Monday 7 March 2016

Politik (3) - Privatsphäre und Öffentlichkeit als öffentliche Güter

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Fortgesetzt von hier.

Bevor ich weitere Passus aus dem deutschen Buch-Manuskript "Freiheit verstehen" unten einfüge, möchte ich noch folgenden Gedanken festhalten, der das Verhältnis von Politik und Freiheit betrifft:

Die Erstarkung des Staats und der (persönlichen) Freiheit (im Sinne reduzierter Willkür gegenüber dem Individuum) sind verzahnte Prozesse. Das wichtigste Bindeglied dieser Verzahnung ist die Politik, genauer: das Betreiben von Politik als einer öffentlichen Angelegenheit, die jeden Bürger einbezieht, der willens ist, an der Gestaltung des Gemeinwesens teilzuhaben.

Staat als Erzeuger von Öffentlichkeit und als Massenprivatisierer vormals obrigkeitlicher Domänen (Eigentum und Recht z.B.)

Der Staat erreicht seinen historischen Leistungshöhepunkt, wenn er sich stärker denn je darum bemüht, in den Dienst einer demokratischen Öffentlichkeit zu treten. Dazu gehört in wesentlichem Maße die Bereitstellung öffentlicher Güter, welche dem Individuum die materielle, kulturelle und politische Basis für einen hohen Grad an persönlicher Autonomie verschaffen. [Übrigens mag die konzentrische Ausdehnung der Freiheit (dazu auch mehr hier und hier) oftmals genau dieser Reihenfolge gehorchen: materielle Emanzipation ("Fakten größerer Freiheit schaffen"), kulturelle Emanzipation ("neue Gewohnheiten kultureller Wahrnehmung"), politische Emanzipation ("sozialer Druck groß genug, um Emanzipation durch Aufnahme in den politischen Demos abzuschließen". Es wäre interessant, das Schicksal der Schwarzen in den USA oder der Frauen in den letzten dreihundert Jahren unter diesen Gesichtspunkten zu überprüfen.].

Ein Beispiel liefert der weitgehend unbemerkte Umstand, dass der moderne liberal-demokratische Staat von Natur aus der größte Privatisierer aller Zeiten ist. So befördert er auch vielerlei Formen der Privatisierung, die uns nicht bewusst sind, weil sie inzwischen selbstverständlich geworden sind: Nicht nur durch den Schutz von Eigentumsrechten, der in einer staatslosen Gemeinschaft nicht annähernd reibungslos zu bewerkstelligen wäre, erweist sich der Staat als Massenprivatisierer sondersgleichen, sondern auch dadurch, dass er eine Rechtsordnung aufrechterhält, welche weit über das unmittelbar Eigentumsrechtliche hinaus ausgedehnte Bereiche des menschlichen Miteinanders dem Bestreben und den Verhandlungen von Privatleuten überlässt. Im Hintergrund wirkt der Staat als "enabler" (Erzeuger der Voraussetzungen) und gegebenenfalls als "umpire" (Schiedsrichter)  und "enforcer" (Vollzugsorgan des Rechts). 

So habe ich denn hier in Scarce Justice - When What Is "Just" Is Not Known (2/2) festgehalten:
Law in a free society is designed to make justice an instrument of parsimonious use and last resort, and to outsource to the sub-jurisdiction of the citizenry (empowered by private property and freedom of contract) much of what used to be regulated under a close-mesh net of rigid common standards of justice, and so much more of what would have been ruled out or entirely inconceivable under "the abundance of justice" characteristic of a status-based social order.
Nun ist natürlich das Recht seinerseits letztlich abhängig von politischen Einflüssen. In einer freien Gesellschaft aber verstärkt sich dieser Zusammenhang insofern als die Politik eine flexible, kompromissfähige Alternative bietet zur Festschreibung absoluter Erfordernisse aufgrund eherner Gesetze der Moral und der Gerechtigkeit.

In einer traditionellen Gemeinschaft sind Legitimität und Gerechtigkeit deckungsgleich.

In einer politischen Gesellschaft können die beiden Befunde divergieren, mit dem großen Vorteil, dass
  • man - in seiner Eigenschaft als Teilnehmer des politischen Wettbewerbs - etwas als ungerecht verurteilt
und
  • es dennoch - in seiner Eigenschaft als Teilnehmer politischer Kompromissverfahren - als legitim hinzunehmen bereit ist
Und so entwickelt sich auf dem Weg zum modernen Staatswesen mit seiner historisch beispiellosen Ressourcenbasis und seinen entsprechend umfangreichen Einflussmöglichkeiten eine gesellschaftliche  Ordnung, die politisierter denn je ist, in dem Sinne, dass weitaus mehr Menschen als in früheren Zeiten an der politischen Einflussnahme auf den Staat beteiligt sind.  

Eine freie Gesellschaft ist somit eine hoch politisierte Gesellschaft, ganz im Gegensatz zu den Vorstellungen (bestimmter Formen) des Liberalismus, nach denen der Fortschritt einer Gesellschaft mit einem Abbau des in ihre herrschenden Grades an Politisierung einhergeht.   

Die Bereitschaft und Fähigkeit des Staats, öffentliche Güter bereitzustellen, und die Qualität sowie die Tragweite des Nutzens dieser öffentlichen Güter steigt in dem Maße, wie sich der Radius der Öffentlichkeit ausweitet und wir von einer Situation, in der - im Wesentlichen - eine Clique, eine dünne privilegierte Schicht der Gesellschaft die Öffentlichkeit darstellt, zu einem Zustand gelangen, wo im Prinzip jeder Gesellschaftsteilnehmer zur Öffentlichkeit zählt.

Zu den wichtigsten öffentlichen Gütern, die der Staat ermöglicht, gehören die Rahmenbedingungen dessen, was wir als Öffentlichkeit im modernen Sinne bezeichnen. 

Worauf ich unterm Strich hinaus will ist, dass der Staat öffentliche Güter erzeugt, die eine radikale Privatisierung der Gesellschaft hervorbringen. Mehr Bereiche denn je unterliegen der Sub-"Jurisdiktion" der Menschen als Privatpersonen: Belange, deren Gestaltung nach Maßgabe individueller Bedürfnisse früher undenkbar war (z.B. ein geregelter demokratischer Austausch der Obrigkeit) oder durch Tabu gegen Infragestellung und Wandel geschützt waren (z.B. freie Wahl der Haltung zur Religion) oder per gesellschaftlicher Konvention präjudiziert wurden (z.B. Berufswahl), sind nun den Individuen überlassen. Das kommt einer "gigantischen" Privatisierungsleistung gleich. Dazu gehört - so paradox es klingen mag - die Erschaffung der modernen Öffentlichkeit, die ja nichts anderes ist als die Einbeziehung privater Menschen in den politischen Entscheidungsprozess.

Bevor wir uns über den Staat als Zerstörer isolierter Freiheitsrechte empören, die man in Wirklichkeit erst besser versteht, wenn man sie in ihrer Vernetztheit untereinander bewertet, sollte man sich stets vor Augen halten wie gewaltig das Privatisierungswerk des modernen Staats ist.

Fazit. Um stark, mächtig und effektiv zu sein, ist der Staat auf eine modernen Öffentlichkeit angewiesen, d.h. er benötigt eine intensive Interaktion zwischen sich und der Bevölkerung. In anderen Worten: Politik.
Politische Unternehmer – der Staat und seine Verhandlungspartner

Der Staat lässt sich als ein politischer Unternehmer auffassen, der darum bemüht ist, mit seiner Fähigkeit, Regeln festzulegen und durchzusetzen, Verhältnisse zu schaffen, die sein Einkommen und die ihm entgegengebrachte politische Unterstützung maximieren.

Wegen der besonderen Machtstellung des Staats und dessen sich daraus ergebenden Vorteile bei der Durchsetzung von Regeln, übernimmt er die Federführung in einem Prozess, den man als das ständig redigierte Abfassen eines Gesellschaftsvertrags deuten kann.

Um seine eigenen Interessen zu wahren, ist der Staat angewiesen auf den Zufluss authentischer Informationen, anhand derer er sich ein Bild machen kann über den Stand des ihm entgegengebrachten politischen Zuspruchs und die Bedingungen erhöhter Wirtschaftlichkeit und Produktivität. Eine gewisse Offenheit gegenüber Ansichten und Anliegen aus der Bevölkerung ist also für den rationalen Staat durchaus geboten, da auf diese Weise die gemeinsamen Interessen umfassender und genauer bestimmt und in den fortlaufend redigierten Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden können. Es ist also auch aus Sicht des Staats wünschenswert, zumindest aber in gewissem Maße unumgänglich, dass Meinungsfreiheit, öffentliche Kritik und andere Formen oppositionellen Gebarens ihren Platz im Prozess des Informationsaustausches einnehmen.


Der fortlaufend redigierte Gesellschaftsvertrag und seine Makler

Ebenso ist es rational aus der Warte des Staats, mit anderen politischen Unternehmern - Parteien, Lobbyisten, Beratern - zusammenzuarbeiten, die als Intermediäre (Makler) zwischen ihm und der Bevölkerung agieren.

[...]
Fortsetzung folgt.

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