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Fortgesetzt von Grundirrtümer des Anarchismus (1 von 2)
Absoluter Selbstbesitz
So zentral der Begriff des absoluten Selbstbesitzes bei R. ist, er bleibt dennoch undefiniert. Warum? Weil er undefinierbar ist. Und undefinierbar ist er, weil der Begriff des Besitzes im rechtlichen Sinne nicht unbedingt, d.h. nicht absolut sein kann.
Die rechtliche Kategorie des Besitzes wird erkennbar anhand eines Grenzverlaufs zwischen Mein und Dein. Insofern ist Besitz ein Mein, das ein Dein beschränkt und ein Dein, das ein Mein beschränkt. Denn Besitz beinhaltet Forderungen (“hier bin ich Herr im Haus”, Ansprüche (“du darfst dieses Grundstück nicht ohne meine Zustimmung betreten”) gegenüber anderen Menschen. Diese Ansprüche sind wiederum nicht unbeschränkt; sie enden spätestens dort, wo Ansprüche anderer Parteien Geltung besitzen (“du darfst mich nicht ohrfeigen, nur weil ich zu Gast in DEINER Wohnung bin”).
Die rechtliche Kategorie des Besitzes ist keine Eigenschaft des isolierten Individuums, sondern ein Merkmal der Beziehungen von Menschen zueinander. Besitz im rechtlichen Sinne ist eine Relationsgröße. Es ist ein Institut zur Regelung sozialer Relationen.
R. gräbt sich selbst eine Grube, indem er die Kategorie des absoluten Selbstbesitzes in einer Modellwelt einführt – eine Insel bewohnt von nur einem Menschen: Robinson Crusoe -, die keine sozialen Relationen kennt.
Verstanden als Merkmale persönlicher Autonomie, mag man Selbstbesitz durchaus als “absolut” bezeichnen, handelt es sich doch um im Wesentlichen invariante Bedingungen und Eigenschaften des Menschseins – sprich: um zu überleben, muss der Mensch bestimmte Dinge tun, die absolut nur er tun kann – die keiner für ihn tun kann oder die nicht an einem anderen Menschen für ihn vonstatten gehen können (man kann z.B. nicht selbst trinken, um damit den Durst eines Anderen zu löschen; mein Magen kann nicht das Essen für einen anderen verdauen etc).
R. fällt in die selbst gegrabene Grube in dem Moment, wo er diese anthropologische Bedeutung von absolutem Selbstbesitz in eine rechtliche umdeutet bzw der Annahme folgt, anthropologisch verstandender Selbstbesitz lege rechtlich zu verstehenden Selbstbesitz – zumal in genau der von ihm gemeinten Weise – fest.
Absoluter Selbstbesitz und seine Alternativen
In dieser Grube sitzend missrät R. die These von den einzig möglichen Alternativen – erklärt in Grundirrtümer des Anarchismus (1 von 2) – zum absoluten Selbstbesitz. Er übersieht das pulsierende, ständig sich wandelnde Geflecht gegenseitig sich bedingender und einschränkender Besitzrelationen, die zwischen den Menschen ausgehandelt und ausgefochten werden. Das Gewebe persönlicher Rechte ist ein lebender Organismus. Menschen weben an ihm z.T. sehr bewusst und zielstrebig, und es ist keineswegs so, dass jeder Kompromiss, jede Einschränkung, die mit dem Aushandeln von Rechten einhergehen, als unerträglich, als skandalöse Missachtung absoluter Rechte anzusehen ist.
Was für den wirtschaftenden Menschen laut Thomas Sowell gilt, nämlich there are no solutions, there are only trade-offs, gilt im Wesentlichen ebenso für das Recht und andere Manifestationen der Sittlichkeit: perfekte und endgültige Lösungen sind nicht zu erwarten, zu hoffen ist eher auf ein Geben und Nehmen, das zu Kompromissen führt, die allseits oder überwiegend als statthaft und vernünftig angesehen werden.
Letztenendes verwirft R. die beiden von ihm in Betracht gezogenen Alternativen zu seiner Ethik des absoluten Selbstbesitzes, weil sie sich nicht mit universalisierbaren Regeln vertragen. Doch trifft es gerade auf seine Ethik zu, dass sie nicht universalisierbar ist:
Auf einer einsamen Insel alleine lebend mag mein Recht auf absoluten Selbstbesitz beinhalten, dass ich um Mitternacht Tennis gegen eine Ballwurfmaschine spiele. Doch wenn ich einen Nachbarn bekomme – der es gewohnt ist, um Mitternacht schon lange ungestört zu schlafen, wie es sein absolutes Recht auf Selbstbesitz wollte als er selbst noch alleine auf einer einsamen Insel lebte -, so gibt es nun kein Recht auf absoluten Selbstbesitz mehr. Wenigstens einer der beiden muss Einschränkungen seines früheren absoluten, durch keine Fremdansprüche angefochtenen Rechts hinnehmen; womöglich beide, wenn sie sich auf einen Kompromiss einigen.
Dieses Kompromissrecht, wie ich es nennen möchte im Gegensatz zum Recht des absoluten Selbstbesitzes, dieses Recht, das als Instrument zur Regelung sozialer Beziehungen fungiert, dieses relationale Recht, das R. schlechterdings ignoriert, ist sehr wohl vereinbar mit universalisierbaren Rechtsgrundsätzen.
Unter diesem Gesichtspunkt mag man zwischen zwei unterschiedlichen Typen von Rechtspropositionen
unterscheiden – universalisierbare und nicht-universalisierbare. Erstere haben den Zweck, Berechenbarkeit und letztlich einen verlässlichen, von Willkür freien Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen spezifische, nichtuniversalisierbare vertragliche Regelungen getroffen werden können.
Wenn z.B. der Tennisspieler A und sein schlafbedürftiger Nachbar B einen Vertrag abschließen, wobei B dem mitternächtlichen Tennisspielen zustimmt, wenn A für den Einbau schalldichter Fenster bei B aufkommt, so ist diese konkrete Vereinbarung freilich nicht universalisierbar, wohingegen gewisse universalisierbare Grundsätze bei dieser Regelung der Rechte von A und B durchaus zum Tragen kommen, z.B. die Vereinbarung, dass Verträge einzuhalten sind.
Unterm Strich erweist sich die Rothbardsche Begründung des Anarchismus als Augenwischerei. R. lässt sich durch seinen hyperrationalistischen Ehrgeiz von den realen Bedingungen des Rechts ablenken. Sein ganzes Augenmerk gilt Aspekten, die ihm tauglich scheinen, den Anarchismus dogmatisch zu verankern in einem Fundament unumstößlicher Wahrheiten, über die er eine perfekte und unanfechtbare Theorie über die einzig zulässige Ordnung des Rechts auftürmen zu können glaubt.
Es scheint R. hat die Wahrheit dem Drang nach apodiktischer Gewissheit, einem längst veralteten Kriterium für gültiges Wissen, geopfert.
Geschrieben im Juno 2013
Englischer Zwillingsbeitrag.
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