Sunday 25 February 2018

Two Views of Liberty

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English summary to be added soon.

Ich habe in meinem Post Promethean Growth — Forgotten Deliverance („Prometheisches Wirtschaftswachstum – die vergessene Erlösung“ folgendes geschrieben:

Wir sprechen hier von einem Kapitalismus, der durchtränkt ist von liberalen Werten, bald aber auch geprägt wird von der Erneuerung des Liberalismus durch eine sozialdemokratische Gesellschaftsphilosophie, die im modernen Staat das Potenzial erkennt, die Schwächen des Kapitalismus durch Sozial- und Konjunkturpolitik zu korrigieren.

Der Liberalismus war ursprünglich das politische Programm derer, die die Unterdrückung des Unternehmertums und anderer Formen (besonders im Bürgertum anzutreffender Bedürfnisse) freier persönlicher Entfaltung propagierten. In Frankreich zum Beispiel bildeten das Bürgertum und das entstehende Königtum lange Zeit eine in diesem Sinne liberale Front gegen die Aristokratie.

Später verengte sich der Liberalismus zur Plattform für die Interessenvertretung der unternehmerischen Klasse. Damit einher ging auch eine Verengung des Freiheitsbegriffs, der bis heute von radikalliberalen, libertären und anarcho-kapitalistischen Kräften verteidigt wird.

Nach der verengten Doktrin von der Freiheit stellt diese den höchsten unter allen Werten dar. Er ist gewissermaßen ein alles ordnendes Oberstes. Die Freiheit ist der dominierende Schlussstein in einer ihr untergeordneten hierarchischen Etagen-Architektur. Man kann durchaus von einer autoritären Freiheitsstruktur sprechen, denn gemäß dieser Sichtweise bestimmt die Freiheit, welcher Inhalt und welcher Platz in der Wertehierarchie anderen Idealen und Ansprüchen zukommt.

Noch anschaulicher kommt das autoritäre Modell von der Freiheit als dem höchsten Wert im Bild eines Speichenrads zum Ausdruck: Im Zentrum liegt die Nabe – die Freiheit, meist verstanden als die Freiheit des Individuums. Von ihr gehen Speichen aus – andere Rechte und Forderungen an die Gemeinschaft –, die verankert sind in der Nabe, die den höchsten, den Leitwert abbildet, der seinerseits bestimmt, welche Eigenschaften und Grenzen allen anderen Werte – dargestellt durch die Speichen – zukommt.

Aus dieser hierarchisch-autoritären Freiheitsstruktur leitet der radikale Liberalismus Forderungen ab, die geeignet sind, die Interessen bestimmter Gesellschaftsgruppen – unter Ausblendung der Anliegen anderer Parteien – besonders zu betonen. Kennzeichnend für diesen selektiven Liberalismus ist die Neigung, den Einsatz staatlicher Zwangsgewalt weitgehend abzulehnen, zugleich aber extensive staatliche und im Prinzip willkürliche, weil partikularistische Eingriffe zu begrüßen, sofern sie  ihren eigenen Vorhaben dienlich sind. So ist – vielfach nicht zu unrecht – der Vorwurf erhoben worden, der Liberalismus sei an einen parteiischen, vielleicht kann man sogar sagen an einen Klassenstandpunkt gebunden. Deswegen ist er nicht dazu geeignet, das wahre Bild gesellschaftlicher Ansprüche und Bedürfnisse authentisch abzubilden.

Es ist die Sozialdemokratie, die schließlich den Liberalismus erneuert und somit als wichtiges Element des Gesellschaftsbildes unserer Zeit erhält. 

Nicht untypisch für die radikalliberale Neigung, die Demokratie herabzusetzen, verhöhnt Hayek den Begriff „Sozialdemokratie“ als hohl oder tautologisch – wie könne eine Demokratie nicht sozial sein, eine Demokratie sei doch notwendigerweise der Ausdruck sozialer Beziehungen. 

Tatsächlich macht die Sozialdemokratie ihrem Namen in substanzieller Weise Ehre, denn sie ist sozial, in dem Sinne, dass sie die – durchaus nicht einheitlichen, oft rivalisierenden – Anliegen aller sozialer Schichten zum Ausdruck gebracht sehen will, nicht nur die Sichtweise bestimmter Gruppen. Daraus folgt, dass sie gleichzeitig dezidiert demokratisch sein muss. Denn aus ihrem sozialen Anspruch ergibt sich, dass die Einbeziehung aller in ein Regime der Freiheit nicht darauf verzichten kann, jedem Bürger die Möglichkeit zu geben, am politischen Wettbewerb um die Regeln und Werte, die eine Gesellschaft beherrschen sollen, teilzunehmen.

Damit sind wir bei der wichtigsten Schlussfolgerung dieses Artikel angelangt.

Neben der Auffassung des älteren Liberalismus, bietet uns die sozialdemokratische Erneuerung des Liberalismus eine zweite Auffassung von Freiheit an, die entschieden nicht hierarchisch und keineswegs autoritär ist. 

Anders als das statische Bild einer Werte-Hierarchie, das uns der klassische Liberalismus hinterlassen hat, spiegelt die zum sozialdemokratisch erneuerten Liberalismus passende Metapher ein dynamisches Gebilde wieder. 

Wir müssen uns einen sich emsig bewegenden Schwarm vorstellen, eine ständig chargierende Punktwolke. Die in ihr enthaltene Elemente wirken unentwegt aufeinander ein und verändern dabei ihre relativen Stellungen zu einander.

Diese emergente Erscheinung, diese sich, wie ein Fischschwarm unentwegt neu formierende spontane Ordnung ist die Freiheit. 

(Hayek – und der klassische Liberalismus – verkennen, (1) dass die Freiheit selbst eine spontane Ordnung ist, (2) dass sie durch den freien Ausdruck der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen entsteht und (3) dass es gerade nicht so ist, wie er annimmt, dass nämlich bestimmte von ihm erwünschte Institutionen und Regeln bereits in sich die Ergebnisse dessen tragen, was er sich unter einer spontanen Ordnung vorstellt. Es gibt keine prästabilisierte Ordnung, die den Gesetzen der freien Marktwirtschaft innewohnen. Stattdessen müssen wir durch bewusstes Handeln die Verantwortung für die Qualität der spontanen gesellschaftlichen Ordnung übernehmen, in der wir leben.)

Es gibt keinen Zentralpunkt der Freiheit, von dem alle anderen Werte und Ansprüche in ihre Bedeutung und Zulässigkeit abhängig sind. Vielmehr sind alle Punkte aufeinander bezogen. Veränderungen in einem Punkt haben Veränderungen in anderen Punkten zur Folge, sodass die Wolke eine neue Form annimmt.

In der sozialdemokratischen Ordnung der Freiheit sind alle sozialen Schichten am Prozess der Aushandlung des relativen Gewichts der die „Freiheitswolke“ ausmachenden Punkte durch Partizipation in einen wirksamen politischen Wettbewerb beteiligt.

Teil der Freiheit sind zum Beispiel die Rechte der Mieter, ein anderer Teil der Freiheit besteht aus den Rechten der Vermieter. Diese sind mit anderen Freiheitselementen verbunden: Arbeitsrecht, Vertragsrecht, Gemeinderecht, Bauordnungen und unzählige andere Vernetzungen von „Punkten“, die relevant für die Ausgestaltung der Freiheit sind.

Ein Freiheitsbegriff, der die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Standpunkte diverser gesellschaftlicher Gruppen anerkennt und sich für ihre offene Bekundung und ihren Ausgleich einsetzt, ist imstande, auch im Staat einen Teil des Gesamtprozesses zu erkennen, der die in einer Gesellschaft unweigerlich gegebenen unterschiedlichen Gruppeninteressen so aufeinander zu beziehen hilft, dass unnötiger Rivalitätsschäden vermieden und die Interessen aller bestmöglich berücksichtigt und gefördert werden.

Wir werden in späteren Posts sehen, dass die Freiheitsvorstellung des klassischen Liberalismus eingebaut ist in das Urmodell des zeitgenössischen Neoliberalismus – die klassische Ökonomik. Das Bild von der Gesellschaft, das die klassischen Ökonomen haben, wirkt auf ihre Ökonomie zurück. Und bald schon prägt die in der Klassik verankerte ökonomische Lehre das Bild, das wir uns von der Gesellschaft machen.

Die Grundvorstellung ist die von einer prästabiliserten Ordnung, einer Ordnung, die prinzipiell (als Idee vor-konstruiert) schon besteht und ohne weiteres zu erreichen ist, wenn bestimmte Verhaltensregeln eingehalten werden. In dieser Lesart ist kein Platz für Freiheit wie sie dem Menschen möglich ist. Freiheit im klassisch liberalen Sinne ist ein totes Ideal. Erst wenn die Rolle der Rivalität und Kontingenz im menschlichen Miteinander und dessen nichtdeterministische Ergebnisse als wesentliche Komponenten der Freiheit Berücksichtigung finden, erwacht die Freiheit zum Leben.

Siehe auch

The (Little Understood) Economics That Changed Politics in the Past 40 years 

(1) Neoliberal Economics and Its Rival
(2) Neoliberal Economics and Its Rival — Say's Law
(3) Neoliberal Economics and Its Rival — Effective Demand
The Bad Conscience of an Economist

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