Wednesday, 26 October 2016

FV (19) — Freiheit als Ölstab

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Die Freiheit als Ölstab

Wenn man sich eingehender mit dem Grenzbereich befasst, in dem Politik und Staat, Rechtssprechung und Rechtspraxis, Wirtschaftsregularien und Wirtschaftsweise in Berührung kommen mit den Ansprüchen der Freiheitslehre, beginnt sich ein zunächst paradox anmutender Gedanke aufzudrängen. 

Mag es nicht sein, dass Freiheit wichtiger ist als Maßstab für die (Selbst-)Überprüfung derer, die gerade nicht sonderlich interessiert sind an Freiheit oder sie nicht als den höchsten Wert, sondern nur als einen neben anderen anerkennen, denn als das Leuchtfeuer des entlegeneren und radikaleren Ideals jener, die sich die Freiheit als einen reinen und vollendeten Zustand erhoffen.

Haben wir es denn nicht noch in den liberalsten Gesellschaften immer mit Mischsystemen zu tun, die Elemente in sich aufnehmen, welche zum Teil dem Idealtyp etwa der Rechtsstaatlichkeit oder des Kapitalismus nahekommen und solche, die weiter davon entfernt sind.

Besteht der praktische Wert der Kriterien der Freiheit nicht vor allem darin, eine Methode zu liefern, abträgliche aber vermeidbare Überschreitungen und Verzerrungen freiheitlicher Normen kenntlich zu machen, zu problematisieren und zu korrigieren?

Und ist es nicht so, dass die Behauptung, die Freiheit sei unteilbar, ihre Geltungsbedingungen zu einem
Monolithen erklärt, den es in der Wirklichkeit nicht gibt – und zwar ebenso wenig wie den perfekten Rechtsstaat oder den vollendeten Kapitalismus?

Zwar ist es ein Erfordernis der Freiheit, dass bestimmte Regeln streng und allegemein angewandt werden, aber wenn dies nicht gelingt, ist damit meist weder die Freiheit zusammengebrochen, noch verlieren die Bemühungen, eine vollkommenere Anwendung zu gewährleisten, damit unbedingt schon ihren Wert.

Zu diesem Kommentar hat mich die Lektüre (besonders S. 198ff) des ausgezeichneten Buchs von Stefan Kolev angeregt: “Neoliberale Staatsverständnisse im Vergleich”, 2013, Lucius & Lucius, Stuttgart.

Geschrieben im Juli 2013

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