Monday 19 December 2016

Euro-Krise (1/2)

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Der nachfolgende Text ist die Übersetzung vom zweiten Teil des sechsten Kapitels von Michael Pettis 2013 erschienen Buchs: „The Great Rebalancing“. Ich habe diese Übersetzung angefertigt, um mich gleichzeitig mit dem interessanten Gedankengut von Michael Pettis sowie einer neuen Übersetzungssoftware vertraut zu machen—in beiden Bereichen habe ich dabei viel gelernt.

Der erste Satz der Übersetzung bezieht sich auf die Befürchtung, dass eine schadensminimierende Lösung der Verwerfungen im Euroland wohl nicht mehr zu erwarten ist, da die Interessen derer, deren Kooperation erforderlich ist, zu sehr auseinander gedriftet sind. Ein Aufeinander-Sich-Zubewegen scheitert daran, dass Deutschland seine Mitschuld an den Schwierigkeiten nicht anerkennt und infolgedessen auch bestimmte Opfer und Härten nicht auf sich nehmen will, die aber von ihm abverlangt werden müssen, wenn der Schaden für alle am gerinsgten gehalten werden soll.

Zu spät

Es ist außerordentlich schwierig, den Prozess zu stoppen, wenn er erst einmal in Gang gekommen ist. Wohl ist es zu spät für Spanien und einen Großteil des peripheren Europas. Indes Europa einer Schuldenkrise entgegen taumelt, unternimmt Spanien dennoch große Anstrengungen, sich von Ländern wie Griechenland, Portugal und Italien zu unterscheiden.

Madrid hat die Hoffnung, dass es für Anleger zur Gewohnheit wird, einen Unterschied zu machen zwischen dem verantwortungsvollen Spanien und den weniger verantwortungsvollen Ländern, die gezwungen sein werden, den Euro aufzugeben. Mit anderen Worten, Spanien möchte als eines der tugendhaften Länder angesehen werden, in denen hart gearbeitet und gespart wird und Schulden ordnungsgemäß zurückgeführt werden, und eben nicht als eines der zweifelhaften Länder.

Diese Strategie ist jedoch irrig. Spanien und der Rest des peripheren Europas kranken an den selben Problemen, wobei diese oftmals herzlich wenig zu tun haben mit tugendhaftem oder lasterhaftem Gebaren (ungeachtet einer Vielzahl von schlecht gehandhabten politischen Maßnahmen).

Diese Probleme sind häufig Folge langer Jahre untunlicher Politik in Deutschland nicht weniger als zu hause. Wenn dem so ist, dann lässt sich den Problemen Spaniens und des peripheren Europas am ehesten beikommen, wenn die Anpassungen in Deutschland mindestens so durchgreifend sind wie die in den Randregionen Europas. Deutschland muss die Inlandsnachfrage stimulieren und seinen Handelsüberschuss ins Gegenteil umkehren.

Freilich weigert sich Deutschland dies zu tun, indem es implizit unterstellt, dass die Probleme des peripheren Europas größtenteils auf verfehlte Politik in jenen Ländern zurückzuführen sei; weshalb es darauf besteht, dass alle erforderlichen Anpassungen von Spanien und den Ländern am Rande Europas vorgenommen werden.

Im Grunde nimmt Deutschland die selbe Haltung ein wie die Republikaner, die Franklin Delano Roosevelt 1932 mit folgenden Worten verspottete:



Eine verwirrte, ziemlich skeptische Alice richtete einige einfach Fragen an die Republikaner:


„Durch das Ausgeben und Verkaufen von mehr und mehr Aktien und Anleihen, durch das Bauen von neuen Fabriken und durch den Zuwachs an Produktivität, werden denn dadurch nicht mehr Güter hergestellt als wir kaufen können?“

„Nein“, rief Humpty Dumpty, „je mehr wir produzieren, umso mehr können wir kaufen.“

„Was, wenn wir einen Überschuss produzieren?“

„Na, den können wir an ausländische Abnehmer verkaufen.“

„Wie können die Ausländer dafür zahlen?“

„Ist doch klar, wir werden ihnen Geld leihen.“

„Ach so“, sagte die kleine Alice, „sie werden unseren Überschuss mit unserem Geld kaufen. Natürlich werden diese Ausländer ihre Schulden bei uns zurückzahlen, indem sie unsere Waren kaufen.“

„Aber keineswegs“, sagte Humpty Dumpty. „Wir bauen eine hohe Mauer, die wir ‚den Zoll‘ nennen“.

„Nur“, sagte Alice schließlich, „wie sollen die Ausländer denn die Kredite zurückzahlen?“

„Das ist doch ganz einfach“, sagte Humpty Dumpty. „Hast du schon mal etwas von einem Moratorium gehört?“

Und siehe da, meine Freunde, wir sind zum Kern der magischen Formel des Jahres 1928 vorgedrungen.4


Das kann nicht funktionieren, es sei denn zu einem überaus hohen Preis. Die einzige Lösung, die die Nachteile für Spanien und den Rest Europas minimieren würde, erfordert, dass die Länder, die am stärksten unter dem unausgewogenen Wachstum des verstrichenen Jahrzehnts gelitten haben, sich zusammenschließen und ganz Europa, einschließlich Deutschlands, dazu zwingen, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Wenn sie androhen sollten, sich vom Euro kollektiv zu verabschieden, falls keine Anpassung von Deutschland käme, würden sie die Deutschen effektiv dazu nötigen, sich schließlich doch anzupassen. Die Aufgabe des Euros und die entsprechenden Abwertungen werden den Wert des Euros stark erhöhen und zu einem Kollaps der deutschen Export-Maschine führen. Freilich würde diese Art der Anpassung viel turbulenter verlaufen.

Um zu erfassen warum, ist es wichtig zu verstehen, was die Ursachen für die Krise sind und welche Rolle Deutschland darin zukommt. Moralisten, die wenig von der Materie verstehen, rühmen mit Vorliebe jene Länder, die eine hohe Sparquote aufweisen (nennen wir diese Länder alle zusammen „Deutschland“), wegen der harten Arbeit und der Sparsamkeit, die dort an den Tag gelegt werde, während sie von Ländern mit hoher Verbrauchsquote (nennen wir sie alle zusammen „Spanien“) abschätzig sprechen, weil dort Faulheit und die Neigung vorherrsche, mehr auszugeben als verdient wird. Die Welt könne erst wieder ins Gleichgewicht kommen, so argumentieren sie, wenn letztere sich ersteren anglichen.

Diese Sicht ist nahezu vollkommen unsinnig. Wie ich in diesem Buch zu zeigen versucht habe, mag es zwar sein, dass Kultur und persönliche Vorlieben einige von uns dazu veranlassen, einen größeren Teil ihres Einkommens zu sparen, während sie andere zu geringerer Sparsamkeit veranlassen, doch wenn ganze Nationen sich durch andauernde ungewöhnlich hohe oder ungewöhnlich niedrige Sparquoten  auszeichnen, liegen die Ursachen fast immer nicht in persönlichen Vorlieben. Ungewöhnliche Sparquoten, die über lange Zeiträume anhalten, sind größtenteils die Folge von handelspolitischen und industriepolitischen Maßnahmen im In- wie im Ausland, die dazu führen dass, das Verhältnis von inländischer Produktion und nachhaltigem Inlandsverbrauch verzerrt wird.

Tatsächlich ist es so, dass politische Maßnahmen der deutschen Regierung nicht nur die hohen Ersparnisse in Deutschland und den hohen Konsum in Spanien vor der Krise von 2007–8, sondern auch die danach auftretende hohe Arbeitslosigkeit in Spanien erklären. In beiden Fällen sind die Ursachen in Ungleichgewichten zu suchen, die die Handels- und Kapitalflüsse Europas kennzeichnen und vornehmlich durch verzerrende Maßnahmen der deutschen Politik hervorgerufen worden sind.

Nach der deutschen Wiedervereinigung in den frühen 1990er Jahren, sah sich Deutschland mit dem Problem sehr hoher Arbeitslosigkeit konfrontiert. Diese Schwierigkeit wurde dadurch überwunden, dass eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt wurden, die von Gewerkschaften, Unternehmen und der Regierung vereinbart worden waren, um die Entwicklung der Löhne und des Verbrauchs zu beschränken, sowie die Produktion auszuweiten, damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder hergestellt und Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. Wiewohl diese Maßnahmen sinnvoll gewesen sein mögen für Deutschland und die Welt in den 1990er Jahren, einer Zeit, als Deutschland weit davon entfernt war, die gewaltigen Handelsüberschüsse des Folgejahrzehnts zu erwirtschaften (ja, es zeichnete sich damals nicht selten durch erhebliche Handelsdefizite aus), so führte die Schaffung des Euros dazu, dass sich neuartige Verengungen im monetären und Währungsbereich ergaben, welche die Folgen jener Maßnahmen sowohl für Deutschland als auch für das Ausland veränderten.

Insbesondere war es so, dass in Deutschland Lohnsteigerungen beschränkt wurden durch eine vergleichsweise restriktive (damals ja noch nationale) Geldpolitik, indes sie im peripheren Europa weniger Widerstand erfuhren wegen der dort vorherrschenden Geldpolitik, die paradoxerweise zu locker war angesichts hoher Wachstumsraten und steigender Preise. Diese Wirtschaftspolitik resultierte in einem Euro, der aus deutscher Sicht einer zunehmenden Unterbewertung unterlag, verglichen mit dem übrigen Europa, in einem für die Produktivität in Deutschland niedrigen Lohnniveau, hoher Besteuerung des Einkommens und des Verbrauchs und teuren Infrastrukturprojekten, die mit diesen Steuern finanziert wurden.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Zunahme des deutschen BIP die des Einkommens deutscher Haushalte überstieg, denn die Haushalte wurden praktisch dazu gezwungen, den Anstieg der Beschäftigung zu finanzieren, wobei diese Subvention das verfügbare Einkommen und den Verbrauch der Haushalte absenkte relativ zur Gesamtproduktionsleistung des Landes. Allerdings hätten diese wirtschaftspolitischen Weichenstellungen nicht so lange in Kraft bleiben dürfen wie sie es taten. Denn, obwohl sie Deutschland gestatteten, schneller zu wachsen, als dies sonst möglich gewesen wäre, dank des relativen Anstiegs der deutschen Wettbewerbsfähigkeit, erzeugten sie unweigerlich ökonomische Verzerrungen, die auf Kosten des übrigen Europas gingen.

Auf welche Weise? Da das deutsche BIP-Wachstum das des Verbrauchs über viele Jahre übertraf, musste, definitionsgemäß, die deutsche Sparquote ansteigen. Die Ersparnisse eines Landes sind schließlich nichts anderes als die mathematische Differenz zwischen Inlandsproduktion und Inlandsverbrauch.

Deutsche Sparsamkeit

Die hohe deutsche Spar-Rate hatte, anders gesagt, wenig damit zu tun, ob die Deutschen ethisch oder kulturell aufs Sparen geeicht seien–anders als dies eine weit verbreitete stereotype Vorstellung über kulturelle Neigungen der Deutschen es suggeriert. Ausschlaggebend war vielmehr eine Wirtschaftspolitik, die auf beschleunigtes Beschäftigungswachstum abzielte, indem sie die deutsche herstellende Industrie mit dem Mittel der Konsum-Hemmung subventionierte, meist auf Kosten von Herstellern im übrigen Europa und im Rest der Welt.

Eine der unweigerlichen Konsequenzen dieser Politik bestand darin, dass Deutschland anfing, erhebliche Handelsüberschüsse zu erzielen, um inländisches Wirtschaftswachstum und höhere Inlandsbeschäftigung hervorzurufen.

Was hatte dies mit Spanien zu tun? Es zeigt sich, dass die niedrige Sparquote Spaniens selbst eine Folge der Verquickung der hohen deutschen Spar-Rate und der europäischen Währungsunion war. Sie war nicht primär eine Konsequenz aus spanischen Maßnahmen, nicht einmal eine Folge der berühmten, vermeintlich entspannten mediterranen Art in Spanien.

Warum? Weil die großen deutschen Überschüsse sich irgendwo außerhalb Deutschlands als Handelsdefizite niederschlagen mussten. Dank der europäischen Geldpolitik, die sich an den Bedürfnissen Deutschlands orientierte – ein starker Euro und niedrige Zinssätze – traten die Handelsdefizite vornehmlich an der europäischen Peripherie auf. Vor der Schaffung des Euros verzeichneten Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland und Portugal mitunter recht hohe Handelsdefizite. Insgesamt befanden sie sich in den 1990er Jahren 14 Mal unter den Top Ten der Länder mit einem Handelsdefizit. Freilich ist es interessant, dass sie im gleichen Jahrzehnt vor Einführung des Euros auch 14 Mal unter den Top Ten der Länder mit Handelsüberschuss erscheinen.

Erst nachdem die Währungsunion gebildet worden war explodierten die Handelsdefizite dieser Länder. Im Jahrzehnt nach 2000 figurieren diese Länder 42 Mal unter den Top Ten der Defizit-Länder und niemals unter den Überschuss-Ländern. Das kann kein Zufall gewesen sein. Der offensichtlichste Grund hierfür ist die Währung. Wenn die deutsche Währung unterbewertet ist relativ zu den Währungen der europäischen Partner Deutschlands, muss die spanische Währung per definitionem überbewertet sein, so dass, kaum verwunderlich, die Deutschen dazu neigen werden, weniger zu konsumieren („unterkonsumieren“) im Vergleich zur Produktion und die Spanier mehr verbrauchen („überkonsumieren“). Dies sind keine ungewöhnlichen Folgen überbewerteter und unterbewerteter  Währungen, aus Gründen, die in Kapitel 2 und Kapitel 3 erörtert werden.

Doch da ist noch mehr zu beachten. Wenn deutsche Maßnahmen zur Konsum-Hemmung die deutsche Spar-Quote und den deutschen Handelsüberschuss zu Höhenflügen nötigen, und wenn die europäische Währungspolitik diese Überschüsse zwangsläufig in das restliche Europa lenkt, so können Spanien (und der Rest Europas) nur noch zwischen vier Optionen wählen:


Fortgesetzt hier.

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