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Fortgesetzt von hier.
Weitere Auszüge aus meinem deutschen Manuskript "Freiheit verstehen" zum Thema Politik, und auch hier eine konträre Sicht auf Freiheit:
Weitere Auszüge aus meinem deutschen Manuskript "Freiheit verstehen" zum Thema Politik, und auch hier eine konträre Sicht auf Freiheit:
So paradox es klingen mag, Freiheit entfaltet sich nicht ohne das gleichzeitige Wirken von Kräften, die zumindest andere Ziele als das der Freiheit verfolgen, diesem Ziel entgegenwirken oder ihm feindlich gegenüberstehen. Das Gemisch an Faktoren, die einfließen in die Zivilisationsentwicklung, ist zu reichhaltig, vielgestaltig und subtil, als dass es sich auf ein theoretisches Modell oder ein reines Ideal einer freien Gesellschaft zurückführen ließe. Freiheit wird diesem Gemisch abgerungen. Sie ist eines der vielen Ergebnisse gesellschaftlicher Evolution. Neben Elementen der Freiheit bestehen andere Ergebnisse, die die Freiheit konterkarieren, fragmentieren und relativieren.Damit verwischen sich die Konturen des Freiheitsideals und dessen realistisch-praktische Möglichkeiten nehmen sich nun bescheidener aus. Es ist jedoch der Freiheit nicht damit gedient, über diese begrenzenden Parameter hinwegzusehen. [...]
Freiheit ist nie von Politik und Staat zu trennen. Politik und Staat sind unverzichtbar, um Freiheit zu ermöglichen. Politik und Staat umfassen aber auch die Kanäle, in denen die Gegenströmungen zur Freiheit fließen. [...]
Wenn man die Freiheit unter dem Gesichtspunkt des Politischen beleuchtet, gelangt man zu einer der wichtigsten Erkenntnisse unserer Untersuchung: Freiheit ist kein Endzustand, der darauf wartet, ausgepackt zu werden. Freiheit ist ein dynamisches, ein sich immerfort entwickelndes Phänomen. Freiheit hat nie aufgehört sich zu entwickeln und wird auch in Zukunft veränderlich bleiben.
In vielen Betrachtungen zur Freiheit, gerade auch solcher von Menschen, die sich zu ihr bekennen, lässt sich jedoch ein eher statisches Verständnis des Phänomens erkennen. Die Vernachlässigung des dynamischen Charakters der Freiheit erfolgt oft in subtiler oder unterschwelliger Weise. Eine wichtige Rolle spielen sicherlich popularisierende Verkürzungen dieses schwierigen Themas; wohl auch der Ehrgeiz, eine in sich stimmige, möglichst unwiderlegliche Weltanschauung zu vertreten. Oder schiere Gewohnheit, bevorzugte Themen solange wiederzugeben, bis man nicht mehr in der Lage ist, kritische Fragen an sich selbst zu richten oder die Einwände Anderer ernst zu nehmen. [...]
An dieser Stelle bietet es sich an, einen Irrtum des Liberalismus anzusprechen: ja, es gibt Faktoren, die bedauerlicherweise gegen die Freiheit wirken, z.B. die Machtübernahme durch ein repressives Regime. Aber: es gibt auch Faktoren, die gegen die Freiheit wirken, ohne dass dies als bedauerlich zu bezeichnen wäre. Allem voran: Inkommensurables in den verschiedenen Freiheitsauffassungen, die unter den Menschen anzutreffen sind - sagen wir: unterschiedliche wirtschaftspolitische Ansichten.
Nein, einen idealen Zustand der Freiheit gibt es nicht, da die Freiheit ein System komplexer Verfahren darstellt, welche dazu dienen, dass wir uns einander gegenseitig anpassen - wobei es keinen Grund gibt anzunehmen, dass eine vollkommene Anpassung möglich ist, was immer damit gemeint sein mag. Infolgedessen ist ein nicht geringes Maß an grundlegenden Meinungsverschiedenheiten von vorneherein in den Prozess der Freiheit eingebaut.
Wären wir uns in allem einig, bedürfte es nicht der Freiheit. Freiheit hat die Doppelfunktion, Meinungsverschiedenheiten zuzulassen, einerseits, und dafür zu sorgen, dass die von ihr begünstigte dissensfähige, ja dissensintensive Gemeinschaft befriedet bleibt.
Wir können also Einigkeit nicht hinsichtlich der konkreten Bedeutung von Freiheit in all ihren Facetten, groß und klein, erwarten, sondern höchstens in Bezug auf die von uns autorisierten Verfahren des Dissens und der Dissensbefriedung. Das ist der Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Legitimität. Wer in einer freien Gesellschaft lebt, kann nicht erwarten, dass seine Gerechtigkeitsvorstellungen in allen ihm wichtig erscheinenden Bereichen und Belangen erfüllt sind; er kann aber erwarten, dass die gültigen Normen und Praktiken in diesen Bereichen und Belangen auf dem Wege legitimer Verfahren zustande gekommen sind oder immerhin auf dieser Basis allgemein anerkannter Entscheidungsweisen gegebenenfalls weiterhin verteidigt oder aber auch angefochten und neu gestaltet werden können.
Dieses Grundmerkmal der Freiheit rückt die Politik in den Mittelpunkt unseres Gemeinschaftslebens. Ohne Politik keine Freiheit. Genauer: ohne sehr viel Politik keine Freiheit.
Die Freiheit entlastet die Gerechtigkeit, die an ihre Grenzen stößt, wenn im Prinzip jeder Mensch mitentscheiden darf, was gerecht ist und was nicht. Als Befreierin des Individuums muss die Freiheit einen Weg finden, wie wir miteinander zurechtkommen, obwohl es grundsätzlich dazu kommen könnte, dass jeder eine andere Vorstellung davon hat, was Gerechtigkeit ist - und viele Menschen weisen untereinander nennenswerte Divergenzen in dieser Hinsicht auf, zumal Uneinigkeit in nur einer einzigen Frage schon einen schweren Konflikt begründen kann.
Die Lösung besteht darin, Gerechtigkeit durch Politik zu entlasten. Wir reservieren unsere absoluten Gerechtigkeitsvorstellungen für verhältnismäßig wenige, aber umso wichtigere Belange - die robusten Bedingungen der Freiheit und darunter vorrangig die Bedingungen einer pluralistischen Ordnung (Verhinderung einer dauerhaften Vormachtstellung und die Abschaffung des für alle offenen politischen Wettbewerbs durch eine Person oder eine Gruppe), denn die wiederum erlauben es erst, die anderen, einander sich gegenseitig bedingenden robusten Bedingungen der Freiheit auf eine als legitim empfundene Weise auszuhandeln und gegeneinander auszutarieren.
(1) Das hat erstens den angenehmen Vorzug, dass wir uns nicht ständig den Kopf darüber einschlagen müssen, ob etwas absolut gerecht ist oder nicht. In unfreiheitlichen Gemeinschaften ist das Leben bis in die kleinsten Details unter dem Gesichtspunkt absolut gerechter oder ungerechter Handlungsweisen durchorganisiert (wer darf wann in Anwesenheit wessen einen Hut tragen oder eben nicht).
(2) Zweitens ist es wirtschaftlicher, die Zahl der Maximalkonflikte in einer Gesellschaft herabzusetzen.
(3) Und Drittens ist eine Gesellschaft kreativer und letztlich produktiver, in der abweichende Vorstellungen, Experimente und Projekte nicht immer daran scheitern, dass sie zugunsten eines einheitlichen Weltbildes gewaltsam unterdrückt werden.
Übrigens, dass wir in freiheitlichen Gesellschaften mit absoluter Gerechtigkeit sparsamer umgehen, als in solchen, die ein starreres und engmaschigeres Moralsystem beherzigen, bedeutet durchaus nicht, dass unsere normativen Erwartungen konfus und unklar sind und sich in einem unverbindlichen Relativismus mehr oder weniger auflösen. Selbst die "nur" legitimen Normen werden einerseits unerbittlich durchgesetzt, andererseits sind unsere Normen aber auch leichter neuen Gegebenheiten anzupassen. Die deliberativen (auf öffentlicher Debatte beruhenden) Legitimierungsverfahren der gerechtigkeitssparenden Gesellschaft haben selbst gewissermaßen "staatstragenden" Charakter, das heißt, sie haben einen ebenso hohen Rang wie die absoluten Gerechtigkeitsvorstellungen früherer Gemeinschaften. Anders gesagt: wenn Dinge im Rahmen der deliberativen Legitimierungsverfahren angezweifelt werden, so wird damit nicht gleich die Gesamtordnung in Frage gestellt, und absolut bedroht. Im Gegenteil, das Anzweifeln des Gegebenen, das Plädieren für Neues, das Argumentieren wider andere Standpunkte, all diese Methoden des Hinterfragens und des Erneuerns sind selbst "staatstragende" Tätigkeiten, sind selbst eine Form, mit der wir uns der Legitimität und des wünschenswerten Bestands unserer Gesellschaftsordnung vergewissern.
Fortsetzung folgt.
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