Thursday 11 May 2017

(7) Economics and Freedom [Deutsch] — Ökonomie, Ökologie und Gleichgewicht — Die Versuchungen des Ideologischen

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I.

Ich habe in diesem Beitrag,  Economics and Freedom (6) — "Moral Perfection" versus Conjectures and Refutations as Drivers of the Economy — darauf aufmerksam gemacht, dass es keine algorithmischen Automaten — etwa in Gestalt des freien Markts oder der Diktatur des Proletariats — gibt, die für uns die stets offene Frage klären könnten, wie akzeptable Verhältnisse unter den Menschen aussehen. Wir müssen uns die Antworten selbst erarbeiten und dabei so gut es geht zusammenarbeiten. Das heißt wir sollten alle an der Diskussion beteiligen, die an ihr teilnehmen wollen, uns die Chance geben, von anderen Standpunkten zu lernen, und Anreize schaffen, die Diskussion rege, offen und gewaltfrei zu gestalten. 

Der Punkt ist eben, dass es keine absoluten und allgemein gültigen Antworten gibt auf unsere Frage, wie akzeptable Verhältnisse unter den Menschen aussehen, sondern bestenfalls Annäherungen an Kompromisse, mit denen alle leben können. Die Lösung liegt nicht in einer "einzig möglichen" Antwort oder in "dem optimalen Resultat", sondern in der Gewährleistung eines modus vivendi, innerhalb dessen wir immer wieder bereit sind, in einen friedlichen Wettbewerb der Auffassungen einzutreten, der zu Kompromissen führt, die von allen getragen werden.

Die Vorstellung von Realität, die wir mit "der guten Gesellschaft" verbinden, ist immer verankert in persönlichen Standpunkten, und von denen gibt es viele verschiedene, so dass es zwecklos ist, nach "der" Realität in dieser wichtigen Frage zu suchen. Die Aufgabe verschiebt sich weg von einer "Quizfrage" mit eindeutiger Antwort, hin zu einem Verfahren, mit dem wir die wichtigsten Botschaften, Interessen und Ziele aller zum Ausgleich bringen.

Was Ideologie (als einer unwahrhaftigen Darstellungsweise) auszeichnet, ist der Eifer, uns davon zu überzeugen, dass es nur eine, die beste und optimale Lösung gibt, dass diese das Recht auf Vorrang gegenüber allen anderen besitzt und sie es daher auch verdient, mit Zwangsmitteln durchgesetzt zu werden.

II.

So wie Ökonomie als Ideologie uns zur Annahme eines absoluten Standpunkts zu überreden sucht, etwa in Gestalt der Verheißung einer Gleichgewichtswirtschaft, die angeblich ein soziales Optimum verkörpert, so wird auch der Begriff der Natur gerne für ideologische Zwecke missbraucht. Auch hier ist des Pudels Kern das Fingieren einer absoluten Realität, die außer und über uns als unumstößlicher Referenzrahmen angeblich bestehen soll.

Auch hier spielen Vorstellungen von einem absoluten Gleichgewicht eine tragende Rolle — einem Gleichgewicht, das auch insofern absolut sei, als es unbezweifelbare und eindeutige moralische und politische Forderungen beglaubige.

Tatsächlich aber hat die Natur kein Bewusstsein ihrer selbst, sie kann keinen eigenen Standpunkt vertreten, sie ist meinungsindifferent; über sie nachdenken, sich eine Meinung zu Themen über die Natur bilden, bedeutet immer von einem menschlichen Standpunkt aus wahrnehmen, schlussfolgern und argumentieren. Anders gesagt: Die einzig mögliche Form der Reflexion über die Natur vollzieht sich durch menschliches, standpunktgebundenes Denken, in welchem Vorstellungen von der Natur verknüpft sind mit menschlichen Interessen, Vorlieben, Dispositionen.

Das heißt, wenn wir etwas über die Natur erfahren möchten, müssen wir in einen fehlbaren, menschlichen Diskurs eintreten, in dem die unterschiedlichsten Perspektiven und Ansprüche um Geltung wetteifern.

Es gibt die absolute Sicht auf die Natur nicht. 

Natur ist, was der Mensch dafür hält — weswegen unsere Vorstellungen von ihr von den Institutionen beeinflusst werden, mit denen der Mensch regelt, welche Meinungen zulässig sind und welche sogar Vorrang genießen dürfen.

Nun hat der Mensch seine Fehlbarkeit zu einer einzigartigen Kunst entwickelt, die wir auch als die wissenschaftliche Methode bezeichnen—eben eine jener Institutionen, mit denen der Mensch versucht, sozial gültige Bedeutungen zu organisieren.

Es ist wichtig, sich dies bewusst zu machen: die beste Methode, auf die der Mensch zurückgreifen kann, um seinen Wissensstand zu verbessern, ist die systematische Nutzung seiner Fehlbarkeit. Wir erweitern unser Wissen nicht, indem wir unser Talent anzapfen, unumstößliches Wissen zu gewinnen — eine solche Fähigkeit steht dem Menschen nicht zu Gebote — sondern indem wir ständig nach den Fehlern in unseren Denken suchen, um sie mit weniger fehlerhaften Denkansätzen zu ersetzen. 

Jegliches Denken über die Natur ist menschliches Denken und damit fehlbares Denken, das ständiger Überprüfung bedarf. 

"Natur" ist immer ein wandelbares Erzeugnis des menschlichen Geistes — wandelbar wegen der Vorläufigkeit, mit der wir uns durch wissenschaftliche Erkenntnisversuche der Natur nähern, und wegen der Vielheit der außerhalb der Wissenschaft liegenden, menschlichen Standpunkte (kulturelle Präferenzen, politische Ziele, wirtschaftliche Interessen), die ebenfalls unser Denken über die Natur bestimmen.

So gibt es streng genommen keine natürlichen Ressourcen, sondern nur menschliches Ingenium, das Bestandteile der Umwelt erst zu Ressourcen macht, indem sie in einen nützlichen Zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen bringt. Diese nützliche Verbindung, die eine Ressource überhaupt zu einer Ressource werden lässt, ist einzig und allein menschlichem Streben, menschlicher Imagination und Intelligenz, menschlichem Wissen und Geschick zu verdanken — womit der Prozess der Ressourcenschöpfung immer den Divergenzen und Rivalitäten zwischen den Menschen ebenso unterworfen ist wie den befriedenden und Einigkeit stiftenden Kräften, die zwischen ihnen wirken. Also auch natürliche Ressourcen haben nichts naturwüchsiges; sie sind soziale Projekte wie die Natur, die wir uns vorstellen und untereinander verhandeln.

Die Natur fordert gar nichts; könnte sie dies, würde sie sich mit den Grünen anlegen und sehr viel mehr CO2, pure Pflanzennahrung, verlangen als derzeit in der Atmosphäre vorhanden ist; und sie würde sich vermutlich dagegen aussprechen, dass Millionen von Vögeln grausam verstümmelt und abgeschlachtet werden, wegen einer bizarren intellektuellen Modeerscheinung, wonach die Natur mit Windrädern zu retten sei. Eher noch würde die Natur sich als vielgestaltig herausstellen, in Parteien aufspalten und sich, wie wir Menschen, heftig streiten — dass sie dazu neigt, beweist sie ja durch die Hervorbringung des menschlichen Tieres. Unsere Hoffnung sollte nicht auf endgültigen Einsichten ( darüber, was "die Natur" gebietet) ruhen, sondern auf der Qualität der Prozesse, mit denen wir die Richtigkeit und Wahrhaftigkeit unserer Thesen über die Natur gegenseitig überprüfen. Je offener der Prozess der gegenseitigen Überprüfung, desto wahrscheinlich ist es, dass uns die Fehler auffallen, die wir zwangsläufig begehen. Und desto schneller werden schädliche Entwicklungen bekannt und desto eher können wir gegensteuern.

Einer der großen Irrtümer unserer Zeit, der schon den Rang einer Binsenwahrheit bekleidet, kommt in der These zum Ausdruck, der Mensch sei ein Naturzerstörer.

Die These steht im Widerspruch zu den Tatsachen. Wenn wir mit der Zerstörung der Natur durch den Menschen meinen, wir behandelten die Natur so, dass die Menschheit sich systematisch schlechter stellt oder gar auszurotten droht, dann ist der Mensch alles andere als ein Naturzerstörer.

Seitdem es ihm vor zweihundert Jahren gelungen ist, seine Zerstörung durch die Natur in nie dagewesener Weise einzudämmen (permanentes Bevölkerungswachstum bei steigendem Lebensstandard, Überwindung der Malthusschen Falle), ist der Mensch selbst Naturbewahrer geblieben. Es geht ihm immer besser in einer Natur, die ihm ungezähmt zutiefst feindlich ist. Er gewährleistet eine Balance zwischen Natur und Mensch (dem menschlichen Teil der Natur), welches eine beispiellose Ausbreitung unserer Spezies bei wachsendem Wohlstand zulässt. Mehr denn je steht der Mensch im Einklang mit der Natur. Die These von der Gefährdung des Menschen durch menschliche Naturzerstörung könnte absurder nicht sein. Sie beruht auf verfälschten Tatsachen und einer masochistischen Öko-Religion, die den Menschen per definitionem als naturschädlich ansieht,

Diese Nachfolge-Religion des bei uns absterbenden Christentums lebt von aufgewiegelten Emotionen und dem erhobenen Zeigefinger moderner Pharisäer; meist auch davon, dass die Kläger unter Umgehung konkreter Problemlagen, sich auf höchstem Abstraktionsniveau, also ohne die maßgeblichen Einzelheiten zu studieren, in schockierend-knallig präsentierten Allgemeinheiten ergehen.

Ein Beispiel: die armen Rehe - der böse Mensch raubt ihnen ihren Lebensraum. Die bloße Klage scheint schon die einzig richtige Lösung in sich zu tragen. Indem wir uns empören, glauben wir schon zu wissen, woran wir sind, und was zu tun ist. In Wirklichkeit ist nicht einmal klar, was gefordert wird. Sollen wir die Rehe fragen, was sie für ihre optimale Populations-Größe halten? (Im Übrigen, gibt es nichts Natürlicheres als die Anpassung einer Tier-Population an ihre Lebensbedingungen, ein dynamischer Prozess, der ebenso veränderlich ist wie die Art und Anzahl seiner Bestimmungsfaktoren—und somit weder ein ewiges Optimum noch irgendeinen anderen Idealzustand kennt und einzig durch den Menschen einer moralischen Bewertung unterzogen werden kann).

Wenn die unterstellte optimale Population nicht spezifiziert wird, werden die Kosten entsprechender Maßnahmen erst recht nicht zur Kenntnis genommen; doch erst diese Einzelheiten holen das Thema auf die Erde zurück und zeigen die schwierigen, komplexen Abwägungsentscheidungen auf, die uns alles andere als eine einfache, naturgegebene Lösung bescheren. 

Im hitzigen Wortgefecht freilich ist es hilfreich zu unterstellen, was es nicht gibt: ein naturgegebenes objektives Optimum. Wenn irgendjemand die Frage entscheiden soll, was eine wünschenswerte Tier-Population sei, dann kann es nur der Mensch. Womit die Angelegenheit vielschichtig und kontrovers wird, umgeben von Unsicherheiten, die genährt werden von menschlicher Fehlbarkeit und dem Dissens, mit dessen Hilfe Menschen zu besseren Entschlüssen zu kommen pflegen als durch Erzwingung der Forderungen einer vor Anfechtungen geschützten, einseitigen, vorgefassten Meinung. 

Die Alarmglocken sollten zu schrillen beginnen, wann immer die Würde der Wissenschaft (eben ideologisch) missbraucht wird, wenn die Wissenschaft denaturiert wird, will sagen: dem Verfahren nach aufgehoben und nur noch als autoritär drohendes Etikett fungiert.

Die Alarmglocken sollten zu schrillen beginnen, wenn es nur noch eine Theorie geben darf.

Die Alarmglocken sollten schrillen, wenn Kritik als Fehltritt, vielleicht sogar als Verbrechen gilt.

Die Alarmglocken sollten schrillen, wenn es heißt, die "Wissenschaft" habe ihren Endpunkt erreicht und die betreffende "Wahrheit"  sei endgültig. 

Man hat sich von Wissenschaft verabschiedet, wenn Natur hypostasiert, d.h. zu einer Persönlichkeit verfremdet wird, die hinsichtlich ihrer Selbst verbindlich Auskunft gegeben kann über "wahr" und "falsch". 

Man hat sich von Wissenschaft verabschiedet, wenn Natur reifiziert wird, d.h. wenn man sie sich vorstellt als einen objektive Erkenntnis heischenden Gegenstand, ein Ding, das man versteht, indem man der ihm innewohnenden absoluten Wahrheit ansichtig wird. 

Wissenschaft hat sich verabschiedet und an ihre Stelle ist Ideologie getreten, wenn Natur in unserer Vorstellung zu einem Gegenstand verbogen wird, dessen Struktur absolute Erkenntnis in sich trägt, die man nur ablesen muss wie den Wert einer Wasseruhr, um zu wissen, was gilt und was nicht.

Die englische Version.

1 comment:

  1. Manchmal verknüpfen und verzahnen sich Gespräche und Erlebnisse auf
    richtig spannende Art und Weise.

    Am Wochenende war ich an einem wunderschönen See spazieren.

    Dort gibt es eine Menge Enten und mein Freund hat sich den Kopf zerbrochen, wie das mit den Enten und den Eiern und dem Nachwuchs ist.

    Gestern haben wir nachgelesen, wie das mit den Eiern, dem Befruchten und
    dem Nachwuchs funktioniert.

    Irgendwo stand, dass die Vögel Nachkommen der Dinosaurier sind.

    Heute Abend habe ich ein bisschen im Internet geschaut, was ich zu dem
    Thema finde.

    Immer mit der Frage im Hinterkopf: in welchem Ausmaß kann der Mensch der
    Natur schaden?

    Dabei ist mir folgendes eingefallen:

    wenn die Dinosaurier nicht ausgestorben wären, würde es uns Menschen
    vermutlich gar nicht geben.

    Wir Menschen sind ja auch nur ein Teil der Natur.

    Lebewesen hatten schon immer natürliche Feinde.

    Hat das dem Planeten geschadet?

    Wer weiß? Vielleicht ist genau dieser Umstand die Grundlage für
    Entwicklung und Erhaltung der Erde - der Welt?

    Stillstand und die Erhaltung von dem was grad ist, hat noch nie zu
    Fortschritt geführt.

    Hat uns der Fortschritt geschadet?

    Wir leben heute viel besser als zum Beispiel Ludwig der Vierzehnte der
    Sonnenkönig, der für seine Zeit vermutlich in großem Luxus gelebt hat.

    Uns geht es viel besser als den reichsten Adligen in der Barockzeit.

    Ich denke dabei z.B. an folgendes: wie war das, wenn ein (egal wie
    reicher) Mensch damals Zahnweh hatte? Zentralheizung gab es damals auch
    nicht.

    Oder: so zu leben, wie wir heute mit zahllosen Annehmlichkeiten leben, das wär doch damals total unmöglich gewesen.

    Vermutlich ist es eine Art Instinkt von Lebewesen, sich immer besser an
    Situationen anzupassen, Vorteile zu suchen usw.

    Jegliche Entwicklung fußt auf Veränderung. Die Entwicklungen haben
    bisher nicht zu Verschlechterungen geführt.

    Uns geht es heute besser "denn je".

    Warum sollte sich diese Entwicklung in Zukunft nicht fortsetzen?

    Mir kommt´s fast so vor, als wäre es die Lebensaufgabe der Menschheit,
    sich immer besser an die Umgebung anzupassen, immer mehr "rauszuholen".

    Jedenfalls bin ich sehr zuversichtlich, dass sich letzten Endes die
    Weiterentwicklung und damit die Veränderung durchsetzen wird, ja sogar
    durchsetzen muss.

    Selbst wenn die Menschheit versagen würde und sich selbst mitsamt der
    Natur um sie rum ausrotten würde, würde die Welt weiter leben.

    Braucht die Natur den Menschen?

    Oder:

    Wenn auf Grund menschlichen Fehlverhaltens eine Tierart aussterben
    würde, z.B. die Bienen, dann gäbe es wahrscheinlich Alternativen.

    Ich bin mir sicher, wenn es keine Bienen mehr gibt, um unsere Blumen und
    Obstbäume zu befruchten, dann gäb es was anderes, vielleicht sogar was
    viel besseres.

    Mir kommt dabei die Frage:

    Ist es nicht sehr vermessen, zu glauben, dass wir Menschlein die
    Verantwortung haben, mit unserem Verhalten die Welt zu retten?

    Bevor ich ins Bett gehe, werde ich noch ein bisschen versuchen, mir die
    Welt vor 200 Millionen Jahren vorzustellen.

    Ich finde es absolut unglaublich, dass es schon so lange Leben auf der
    Erde geben soll.

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