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In der folgenden Serie handelt es sich um eine von mir erstellte Übersetzung dieses Artikels von Michael Pettis.
Nicht Sparsamkeit, sondern ein
Überschuss an deutschen Ersparnissen verursachte die Euro-Krise, von Michael
Pettis
Einer der Gründe, warum es so
schwer ist für viele Analysten, ja selbst für ausgebildete Ökonomen, das
Ungleichgewicht zu verstehen, das der gegenwärtigen Krise zugrunde liegt,
besteht darin, dass wir allzu gerne den Unterschied übersehen zwischen den Ersparnissen,
von denen man im Zusammenhang mit einer Volkswirtschaft spricht, und den
Ersparnissen in den Händen eines Haushalts, wie jeder von uns einen führt.
[...]
[...] Wir begehen den Fehler zu
unterstellen, dass eine Volkswirtschaft einem privaten Haushalt gleicht. Da wir
wissen, dass ein Haushalt umso besser für die Zukunft gerüstet und umso
wohlhabender ist, je größer der Teil des laufenden Einkommens ist, den er
seinen Ersparnissen zuweist, nehmen wir kurzerhand an, dass das Selbe eben auch
für eine ganze Volkswirtschaft zutrifft. [...]
[...]
Aber eine Volkswirtschaft ist
kein Haushalt. Was eine Volkswirtschaft benötigt, um Wohlstand zu bilden, sind
nicht wachsende Ersparnisse, sondern produktive Investitionen. Gewiss sind auch
Inlands-Ersparnisse von Belang, doch nur insofern, als sie eine — und
wahrscheinlich die sicherste — der Methoden darstellen, mittels derer sich
Inlands-Investitionen finanzieren lassen. Wobei freilich gilt, dass
Inlands-Ersparnisse sich eher über einen langen Zeitraum zu fehlgeleiteten
Investitionen abzweigen lassen, als dies mit Mitteln der Fall ist, die aus dem
Ausland stammen. [Steuern können lange missbräuchlich eingesetzt werden,
wohingegen ausländische Investoren sich bei verfehlter Mittelverwendung
schneller zurückziehen können.]
Ersparnisse für sich genommen
erzeugen jedoch keinen Wohlstand. Es sind produktive Investitionen, die
Wohlstand bilden. Inlands-Ersparnisse sind nichts anderes als das Ergebnis von
aufgeschobenem Konsum [oder Konsumverzicht, was man hinzufügen möchte, da das leihweise
an andere abgetretene Vermögen zu konsumieren mitunter nicht nur für einen
späteren Zeitpunkt aufgeschoben ist, sondern ganz ausbleiben kann für den Verleiher,
wenn nämlich der Schuldner seine Schulden nicht zurückzahlt].
In einer geschlossenen Wirtschaft
sind Ersparnisse und Investitionen identisch; oder anders ausgedrückt: was
immer wir nicht konsumieren, das investieren wir (und wenn wir etwas
produzieren, das weder konsumiert noch investiert wird, schreiben wir dessen
Wert auf Null ab, so dass die Gleichung gültig bleibt). In einer offenen
Wirtschaft ist es so, dass wenn mehr gespart als investiert wird, der
Überschuss an Ersparnissen exportiert werden muss. Sie muss den Überschuss an
Produktion exportieren.
Definitionsgemäß gilt, dass, wenn
eine Wirtschaft mehr spart als sie investiert, dann müssen Konsum plus Ersparnisse größer sein als Konsum plus Investition. Ersteres ist die Summe aller Güter und Dienstleistungen,
die in dieser Volkswirtschaft erzeugt werden, letzteres die Summe der Güter und
Dienstleistungen, die in ihr absorbiert werden. Das Land erzeugt mehr Güter und
Dienstleistungen als es in Anspruch nimmt, und muss daher den Überschuss
exportieren.
Indem ein Überschuss an Ersparnissen
exportiert wird, stellen die Teilnehmer dieser Wirtschaft Ausländern Mittel
bereit, mit denen diese den Produktions-Überschuss erwerben. Aus diesem Grund
müssen Leistungsbilanz und Kapitalbilanz stets zu Null summieren.
Im 19. Jahrhundert [...] haben
die reichen Länder des Westens Ersparnisse in großem Umfang exportiert, [...]
vorwiegend in Länder, die in den 1960er Jahren von der Dependence-Schule als
Länder der Peripherie bezeichnet wurden. [Autoren wie] Hobson und Conant
vertraten die Meinung, dass diese Überschuss-Ersparnisse ihre Ursache in
Einkommens-Ungleichheit [in den wohlhabenden Länder] hatten. Wenn der Wohlstand
sich in immer größerem Maße auf immer weniger Menschen verteilt, nimmt der
Verbrauch weniger schnell zu wie die Produktion, vor allem weil der Konsum der
Menschen umso geringer im Verhältnis zu ihrem steigenden Einkommen ist.
Ersparnis ist Produktion von Gütern und Dienstleistungen weniger Konsum, so
dass ein relativer Rückgang des Konsums unweigerlich eine höhere Sparquote zur
Folge hat.
Dies war eine sehr wichtige
Erkenntnis. Der Überschuss an Ersparnissen, so diese Autoren, ist dann nicht
mehr die Folge von Sparsamkeit im herkömmlichen Sinne, sondern zeugt vielmehr
von einer Art wirtschaftlicher Verzerrung. Die Konsequenz dieser Art von
„Sparsamkeit“ war nicht größerer Wohlstand, sondern ein Ungleichgewicht in der
Weltwirtschaft.
In einer geschlossenen Wirtschaft
gibt es vier Optionen, das Ungleichgewicht auszugleichen, das durch überzogene
Ersparnis hervorgerufen wird.
Zunächst ist es so, dass
Investitionen in gleichem Maße steigen können wie Ersparnisse.
Allerdings mag der Privatsektor nicht
bereit sein, Investitionen zu tätigen, wenn er zur Auffassung gelangt, dass der
Anteil des Konsums auf längere Sicht rückläufig sein wird; in welchem Fall, der
Staat Investitionen vornehmen mag, zum Beispiel im Bereich der Infrastruktur,
so dass Ersparnisse und Investitionen ein Gleichgewicht auf höherem Niveau
bilden. Dies ist jedoch nur durchzuhalten, wenn ausreichende Anlässe bestehen,
produktive Investitionen vorzunehmen; doch wenn der Konsum an seine Grenzen
stößt, ist zu erwarten, dass sich Investitionen rückläufig entwickeln.
Schließlich ist ja der Zweck von Investitionen, die heute getätigt werden, die
Ermöglichung von Konsumzuwachs zu einem späteren Zeitpunkt.
Die zweite Möglichkeit, ein
Ungleichgewicht zu verhindern, besteht darin, dass Staat und Gewerkschaften
sich um die Umverteilung des Einkommens zugunsten weniger wohlhabender
Bevölkerungsschichten bemühen. Wenn sich der Anteil von Angehörigen der
Mittelklasse und von Haushalten mit geringem Einkommen am
Brutto-Inlands-Produkt erhöht, steigt unweigerlich der Anteil des Konsums relativ
zur Produktion (die Spar-Rate nimmt ab), selbst dann, wenn Mittelklasse und
Haushalte mit geringen Einkommen, einen wachsenden Anteil ihres höheren
Einkommens ihren Ersparnissen zuweisen. Die Spar-Quote nimmt bis zu dem Punkt
ab, wo Ersparnisse und Investitionen wieder im Gleichgewicht sind, so dass
alles, was in einer Volkswirtschaft produziert wird, konsumiert oder investiert
wird.
Die dritte Variante, auf die man
in einer geschlossenen Wirtschaft zurückgreifen könnte, allerdings nur
vorübergehend, wäre die Finanzierung eines Konsum-Booms seitens der gering
verdienenden Bevölkerungsschichten. Wie dies zu bewerkstelligen wäre? Dies kann
zum Beispiel dazu führen, dass die Ersparnisse in stärkerem Maße zunehmen als
Gelegenheiten für produktive Investitionen und steigende
Produktionskapazitäten, so dass mehr und mehr der von den Wohlhabenden
kumulierten Ersparnisse sich auf spekulative Investitionen verteilen, die
wiederum den Preis von Vermögenswerten wie Häuser, Aktien oder Anleihen in die
Höhe treiben. Mit steigenden Preisen für derartige Vermögenswerte fühlen sich
viele Haushalte wohlhabender und sehen sich in der Lage, vom Überschuss an Ersparnissen
zu profitieren, indem sie Verbraucherkredit in Anspruch nehmen, wobei derartige
Geldaufnahme gleichbedeutend mit negativen Ersparnissen ist.
Wenn nun Hauspreise oder der Wert
von Investitionsprojekten steigen, kann es gut sein, dass nicht nur der Konsum
zunimmt, sondern ebenso auch Investitionen in neue Häuser. Wenn beides
stattfindet, wird der Konsumrückgang, der durch wachsende
Einkommensungleichheit entsteht, ausgeglichen durch kreditfinanzierten
Immobilienerwerb und steigende Investitionen im Wohnungsbau, so dass
Ersparnisse und Investitionen schließlich wieder in Einklang stehen. Das ist
es, was in den Vereinigten Staaten und den Ländern der europäischen Peripherie
im Vorfeld der Krise von 2007-09 stattfand.
Der vierte Weg, der sich
einschlagen lässt, um eine von Überschuss-Ersparnissen ausgelöste Ungleichgewichtslage
in einer geschlossenen Wirtschaft zu überwinden, besteht darin, die
Arbeitslosigkeit in die Höhe zu treiben [...]. Wenn die Einkommensungleichheit
zunimmt und der Konsum weniger stark steigt als die Produktion, sehen sich
Unternehmen dazu gezwungen, die Produktion zu drosseln und Arbeitnehmer zu
entlassen. Entlassene Arbeitnehmer produzieren nichts, aber sie konsumieren
weiterhin, entweder aufgrund von Ersparnissen, sozialstaatlichen Mitteln oder
Zuwendungen von Freunden und Familienangehörigen. Dies bewirkt, dass die
Ersparnisse abnehmen und wieder in Einklang stehen mit den Investitionen;
allerdings fallen in einer Wirtschaft, in der die Arbeitslosigkeit steigt, die
Unternehmensgewinne, und mit diesen die Investitionen, so dass mehr
Arbeitnehmer entlassen werden müssen und dieser Prozess sich unter Umständen
selbst verstärkt.
Eine offene Wirtschaft hat noch
eine andere Option.
In einer geschlossenen Wirtschaft
gibt es kaum andere Alternativen, um Ersparnisse und Investitionen miteinander in
Übereinstimmung zu bringen, wenn strukturelle Ursachen, die Spar-Rate
zwangsweise in die Höhe treiben. Wir aber leben in offenen Volkswirtschaften […]
(wenn auch die Welt selbst eine geschlossene Wirtschaft ist). Und so ergibt sich
noch eine fünfte Option, Unausgewogenheiten auszugleichen, die wegen eines
Überschusses an Ersparnissen auftreten. [Diese fünfte Option] entspricht dem,
was Hobson und Conant als die Wurzel des Imperialismus im 19. Jahrhundert
beschrieben haben.
Wenn die Ersparnisse in einer
Volkswirtschaft derartig hoch sind, dass sie nicht alle profitable Verwendung
finden können, besteht die Möglichkeit, sie ins Ausland zu exportieren, wodurch
zwangsläufig ausländische Nachfrage importiert wird, die den inländischen
Produktions-Überschuss absorbiert. Der Netto-Export an Ersparnissen (abzüglich
des Netto-Ertrags früherer Investitionen) ist genau gleich dem Netto-Export an
Gütern und Dienstleistungen.
Mit anderen Worten: in einer
offenen Wirtschaft sind die Ersparnisse von Bedeutung, weil sie, in dem Maße
wie sie die Investitionen übersteigen, exportiert werden müssen und einen
Überschuss der Leistungsbilanz ergeben.
Damit sind wir bei der Konfusion
angelangt, die viele Analysten und Ökonomen dazu verleitet, den Unterschied
zwischen volkswirtschaftlichen und persönlichen Ersparnissen zu verkennen.
Die Ersparnisse eines Haushalts
verkörpern jenen Teil des Einkommens, den der Haushalt nicht konsumiert. Eine
Größe, die beeinflusst sein kann durch kulturelle und demografische Faktoren,
durch das Vorhandensein und die Glaubwürdigkeit eines sozialen
Sicherheitsnetzes, durch den Entwicklungsstand des Verbraucherkreditwesens und
so weiter.
Die volkswirtschaftlichen
Ersparnisse hingegen umfassen nicht nur die Ersparnisse von Haushalten, sondern
auch die von Staat und Unternehmen. Die volkswirtschaftlichen Ersparnisse sind
definiert als das BIP eines Landes minus Konsum.
[Also, alles, was nicht Konsum
ist, fällt unter die Kategorie „Ersparnisse“. Die Bestandteile des BIP gehören
entweder dem einen – Konsum – oder dem anderen – Ersparnisse – an und das BIP bildet
insgesamt die Summe dieser beiden Kategorien.]
Während die Ersparnisse von
Haushalten primär bestimmt sein mögen durch die kulturellen und demografischen
Präferenzen der in ihnen lebenden Menschen, gilt das Gleiche nicht für die volkswirtschaftlichen
Ersparnisse.
In manchen Fällen ist der Anteil
der Haushalte am Verbrauch aller produzierten Güter und Dienstleistungen eines
Landes der Hauptfaktor, der sich auf die volkswirtschaftlichen Ersparnisse
auswirkt — wobei die Höhe dieses Anteils bestimmt wirkt von den
wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und den Institutionen der Wirtschaft.
Anders gesagt: die
volkswirtschaftlichen Ersparnisse mögen herzlich wenig mit den Vorlieben der
Haushalte zu tun haben und dafür umso mehr mit verzerrenden Anreizen, die die
Wirtschaftspolitik schafft. China hat die mit Abstand höchste Spar-Rate der
Welt. Einer der Gründe dafür liegt tatsächlich darin, dass die Haushalte einen
vergleichsweise hohen Teil ihres Einkommens in Ersparnisse stecken.
Indes die volkswirtschaftliche
Spar-Quote in China außergewöhnlich hoch ist, erweist sich die Spar-Quote der
Haushalte als in etwa gleich derer in ähnlichen Ländern der Region und ist
sogar geringer in manchen dieser Länder. Chinesische Haushalte sind nicht
annähernd so sparsam wie es die volkswirtschaftliche Spar-Quote des Landes
suggeriert. Woher kommt es dann, dass die volkswirtschaftliche Spar-Quote so
außergewöhnlich hoch ist?
Der Hauptgrund [...] liegt nicht
so sehr in der Einkommensungleichheit (wiewohl diese gewiss ein Problem in
China darstellt) als darin, dass der Anteil des Einkommens der Haushalte am BIP
sehr niedrig ist. Mit etwa 50% des BIP verbleibt bei den chinesischen
Haushalten ein Anteil an allen im Lande produzierten Gütern und
Dienstleistungen, der niedriger ist als dieser Anteil in jedem anderen Land der
Welt.
Dies ist die Folge einer seit
langem von Beijing verfolgten Wirtschaftspolitik, die darauf abzielt, das
BIP-Wachstum dadurch anzukurbeln, dass sie das Wachstum der Haushalts-Einkommen
einschränkt. Infolgedessen ist der Anteil der Haushalte an Chinas
Gesamtproduktion von Gütern und Dienstleistungen seit dreißig Jahren
rückläufig, wobei er im vergangenen Jahrzehnt besonders stark gefallen ist. Es
ist kaum verwunderlich, dass bei einem fallenden Anteil der Haushalte an der
chinesischen Produktion, eben auch der Konsum einen rückläufigen Anteil (am
BIP) ausmacht. Da die volkswirtschaftlichen Ersparnisse einfach nur BIP weniger
Gesamt-Konsum sind, und der Großteil des Konsums auf den Konsum der Haushalte
entfällt, ist der Rückgang des Anteils der Haushalts-Einkommen am BIP nichts
anderes als das spiegelverkehrte Gegenstück des Anstiegs in Chinas
außergewöhnlich hoher Spar-Quote.
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