Saturday 17 February 2018

Eigennutz und Gier


Englische Version hier: Self-Interest and Greed.

Ich fasse hier die wichtigsten Punkte zusammen, die ich in einem im April 2012 geschriebenen englischen Beitrag vorgelegt habe.

Darin gehe ich von der Äußerung eines Autors aus, demzufolge Eigennutz weder gut noch schlecht, sondern eine nicht abzuschaffende Erscheinung des menschlichen Daseins ist.

Ich widerspreche dieser Aussage, indem ich zwischen Eigennutz und Gier unterscheide.

Eigennutz ist gut, Gier ist schlecht.

Eigennutz ist gut, weil er gewissermaßen ein Instrument ist, dass wir benötigen, um zu überleben und Gutes zu tun, wobei Gutes natürlich auch die Fähigkeit umfasst, die eigenen Lebensbedingungen und die anderer Menschen zu verbessern. 

I. Eigennutz – der Kompass des Individuums

Menschen sind Individuen, d. h. ihre Existenz ist immer auch begleitet von Bedürfnissen, die dem Einzelnen spezifisch sind. Der Platz, den ein Mensch einnimmt, kann buchstäblich von keinem anderen Menschen eingenommen werden. Jeder Mensch hat also schon physisch einen einzigartigen Standpunkt, der ihn dazu zwingt, die Welt aus seiner ganz eigenen Perspektive wahrzunehmen und sich an der Bewältigung des Lebens unter ganz persönlichen Gesichtspunkten zu versuchen. Das Individuum hat seine eigene Sichtweise, nicht die eines anderen, es lebt sein eigenes Leben, nicht das eines Anderen und es hat seine ganz eigenen Bedürfnisse, nicht die einer anderen Person.

Natürlich gibt es Übereinstimmungen mit anderen Menschen, aber es bleibt immer ein ganz entscheidendes Residuum an Individualität hinsichtlich der Wahrnehmung der Welt, des Bedürfnisempfindens und der Lebensgestaltung.

Wenn ein Mensch nicht in der Lage ist, diese ganz eigenen, für sein Leben wichtigen Belange wahrzunehmen, wird er über kurz oder lang schweren Schaden nehmen und irgendwann daran zugrunde gehen. Verliert er seine Fähigkeit, sich selbst besserzustellen, dann wird es ihm auch nicht mehr möglich sein, sein individuelles Wissen, Wollen und Können in den Dienst der Verbesserung der Lage anderer Menschen zu stellen. Man kann ihn vielleicht noch einer Sache opfern, z. B. als Kanonenfutter oder todgeweihtem Sklaven, aber der konstruktive Drang, das Geschick und das Ingenium, welche den Menschen von Maschinen und Tieren unterscheiden, ist nicht mehr im Spiel.

Wer dem Menschen die Möglichkeit nimmt, seinen Eigennutz zu berücksichtigen, entmenschlicht ihn, nimmt ihm die spezifisch menschliche Qualität und erdrückt die notwendige Selbstbestimmung des Individuums unter einem Übermaß an Fremdbestimmung.

Eigennutz ist der Kompass eines Menschen, der es ihm ermöglicht, seine besonderen Fähigkeiten so in die Gemeinschaft einzubringen, dass beide – Individuum und Kollektiv – Vorteil aus dem Miteinander ziehen, dass die Interessen beider Seiten gewahrt bleiben.

Eigennutz grundsätzlich mit Argwohn zu begegnen oder ihn, wie dies oft geschieht, mit Gier und Rücksichtslosigkeit gleichzusetzen, ist eine gefährliche Haltung, denn sie wirft den Respekt über Bord, den jedes Individuum verdient.

II. Der Mensch überlebt und gedeiht, indem er unentwegt neue Bedürfnisse entwickelt

Auch das Kollektiv ist auf das Instrument Eigennutz angewiesen, d. h. darauf, dass der einzelne Mensch seinen Eigennutz verfolgt. Denn als Spezies überleben und gedeihen wir, weil wir uns unserer Umwelt durch die Entdeckung und Befriedigung immer neuer Bedürfnisse anpassen. Freilich ist das Kollektiv kein Wesen, dass dazu imstande wäre, sich neue Bedürfnisse zu erschließen. Das kann nur das Individuum. Auch wenn Instinkte eine große Rolle beim Überleben der Menschen spielen, sie sind nur notwendige nicht aber zureichende Bedingung für die erfolgreiche Bewältigung des menschlichen Lebenskampfes. 

Als Individuen, aber auch als Spezies können wir nicht überleben, ohne, dass wir unsere Intelligenz einsetzen, unsere Fähigkeit zu abstrahieren, zu schlussfolgern und Lösungen im Kopf zu vorwegzunehmen, bevor wir sie in der Praxis  – auch da wieder mithilfe unserer hoch entwickelten rationalen Fertigkeiten – umsetzen. 

Wir schützen uns vor Anfechtungen durch unsere Umwelt, indem wir diese in Problemlagen zerlegen, eine Landkarte von ihr entwerfen, die quasi ein Verzeichnis mangelnder, noch fehlender Lösungen bildet. Aus dieser Perspektive ist es leichter zu erkennen, dass der Mensch kraft Bedürfniserzeugung überlebt. Es sind ja Bedürfnisse verbunden mit der Beseitigung fehlender Lösungen – sagen wir, das Bedürfnis, ein Fortbewegungsmittel mit einem Selbstantrieb (einen „Automotor“ ohne Einsatz menschlicher oder tierischer Antriebsenergie) auszustatten. 

Jeder Tag unseres Lebens ist angefüllt mit der Erfindung neuer Bedürfnisse zwecks Beseitigung fehlender Lösungen. Wir tun dies so häufig und mit solcher Selbstverständlichkeit, dass uns das zugrunde liegende Prinzip in den seltensten Fällen bewusst wird. Die alte Eieruhr funktioniert nicht mehr – damit ist ein Problem oder anders gesagt: der Mangel an einer Lösung, entstanden. Die Lösung erscheint in Gestalt eines Bedürfnisses, das man in dieser Form noch nicht hatte: man sucht nach einer digitalen Eieruhr im Internet. So trivial und selbstverständlich gestaltet sich oft das grundlegendste Verfahren des menschlichen Überlebens.

Je ausgeprägter die Fähigkeit einer Gattung ist, sich Probleme durch Ersinnen und Umsetzen neuer Bedürfnisse zu entledigen, desto erfolgreicher ist sie bei ihren Versuchen, sich der Umwelt anzupassen – und das heißt, sie lebt sicherer, länger und angenehmer.

Weil die Fähigkeit sich durch die Entdeckung und Erfindung von Bedürfnissen im Leben zu behaupten von so tief greifender existenzieller Bedeutung für den Menschen ist, empfindet der Mensch jede Einschränkung dieses Talents wie eine körperliche Versehrung. Das ist es auch, denn es wird ihm genommen, was er für ein intaktes Leben benötigt.

Jetzt ist es an der Zeit, sich zu fragen, was Wohlstand ist. Nun, nichts anderes als ein Arsenal von Dingen und Fähigkeiten, die es dem Menschen ermöglichen, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Sofern wirtschaftliches Wachstum und wachsender persönlicher Wohlstand diese menschliche Grundkonstante bedienen, sind sie Ausdruck der conditio humana.  Der Mensch braucht von Natur aus ständig neue Bedürfnisse. Seine Fähigkeit, diese zu befriedigen, steigern seinen Wohlstand. 

Menschsein heißt ständig wachsen, auch wirtschaftlich, und eine zunehmende Zahl an neuen Bedürfnissen zu empfinden und zu befriedigen.

Dabei orientiert sich das menschliche Ingenium, das eine Eigenschaft des Individuums, nicht des Kollektivs ist, natürlich an dem, was der Kompass des Eigennutzes anzeigt. Denn bedürfnisausweitendes Problemlösen ist eine Eigenschaft des Individuums, wie wir gesehen haben – sogar eine von jenen Merkmalen, die den Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheiden (wie beispielsweise die menschliche Sprache). 

Kein Ingenium ohne Eigennutz – denn kein Ingenium ohne Individuum und kein Individuum ohne Eigennutz. Gier und Rücksichtslosigkeit sind kontraproduktive Übertreibungen, oftmals auch eigennutzorientierter Handlungen. Aber den Eigennutz mit diesen Untugenden gleichzusetzen, bedeutet die grundlegendsten Bedingungen des Menschseins zu verkennen.

Die tendenziöse Darstellung der Kategorie Eigennutz als eine Untugend ist ein beliebtes Mittel demagogischer Beeinflussung. Je nach Dosierung kann es ein grelles aber auch ein recht subtiles Element im Arsenal derer sein, die entweder als Vorreiter oder als Mitläufer durch ständige Wiederholung entsprechender Plattitüden eine Grunddisposition des Argwohns und der Verachtung gegen unsere Gattung in der Bevölkerung verbreiten. 

Diese dunkel getönte Sicht auf den Menschen hält uns davon ab, anzuerkennen wie wunderbar die Leistungen unserer Spezies sind, dass wir stolz auf uns sein können und dass die Menschenverachtung der unsere Kultur dominierenden grünen Religion ebenso unbegründet wie gefährlich ist.

Siehe auch den zweisprachigen Beitrag Germany's Vicious Green Circle ...

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