Wednesday, 2 March 2016

Das Paradoxon der Freiheit (15) - Ein Vortrag

Fortsetzung des vierzehnten Teils.

Das freiheitliche Denken ist vielfältig. Es gehört uns allen, jeder darf sich an ihm versuchen. Das freiheitliche Denken ist ein Leitfaden in einer pluralistischen Debatte mit weit gefächerten Kontroversen. Es kann daher irreführend sein, sich das freiheitliche Denken als ein zusammenhängendes Gebilde vorzustellen. Man führt sich seine Wirkung vielleicht besser vor Augen, wenn man an einen fein geriebenen Mineralstoff denkt, der sich, überall verstreut, eher durch ein gelegentliches Funkeln bemerkbar macht. Durch Selektion nur einiger Teile des freiheitlichen Denkens, durch Ballung und Überbetonung einiger Aspekte verwandelt es sich in eine Ideologie.

Was jeder Ideologie anhaftet, ist eine gewisse Hermetik - das heißt, Ideologien zeichnen sich durch den Anspruch und das Bemühen aus, als in sich geschlossen und abschließend wahrhaftig gelten zu wollen. Sie belehren uns eher, als dass sie uns zum selbstständigen Denken und zum offenen Austausch einladen. Denn bergen sie, mehr oder weniger augenfällig, das Versprechen in sich, den Schlüssel zur Wahrheit in denen ihnen wichtigen Belangen gefunden zu haben.

In seinem Plädoyer für die Freiheit stützt sich John Locke, Urahne des Liberalismus, auf selbstevidente Sachverhalte, also solche, die von Natur aus unbezweifelbar und wahr sind, weil Gott es so will. Ludwig wälzt die Verantwortung für die Letztbegründbarkeit des Liberalismus auf den Bereich der Logik und Erkenntnistheorie ab, indem er unumstößlich wahre Axiome ins Feld führt, aus denen sich die Schlüssigkeit seiner Vorstellungen zwingend ableiten lässt. Bei Hayek kommt die Funktion des Schlüssels zur Wahrheit seinen so genannten "allgemeinen abstrakten Regeln des gerechten Verhaltens" zu.



Es gibt einen deontolgischen Liberalismus und einen konsequentialistischen; mit ersterem ist das Begründungsmuster gemeint, das wir bei Locke und von Mises antreffen. Danach gibt es letzte Gründe, die unumstößlich für die Richtigkeit des Liberalismus sprechen. Demgegenüber leitet der Konsequenzialismus die Gültigkeit liberalen Denkens aus den zuträglichen Konsequenzen ab, die sich für Individuum und Gemeinwesen ergeben, wenn liberale Prinzipien beherzigt werden.

Persönlich glaube ich, dass der Konsequenzialismus zum Teil sehr starke Argumente ins Feld zu führen vermag. Ich bin davon überzeugt, dass es Verhaltensweisen und insofern "Regeln des gerechten [und oder vernünftigen] Verhaltens gibt, deren Beherzigung Gutes bewirkt, während deren Missachtung von Übel ist. Das Problem ist jedoch, dass man die Gültigkeit solcher allgemeinen Regeln für das gerechte Verhalten sich als zu engmaschig und zu starr anwendbar denken kann. Das ist die Schwierigkeit bei Hayek. Grob gesagt: bestimmte Normen, die das Eigentumsrecht regeln, mögen unter sehr allgemeinen Bedingungen und daher in einer großen Anzahl von Fällen zuträglich sein, doch das bedeutet nicht, dass sie absolut sind, dass sie nicht durch den Wandel der Zeiten und der Umstände an neue Kontexte angepasst werden müssen. Ich behaupte: es ist gerade der Vorzug der Freiheit, dass nicht mehr nur wenige Interessen, sondern die gesamte Bevölkerung am Aushandeln solcher Anpassungen des Netzwerks der für unser Wohlbefinden zuständigen Regeln und Rechte beteiligt werden. Sehr vereinfachend und zuspitzend gesagt: natürlich sind Prinzipien wichtig, doch ich behaupte, wir brauchen weniger Prinzipien und mehr Menschen im Rechtsbildungsprozess.



Hayek sieht das anders. Er will lieber die Menschen außen vor lassen und bevorzugt dafür mehr Platz und Ungestörtheit für seine Prinzipien. Wir haben uns ja schon in Das Paradoxon der Freiheit (10) davon überzeugen können, dass für Hayek die deliberativen (auf öffentlicher Debatte beruhenden) und somit zutiefst politischen Verfahren der Bildung und Abwandlung von Recht außerordentlich suspekt sind - daher ja auch seine Theorie einer Privatrechtsgesellschaft, die das Recht von öffentlicher Beteiligung isolieren will, daher auch sein Gewaltenteilungsprogramm, mit dem er seinen Liberalismus zur Staatsdoktrin erheben und gegen Wandlungen des Zeitgeist abschotten will.

An diesem Punkt wird in Hayek der Pulsschlag des deontologischen Liberalismus spürbar. In Anlehnung an Kant, setzt er sein Vertrauen in objektive Verfahren der Rechtsfindung, die unabhängig sind vom Auf und Ab der politischen Gezeiten und bessere Ergebnisse als das öffentlich beeinflusste Recht hervorrbingen. Er führt eine Reihe von Kriterien an, die uns die objektive Richtigkeit eines Rechtssatzes anzeigen, allen voran das Kriterium der Universalisierbarkeit. Nimmt ein Rechtssatz, nach allen anderen Hürden, auch die der Universalisierbarkeit, so gewärtigen wir eine objektive Grundsstruktur des Rechts.

Etwas derartiges gibt es meiner Auffassung nach nicht. Gutes Recht ist eine Mischung aus Evolution, Tradition, kritisch bewerteter Erfahrung und Politik. Keines der Elemente ist absolut dominant. Wir können mit dem Recht experimentieren, wir sollten es sogar, und bis zu einem gewissen, vielleicht nicht ganz freiwilligen Grade sind wir dazu ohnehin gezwungen. Auf objektive Kriterien, die außerhalb dieser Bestimmungsgrößen wie Fixsterne auf uns herabstrahlen, sollten wir uns nicht verlassen. Sie sind eine Fiktion, mit deren Hilfe man uns fremde Vorlieben schmackhaft machen will. Sie entspringen der Hermektik einer Ideologie, von der ich eingangs sprach - dem Anspruch und dem Bemühen, als in sich geschlossen und abschließend wahrhaftig gelten zu wollen.


Fortsetzung folgt.

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