa durch die auf Drosselung des Inland-Konsums ausgerichtete deutsche Wirtschaftspolitik entstanden war, zwang Spanien zum verstärkten Konsum und zur Ausweitung der Investitionen, wobei letztere in hohem Maße auf unwirtschaftliche Immobilienprojekte verschwendet wurden ( — wie in allen Defizit-Ländern, die von massiven Kapitalzuflüssen überflutet wurden). Natürlich ist kein Mangel an Moralaposteln, die nicht müde werden zu betonen, dass Gier der Motor dieser Entwicklung war und dass niemand Spanien zu diesem Konsum-Boom gezwungen hat. „Niemand hat ihnen eine Pistole an die Schläfe gedrückt und sie gezwungen, Fernseher mit Flachbildschirmen zu kaufen“, so hört man oft.
Doch solche Äußerungen gehen an der Sache vorbei. Weil Deutschland seine Überschuss-Ersparnisse exportieren musste, hatte Spanien keine Wahl als seine Investitionen anzuheben oder den Kollaps seiner Ersparnisse zuzulassen, wobei letztes entweder in Form eines Konsum-Booms oder in Form von steigender Arbeitslosigkeit zu erzielen gewesen wäre. Eine andere Option stand nicht zur Verfügung.
Wer darauf besteht, dass die spanische Krise das Ergebnis von Korruption, Dummheit, Gier, moralischem Stumpfsinn oder politischer Kurzsichtigkeit ist – eine Haltung, die sich Moralapostel in ganz Europa mit Vorliebe zu eigen machen – bleibt die Antwort schuldig, warum diese wenig schmeichelhaften Züge, sich erst offenbarten nachdem Spanien dem Euro beigetreten war. Waren die Spanier im 20. Jahrhundert tugendhafter als im 21. Jahrhundert? Unbeantwortet bleibt auch die Frage, warum mit einem Mal Laster an Stelle von Tugend trat, und zwar in jedem Land, das dem Euro mit einer Vorgeschichte vergleichsweise hoher Inflation beitrat, während es den Ländern Mittel- und Osteuropas, die keine Vorgeschichte hoher Inflationsraten aufwiesen und dem Euro fernblieben, durchaus gelang, tugendhaft zu bleiben.
Mit anderen Worten: die europäische Krise hatte fast nichts mit deutscher Sparsamkeit und spanischer Verschwendungssucht zu tun. Vielmehr hatte sie zu tun mit einer Wirtschaftspolitik, die das Beschäftigungsniveau in Deutschland anheben wollte und zu diesem Zweck, einen übertriebenen Anstieg volkswirtschaftlicher Ersparnisse in Deutschland erzwang. Diese Überschuss-Ersparnisse mussten von Europa absorbiert werden [wegen der engen und fatal ergänzenden Bedarfslage innerhalb der Währungsunion] und das spätere Ungleichgewicht war derartig groß (wegen des enormen Ersparnis-Ungleichgewichts [gegenüber Konsum und Investitionen] in Deutschland), dass es fast unweigerlich zu der Situation führen musste, vor der wir zurzeit stehen.
Aus diesem Grund kann die europäische Krise nicht überwunden werden, es sei denn es gelingt, die deutsche Spar-Quote herabzudrücken. Nicht nur muss diese gesenkt werden, sie muss ganz erheblich herabgedrückt werden, so sehr nämlich, bis Deutschland schließlich ein beträchtliches Leistungsbilanz-Defizit verzeichnet. Dies ist der einzige Weg, den der Rest Europas beschreiten kann, um die ihnen aufgebürdeten Ungleichgewichte mit einem Minimum an Schaden für Europa als Ganzes zu beseitigen. Nur auf diese Weise wird es Ländern wie Spanien möglich sein, im Euro zu verbleiben, während sie gleichzeitig die Arbeitslosigkeit senken.
Fortgesetzt hier.
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