Sunday 13 March 2016

Eine japanische Lektion - Moderne Geldtheorie (MGT) - Episoden und Stichworte (1)


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§ 1

Lange schon frage ich mich, was mit Japan geschehen ist, das uns in den 1980er Jahren wegen seiner ungeheuren wirtschaftlichen Stärke so imposant erschienen war. Zwar untersuche ich im vorliegenden Beitrag nicht die Ursachen des dramatischen Einbruchs der japanischen Märkte in Immobilien und Aktien Ende der 1980er Jahre. Das sei einem gesonderten Beitrag vorbehalten. Aber ich versuche, aus dem Schicksal der japanischen Wirtschaft Rückschlüsse zu ziehen über grundsätzliche Handlungsoptionen, die der Wirtschaftspolitik im Angesicht eines starken Abschwungs offenstehen. Ich behandele die Situation, wie sie sich aus der Perspektive des Jahres 2009 darstellte.

§ 2

Von Interesse ist die japanische Reaktion auf den Wirtschaftseinbruch Ende der 1989er Jahre für mich in diesem Beitrag vor allem deshalb, weil wir an ihr nachvollziehen können, dass wirtschaftspolitische Überzeugungen, an denen man gegenwärtig und schon seit geraumer Zeit allenthalben festhält, insbesondere der Glaube an die unbedingte Notwendigkeit einer strengen Beschränkung des Spielraums für Staatsverschuldung und fiskalpolitische Maßnahmen (Staatsausgaben zur Ankurbelung der Wirtschaft), auf irrigen Annahmen und entsprechend falscher Deutung der einschlägigen empirischen Befunde beruhen.

§ 3

Die Befürchtung ist, dass, wenn der Staat sich immer stärker verschuldet, (1) die Zinsen steigen müssen und so die gesamte Wirtschaft mit erhöhten Finanzierungskosten belastet wird, und (2) insbesondere private Emittenten von Schuldtiteln aus dem Markt gedrängt werden, weil die höheren Renditen, die ihre Papiere im Vergleich zu Staatstiteln zahlen müssen, durch den gestiegenen Grundsockel des Zinsniveaus so weit angehoben werden, dass sie nicht mehr darzustellen sind. 

§ 4

Allerdings zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Staatsverschuldung und der Renditen von Staatspapieren in Japan, dass sich diese Erwartungen keineswegs erfüllt haben. Während in den 1990er Jahren die japanische Staatsverschuldung deutlich angestiegen ist, haben die Renditen von langfristigen Staatsanleihen ebenso wie die kurzfristigen Geldsätze stark nachgegeben.


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§ 5

In den frühen 1990er Jahren sank das Vertrauen in die wirtschaftlichen Perspektiven des Landes auf einen Tiefpunkt. Die Investitionsbereitschaft evaporierte, die Banken taten sich schwer, Kreditnehmer mit angemessener Bonität zu finden, im Privatsektor war man allenthalben bemüht, Schulden abzubauen oder zu sparen. Mit anderen Worten: die Zeichen standen auf weiteren starken Abschwung. Ein kräftiger Rückgang des Bruttonationaleinkommens (BNP) stand ins Haus, sowie eine deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit. Es sollte aber anders kommen. 

§ 6

Unbeirrt von der vorherrschenden wirtschaftspolitischen Lehre, ging man in Japan zu einer expansiven Fiskalpolitik über. Die Erhöhung der Staatsverschuldung ermöglichte Ausgaben, die die Wirtschaft so weit belebten, dass Produktionsleistung und Einkommen auf einem Niveau gehalten werden konnten, welches über dem einer Rezession lag. Ohne Zweifel war die Wirtschaft angeschlagen, aber man hatte sie auf Wachstumskurs gehalten dank der entschiedenen fiskalpolitischen Intervention, von der die Japaner sich auch durch Abstufung der Bonität ihres Landes seitens international einflussreicher Bewertungs-Agenturen nicht abbringen ließen.

Trotz heftiger Beteuerungen vieler "Experten", dass ein verheerender Zinsanstieg und bald auch Inflation drohten, hielten die Japaner über Jahre hartnäckig an ihrer expansiven Fiskalpolitik fest. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Ländern kam für Japan eine Politik der umgehenden Rückkehr zu einem niedrigen Niveau der Staatverschuldung nicht in Betracht.

§ 7


Wie war dieser relative Erfolg möglich? Zwei Aspekte sind zu beachten, die wenig bekannt sind. Erstens haben die Japaner wohl verstanden, dass der Staat, entgegen anderslautender Kassandrarufe, niemals insolvent werden kann. Das liegt daran, dass er der Emittent des im Umlauf befindlichen Geldes ist, weswegen er nicht auf andere Geldgeber angewiesen ist, um Ausgaben tätigen zu können. Der Staat ist nicht darauf angewiesen, sich Geld zu leihen. Er kann jederzeit das Geld, das er in die Wirtschaft einschießt, aus dem Nichts ins Leben rufen. Somit ist er imstande, Forderungen gegen ihn in beliebiger Höhe zu erfüllen und ist, wie gesagt, gefeit gegen einen Bankrott.

§ 8

Es trifft zu, dass der Staat mit der exzessiven Emission von neuem Geld Schaden anrichten kann. Es trifft aber ebenso zu, dass der Staat unter Wahrnehmung geeigneter Umstände durch erhebliche Emission neuen Geldes großen Nutzen stiften kann, insbesondere bei der Ankurbelung einer ins Stottern geratenen Wirtschaft - was, wie wir gesehen haben, eben in den 1990er Jahren in Japan recht ordentlich gelungen ist. In einer Situation, da keine Kräfte der privaten Wirtschaft imstande sind, einen Aufschwung in Gang zu bringen, schlägt die Stunde des Staats als einziger Kraft, der es möglich ist, antizyklisch in den Konjunkturverlauf einzugreifen, um neue belebende Aktivitäten anzustoßen. Zu einem Zeitpunkt, da den Firmen und den Konsumenten schlechterdings die Mittel fehlen, um die Impulse für eine konjunkturelle Belebung zu setzen, sieht sich der Staat in der Lage, eben wegen seines einzigartigen Status als monopolistischer Geldemittent, die Mittel bereitzustellen, die benötigt werden, um den tauschwirtschaftlichen Prozess des "do ut des" ("gib, damit man dir gebe") wieder in Schwung zu bringen: der Staat stellt mittels seines Emittenten-Füllhorns Geld bereit, damit die Privatwirtschaft für ihn (oder die Verwirklichung der von ihm unterstützten Projekte) arbeitet, d.h. Ressourcen mobilisiert, andere Firmen beauftragt und Arbeiter beschäftigt, deren Einkommen wiederum die Nachfrage stärkt und so weiter. Der Motor der Wirtschaft kommt wieder in Gang.

§ 9

Darüber hinaus ist es so, dass der private Sektor nur dann Netto-Ersparnisse ansammeln kann, wenn der Staat sich entsprechend verschuldet. Die Netto-Forderungen ( = Ersparnisse) des privaten Sektors sind die Verbindlichkeiten des Staats (etwa in Form von Staatsanleihen). Als einzelne Personen, Haushalte oder Firmen können Angehörige der Privatwirtschaft zwar Netto-Gläubiger oder Netto-Schuldner sein, aber insgesamt heben sich die Forderungen und Verbindlichkeiten des privaten Sektors gegenseitig auf, so dass die Privatwirtschaft als Ganzes nur ein Plus an Ersparnissen aufweisen kann, wenn der Staat sich ihm als Schuldner anbietet. Wozu der Staat wiederum prädestiniert ist, da er frei von einem Insolvenzrisiko ist. Es ist daher eher der natürliche Zustand, dass der Staat sich in einem Zustand der Verschuldung befindet.

Doch dazu mehr in gesonderten Beiträgen.

Fortgesetzt hier.

4 comments:

  1. Wenn ich Staat wäre und mir würde jemand sagen, ich darf Geld drucken und ausgeben für gute Straßen, gute Schulen, gute Seniorenheime usw. würde ich das mit vollen Händen tun - wenn ich wüsste, dass es der Wirtschaft langfristig nicht schadet. Gibt es eine Obergrenze, bei der das Wirtschaftssystem "kippt"?
    Wär´s egal, in welche Projekte ich das Geld investiere? Sollte ich möglichst breit streuen? Was würde passieren, wenn unser Staat viel Geld zB in die alternative Energiewirtschaft steckt und die sich als Flop herausstellt?
    Was würde passieren, wenn die Wirtschaft das verdiente Geld im Ausland ausgibt? Muss ich mich in diesem Fall als Staat dagegen absichern?
    Was würde passieren, wenn ein Staat Geld druckt und seine kompletten Schulden abbezahlt?
    Bezieht sich §9 auf die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung?

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  2. Viele sehr gute Fragen. Ich werde versuchen, sie in späteren Blog-Beiträgen nach und nach zu beantworten. Nach meinem derzeitigen Verständnis gibt es beides: übertriebene Staatsausgaben, die z.B. zu Inflations führen können. Und solche, die uns helfen, die Wirtschaft in Gang zu bringen und ihr brachliegendes Potenzial auszuschöpfen, z.B. wenn viele Millionen Menschen beschäftigungslos sind. Ich glaube, die Fragen, die Sie stellen, soweit ich sie zu verstehen glaube, sind wirklich die Knackpunkte. Vor allem aber denke ich, dass das Ringen um die richtigen Entscheidungen kein "Selbstläufer" sein kann - wir müssen uns Thema für Thema, um eine bestmögliche Antwort bemühen.

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  3. Danke für die Antwort. Ich freue mich auf weitere Posts zu dem schwierigen und schwer durchschaubaren Thema Geldtheorie.

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  4. Ich freue mich ebenfalls auf mehr :)

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