Wednesday 16 March 2016

Funktionale Finanzwirtschaft (2/2) - MGT - Episoden und Stichworte (3)


Image credit. Fortgesetzt von hier.

1.

In einem Blog, der den Untertitel "Attempts at Liberty" trägt - vielleicht als "Bemühungen um die Freiheit" zu übersetzen oder "Versuche, Freiheit zu verstehen" - ist es auch von beträchtlichem Interesse, sich des Themas der "funktionalen Finanzwirtschaft" anzunehmen, denn es enthält vieles, was in der Debatte um die Erfordernisse der Freiheit, Gewicht hat. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie sich der Staat beim Umgang mit dem Geld verhalten sollte.

"Funktionale Finanzwirtschaft" - das klingt erst einmal ein wenig trocken. Die zwei Worte lassen vermuten, dass es hier um ein Thema für "Eierköppe" geht. In gewisser Weise stimmt das sogar. Aber der Terminus steht gleichzeitig für ein höchst praktisches Thema - eines, das uns alle angeht. Mehr noch: die Idee der "funktionalen Finanzwirtschaft" enthält eine entschiedene Warnung an die "Eierköppe" und andere, Politiker und  Parteigänger der unterschiedlichsten Couleur, die auf unser aller Kosten durch unbrauchbare Annahmen und unrichtige Folgerungen Missbrauch mit Theorien über das Geld treiben. 

Der Kern des Ansatzes, den Abba Lerner zuerst skizziert und auf den Namen "functional finance" getauft hat, besagt, dass der Staat eine grundsätzlich andere Beziehung zu Geld hat, als alle anderen Gesellschaftsteilnehmer. Letztere sind ausnahmslos darauf angewiesen, ihre Ausgaben zu finanzieren, also Geld von Dritten zu beziehen, durch Erbringen einer bezahlten Leistung oder durch Minderung eines von ihnen aufgrund solcher Leistungen angesparten oder von anderen geschenkten Vermögens. Der Staat hingegen gleicht allen Ernstes dem "Dukatenscheißer" aus dem Märchen. Er kann Geld einfach aus dem Nichts in die Welt setzen. Er ist deswegen zwar nicht ganz unbehelligt von wirtschaftlichen Beschränkungen, z.B. kann er durch ein Zuviel an Ausgaben, eine Inflation auslösen, und Waren, die es nicht gibt, kann selbst er nicht erstehen, aber es bleibt ihm dennoch ein sehr großer Spielraum, Dinge zu tun, die sich kein anderer Akteur in unserer Gesellschaft leisten kann. "Funktionale Finanzwirtschaft" bedeutet grob gesagt, dass der Staat dieses Privileg, sehr weitgehend von einer budgetmäßigen Beschränkung befreit zu sein, dazu nutzen sollte, dem Allgemeinwohl zu dienen, vor allem, indem er das fortwährende Florieren der Wirtschaft begünstigt. Er muss nicht in erster Linie darauf achten, dass er Geld erwirtschaftet, und das mit seinen Einnahmen gedeckte Budget einhält, sondern kann sich darauf konzentrieren, "Funktionen" zu übernehmen, die die Wirtschaft auf hohem Niveau in Gang halten. 

Welches sind diese Funktionen, die dem Staat als Sachwalter einer "funktionalen Finanzwirtschaft" zukommen, und auf welche Weise kann er sie erfüllen?

2.

Durch Besteuerung der Bürger sorgt der Staat dafür, dass eine angemessene Aufteilung gewahrt wird zwischen privat genutzten Ressourcen und solchen, die benötigt werden, um einen funktionsfähigen Staat zu ermöglichen. Mit seiner Fähigkeit, die Kaufkraft des nichtstaatlichen Sektors zu begrenzen, kann der Staat dafür sorgen, dass, die gesamtwirtschaftlichen  Gesamtausgaben in einem zuträglichen Verhältnis zu den real vorhandenen Ressourcen der Wirtschaft stehen. Dass also einerseits nicht mehr Ressourcen nachgefragt werden, als zur Verfügung stehen (Vermeidung von Inflation), und dass andererseits die gegebenen Ressourcen auch ausgeschöpft werden (Vermeidung von wirtschaftlicher Schwäche und Arbeitslosigkeit).

Wenn der nichtstaatliche Sektor das Einkommen, das ihm nach Steuern verbleibt, nicht vollends ausgibt, wenn er also als Ganzes eine Netto-Ersparnis erzielt, tut sich eine Lücke zwischen Gesamteinkommen und Gesamtausgaben auf. Ist die Differenz zwischen Einkommen und Ausgaben größer als von den Unternehmen erwartet, so erweist sich das aktuelle Produktionsangebot als zu groß, sie haben mehr produziert, als sich verkaufen lässt. Infolgedessen sammeln sich Warenbestände an, die die Firmen dazu bewegen können, ihre Absatzerwartungen herunterzuschrauben, die Produktion zu drosseln und somit einen größeren Teil der zur Verfügung stehenden Ressourcen ungenutzt zu lassen so wie weniger Arbeiter zu beschäftigen. Die Arbeitslosigkeit steigt. 

Hier nun können verstärkte Staatsausgaben eine kompensierende Wirkung entfalten.

Die Ausgaben des Staats sind für den nichtstaatlichen Sektor Einkommen, mit dem er seine Steuerschulden begleichen kann. Es ist für den nichtstaatlichen Sektor unmöglich, die ihm auferlegten Steuern zu bezahlen, wenn der Staat nicht zuvor das dafür benötigte Geld in den Wirtschaftskreislauf eingespeist, indem er es zugunsten des Privatsektors ausgibt. Die logische Abfolge ist somit folgende: Im ersten Schritt verkündet der Staat steuerliche Auflagen, die bei Gefängnisstrafe zu erfüllen sind - und zwar durch Zahlung in der vom Staat ausgegebenen Währung. Daraufhin erzeugt der Staat das für die Steuerzahlungen benötigte Geld. Schließlich schießt er das Geld in die Wirtschaft ein. Das Geld landet im nichtstaatlichen Sektor. Dieser verfügt nun über die Mittel, die er benötigt, um seine Steuern zu bezahlen. Zu keinem Zeitpunkt ist es so, dass der Staat von irgendjemandem Geld benötigt und empfängt, um die Ausgaben bestreiten zu können, welche die Wirtschaft mit Geld versorgen, und damit auch mit dem Teil des zirkulierenden Geldes, der zur Begleichung von Steuerverpflichtungen vonnöten ist. Für den Staat besteht keine Notwendigkeit, seine Ausgaben durch Steuereinnahmen oder Kreditaufnahme zu finanzieren. Von wo sollte denn derartiges Geld kommen, wo sollte es entstehen, wer könnte als dessen Ursprung fungieren? Antwort: niemand im nichtstaatlichen Sektor ist dazu in der Lage. Nur der Staat kann diese Funktion übernehmen. 

Steuern sind eine Maßnahme, die den nichtstaatlichen Sektor dazu zwingt, einen Bedarf an der vom Staat ausgegebenen Währung zu entwickeln. Steuern ermöglichen es dem Staat, die Mittel einzusetzen, die er benötigt, um den Aufgaben nachzukommen, die ihm das Gemeinwesen politisch vorgibt. Wohlgemerkt: dazu verhelfen ihm Steuern nicht, weil sie Geld darstellen, das ihm ansonsten fehlen würde, sondern indem sie die Fähigkeit des nichtstaatlichen Sektors einschränkt, die knappen Ressourcen der Wirtschaft ganz für sich in Anspruch zu nehmen. Das Geld, das dem Privatsektor in Form von Steuerzahlungen abfließt, kann von diesem eben nicht dazu verwendet werden, sich Waren und Dienstleistungen der Wirtschaft anzueignen. Es bleiben ökonomische Ressourcen für den Staat übrig, die er einsetzen kann, um seine öffentlichen Aufgaben zu erfüllen.   

Steuern führen dazu, dass einige Ressourcen vom nichtstaatlichen Sektor nicht genutzt werden - eben weil das steuerlich abgezweigte Geld fehlt, das benötigt wird, um sie zu mobilisieren. Stattdessen jedoch tritt der Staat ein und bezahlt durch seine Ausgaben die Arbeitsleistung, welche dafür sorgt, dass die wegen der Erhebung von Steuern ungenutzt gebliebenen Ressourcen, nun doch zum Einsatz kommen, freilich im Sinne des Staats.

Staatlich emittiertes Geld begründet einen umverteilenden Zyklus, wobei Kaufkraft vom nichtstaatlichen Sektor abgesaugt (und vernichtet wird - denn das Geld verschwindet) und dann vom Auftraggeber Staat unter veränderten Ausgabezielen wieder in die Wirtschaft (als vom Staat neu emittiertes, nicht aus dem Privatsektor rezykliertes Geld) eingeschossen wird. Private Kaufkraft wird gehemmt, um staatliche Kaufkraft zu ermöglichen. Wenn dieser Zyklus gestört wird, kann er zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit führen.

Sollen alle Waren und Dienstleistungen eines Betrachtungszeitraums verkauft werden, müssen die volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben so hoch sein wie das volkswirtschaftliche Gesamteinkommen. Doch wenn der nichtstaatliche Sektor darauf verzichtet, sein gesamtes Einkommen auszugeben, wenn er Teil seines Einkommens zu Ersparnissen umwidmet, entsteht zwangsläufig Arbeitslosigkeit - und zwar dann unfreiwilliger Art, wenn Menschen, die ihre Arbeitskraft anbieten, keinen Abnehmer dafür finden, weil das benötigte Geld nicht durch den Kauf der produzierten Waren und Dienste in die Wirtschaft zurückfließt, sondern das Aufkommen von Ersparnissen aufpumpt. Dann liegen Ressourcen brach, Lagerbestände türmen sich, die Produktion wird zurückgefahren und der Bedarf an Arbeitskräften sinkt ab.

Wenn Netto-Ersparnisse vom nichtstaatlichen Sektor angestrebt werden, nutzt auch das Absinken der Löhne insofern nichts, als die Nachfrage, die benötigt wird, um ein entsprechendes Beschäftigungsniveau zu rechtfertigen, einfach nicht vorhanden ist.

Arbeitslosigkeit stellt sich ein, wenn die Netto-Ausgaben des Staats zu gering sind, um auch dann noch ausreichende Nachfrage zu gewährleisten, nachdem der nichtstaatliche Sektor seine Steuern beglichen und das von ihm angestrebte Niveau von Netto-Ersparnissen erzielt hat. Im Fall von Arbeitslosigkeit sind also entweder die Staatsausgaben im Vergleich zu den Steuereinnahmen zu niedrig oder aber die Steuereinnahmen / Steuern sind zu hoch im Vergleich zum Niveau der Staatsausgaben.

Der Zweck der staatlichen Fiskalpolitik - die Funktion der staatlichen Finanzwirtschaft ("functional finance") ist demnach die Gewährleistung von Vollbeschäftigung - nicht das Einhalten einer festen, magischen Kenngröße für die vermeintlich idealen Staatsverschuldungsgrad oder der Fetisch eines ausgeglichenen Staatshaushalts oder das irreführende staatliche Analogon "solider Finanzen" wie wir sie aus der Privatwirtschaft kennen.

Der Staat darf, ja muss solange und so viel ausgeben wie erforderlich ist, um Vollbeschäftigung sicherzustellen angesichts der aktuellen Entscheidungen des nichtstaatlichen Sektors X% seines Einkommens auszugeben und Y% davon als Ersparnisse zu halten, wobei X% + Y% = 100% Gesamteinkommen. Das heißt Staatsaugaben gleichen das Nachfrage-Defizit aus, das durch Netto-Ersparnisse des nichtstaatlichen Sektors entsteht.

Über einen gewissen Zeitraum hinweg mag es den Eindruck machen, dass die Staatsausgaben ausreichen - obwohl sie tatsächlich zu niedrig sind -, da eine steigende Verschuldung des nichtstaatlichen Sektors an ihre Stelle tritt, um zunächst für ein weiterhin steigendes BIP zu sorgen. Man sollte sich jedoch auf diesen Trend nicht verlassen, denn irgendwann erreichen Schuldendienst und Schuldenlast eine Grenze, über die hinaus die Belastbarkeit der Einkommen überfordert ist und der Bankensektor sich aus Risikogründen einer weiteren Privatverschuldung verschließt.

Die Wirtschaft ist gezwungen, sich der neuen Risiko-Aversion durch Schuldenabbau anzupassen. Dies hat zur Folge, dass die Gesamtausgaben, die dem Wachstum der privaten Verschuldung zu danken sind, rückläufig sind, die Nachfrage schwächen und schließlich die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. An diesem Punkt offebart sich schließlich der Mangel an staatlichen Ausgaben ("fiscal drag") in Gestalt erhöhter Beschäftigungslosigkeit.

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