Friday, 23 September 2016

FV (9) — Demokratie und Freiheit

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Über FV.


Demokratie und Freiheit

Ich empfinde die in libertären Kreisen inzwischen weit verbreitete Geringschätzung der Demokratie als beunruhigend.

Solange es einen Staat gibt – und ich kann nicht erkennen, dass dieser sich jemals erübrigen wird – besteht Bedarf an brauchbaren Mechanismen, welche Informationsaustausch und Verhandlungen zwischen Herrschaftsspezialisten und der mündigen Bevölkerung ermöglichen.

Gewiss, bestimmte Auffassungen von Demokratie werfen erschreckende Probleme auf.

Besonders jene, die in der Demokratie den Ausdruck einer großen Anzahl von konkreten Forderungen sehen, welche den Willen aller oder einer herrschaftsberechtigten Mehrheit verkörpern und deren Umsetzung anhand konkreter Regierungsmaßnahmen eine direkte und authentische Volksherrschaft verbürgen sollen.

In dieser Vorstellung bleibt das Prinzip autoritärer, zu Willkür befähigter Herrschaft unberührt. Es wird lediglich durch die halb beschwichtigende, halb schmeichelhafte Annahme modifiziert, dass die Rolle des Souveräns von einer Bevölkerungsmehrheit ausgeübt werden kann.

Dieser Ansatz weist zum einen unüberwindliche praktische Schwierigkeiten auf: Wie sollen Millionen von Menschen über ausreichende Informationen und Möglichkeiten einer erfolgreichen Konsensbildung verfügen, so dass sie auch wirklich als gleichberechtigte Direktherrscher handeln? So aussichtslos dieser ambitionierte Demokratiebegriff ist, so sehr bietet er sich zum Machtmissbrauch durch Eliten an, die vorgeben, das Volk zu repräsentieren.

Zum anderen gibt dieses Bild der Demokratie Anlass zu prinzipiellen Bedenken, besonders im Hinblick darauf, dass in ihm nicht vorgesehen ist, dem Volkswillen – eben weil er als Legitimitätsquelle letzter Instanz gilt – Beschränkungen bei der Machtausübung aufzuerlegen.

Doch gerade in der Eignung, Macht zu beschränken, liegt nach überzeugenderer Lesart der grundlegendste Wert der Demokratie.

Machiavelli hat ihren Wesenskern sehr gut erkannt, indem er das Allgemeinwohl bestimmt als das Interesse, das allen gemeinsam ist, die sich geschützt wissen wollen vor Willkürherrschaft.

Hier haben wir es mit einem Anliegen zu tun, dass in der Tat der Zustimmung breiter Bevölkerungsteile zugänglich ist und diesen in seiner vollen Bedeutung bewusst und in seinen Konsequenzen bekannt sein kann – anders als das konkrete Regierungsgeschehen, das ihm unbekannt und doch in seinem Namen in millionenfachen Maßnahmen vollzogen wird.

Wir stehen vor der Scharnierstelle zwischen Demokratie und Freiheit: Als Schutzmechanismus, der die Menschen vor Willkür bewahren soll, wird die Demokratie zu einem Procedere für die Verwirklichung von Freiheit.

Damit ist die Frage der konkreten Ausgestaltung der Demokratie noch nicht beantwortet. Ohne Zweifel werden sich dem kritischen Beobachter bei ihrer Beantwortung zahllose Angriffsflächen in Gestalt verbleibender Unzulänglichkeiten bieten. Doch wir müssen uns vor absoluter Kritik hüten.

Demokratie? Unzulänglich? Ja! Aber verglichen womit?

Ich glaube, als klassischer Liberaler hat man in Sachen Demokratie einen ganz ähnlichen Spagat auszuhalten wie bei der Beurteilung des Wesens und der Möglichkeiten des Staats. Denn der Staat ist einerseits eine Verwirklichungsbedingung der Freiheit und andererseits auch ihr gefährlichster Feind. Ebenso prismatisch zwischen Gut und Böse schimmernd stellt sich die Demokratie dar, die sich gestalten lässt als Verteidigungslinie der Freiheit aber auch als Instrument ihrer Übertretung. Wohin sie stärker neigt, ist eine Frage des politischen Wettbewerbs.

Geschrieben im März 2013.

Englischer Zwillingsbeitrag.

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