Friday 22 April 2016

Kapiert? (2) — Die Krise und das neue Modell für Wachstum und außenwirtschaftliche Beziehungen (1/2)— Thomas Palley

Image credit. Hopes and fond memories in our winter of discontent. I understand, the weekend is bringing a return of snow. Upps, da bin ich mal wieder in der falschen Sprache gelandet.


Thomas Palley zählt seit geraumer Zeit zu den führenden Post-Keynesianern. Im Vortrag, der Ihnen unten als Video vorliegt, fasst er die Ursachen der ab 2007/2008 einsetzenden und nach Meinung vieler bis heute anhaltenden Great Financial Crisis (GFC) zusammen, so wie sie sich ihm darstellen.

Er sieht in der GFC die Auswirkungen eines wirschaftspolitischen Paradigmen-Wandels, der sich Anfang der 1980er Jahre durchsetzen konnte. Als Mitschuldigen macht Palley aber auch die in den etablierten Wirtschaftswissenschaften vorherrschende neo-klassische Denkweise aus.

Die Zahlen in Klammern geben an, an welcher Stelle im zeitlichen Ablauf des Videos eine bestimmte Aussage des Referenten getroffen wird. (03:22) bedeutet 3 Minuten und 22 Sekunden nach Beginn des Videos.

Eingangs seines Vortrags stellt P. fest, dass weitläufige Übereinstimmung darüber herrscht, dass der Ausbruch der GFC übereinfiel mit dem Platzen der Immobilien-Preis-Blase und einer damit akut auftretenden Schuldenkrise (auch der privaten Haushalte) in den Vereinigten Staaten, auf die sich P. übrigens ausschließlich in seinem Vortrag bezieht. (04:14)

Aus diesem Grunde haben sich die meisten Analysen auf die Suche nach Fehlentwicklungen in den Märkten für Immobilien und Fremdfinanzierung (Kredite) konzentriert.  (04:40)

Wenn wir den tieferen Ursachen auf den Grund gehen wollen, so müssen wir nach Palleys Überzeugung den Blick weiten und uns von einer Beschränkung auf die Analyse des Versagens einzelner Märkte lösen.  

Zu diesem Zweck lenkt P. unsere Aufmerksamkeit auf eine etwas ungewöhnliche Frage: Was wäre, wenn die amerikanische Wirtschaft auf das chronische Wiederaufpumpen von Blasen angewiesen sei, um Wachstum und Vollbeschäftigung zu gewährleisten? (04:51)

Mit dieser Frage will P. andeuten, dass die Ursache der Krise nicht im Versagen isolierter Mechanismen der Wirtschaft zu finden ist, sondern in der veränderten Grundausrichtung der Gesamtwirtschaft.  (05:00)

Freilich tut sich die Politik schwer, P.s tiefer schürfendem Ansatz zu folgen. Denn es ist leichter, mit dem Finger auf einen greifbaren Schuldigen zu zeigen und leicht zu verstehende, konkrete Maßnahmen ("Die tun was") zur Abhilfe zu versprechen, als makroökonomische Zusammenhänge aufzurollen, die nur langsam, kumulativ und auf indirekten Wegen wirksam werden. (05:10)

Wenn sich die Politik auf das Versagen einzelner Märkte stürzt, hat sie nicht nur etwas (scheinbar) Konkretes in der Hand, sie erspart es sich auch, den Gesamtrahmen des Systems in Frage zu stellen. (06:00)

Damit sieht sich P. vor die Herausforderung gestellt, wie sich die makro-ökonomischen Wurzeln der größten Depression seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre in einer Weise vermitteln lassen, die für die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger verständlich und verwertbar ist. Wie sag' ich's meinem Kind - oder besser: wie sag' ich's der Regierung, damit sie nicht weiter im Dunkeln tappt? (06:40)

P. teilt die Aufgabe in zwei Themenschwerpunkte auf:

  • die Analyse eines verfehlten Wachstumsmodells, das seit den 1980er Jahren die Wirtschaftspolitik der USA beherrscht, und 
  • die Analyse des irrigen Modells, das der Verflechtung der US-Wirtschaft mit der Weltwirtschaft zugrunde liegt. 

Die Verflechtung dieser zwei Fehlentwicklungen musste nach P. unweigerlich zur GFC führen. (07:00)

Der Eruption des GFC-Vulkans ging ein langer Prolog voraus, an dem sich die wachsende Instabilität der makro-ökonomischen Gesamtlage für jeden ablesen ließ, der Augen hatte zu sehen:

  • Aufgeblähte Vermögenswerte ("asset bubbles"), 
  • steigender Verschuldungsgrad, 
  • steigendes Handelsbilanzdefizit, 
  • Niedergang der Beschäftigung im produzierenden Sektor, 
  • Konjunkturwellen mit relativ lang anhaltenden Schwächephasen ("jobless recovery"  - Rückkehr des Wirtschaftswachstum ohne Anstieg der Beschäftigung), gefolgt von sich schnell überhitzenden Phasen des Aufschwungs.  (07:30) 

Die Ursachen bleiben "allen", wie P. sagt, weiterhin verborgen: Politikern, Ökonomen, Investoren. Das Problem dabei ist nicht ein neuerliches Platzen einer Blase ("bust") und der wiederholte Absturz der Wirtschaft. Das ist nach P. nicht zu erwarten. Vielmehr besteht das Problem darin, dass uns eine dauerhafte Periode der Stagnation, vielleicht des Niedergangs erwartet. (08:00)

Für P. bedeutet dies, dass wir uns um eine bessere Zukunft bringen.

Das Verhängnis nahm seinen Lauf Ende der 1970er, Anfang der 198oer Jahre, als die Wirtschaftspolitik umschwenkte auf ein neues Grund-Schema des Konjunktur-Zyklus. (09.50)

Das Wachstumsmodell der Nachkriegszeit wurde verdrängt von einem neuen makro-ökonomischen Wachstumsmodell.

Das Wachstumsmodell der Nachkriegszeit hatte zwei Hauptsäulen: eine Politik der Vollbeschäftigung, also des Eingreifens des Staats in die Wirtschaft, welche dafür sorgte, dass sobald Tendenzen zu steigender Arbeitslosigkeit auftraten, diesen geld-und fiskalpolitisch entgegengewirkt wurde.

Wesentlicher Bestandteil dieser der Vollbeschäftigung verpflichteten  Wirtschaftspolitik war die enge Kopplung der Löhne an die Produktivitätsentwicklung - die Einkommen partizipierten am Erfolg des Wohlstandsmotors Produktivität.

Dies setzte einen "Engelskreis" - wenn dies das Gegenteil von einem Teufelskreis ist - in Gang: indem der Produktivitätszuwachs die Einkommen der Beschäftigten mit sich zog, florierte auch die Gesamtnachfrage, die letztlich die  Leistungskraft der Wirtschaft antreibt. Der Kreislauf funktionierte folgendermaßen:

  • Die robuste Gesamtnachfrage ermöglichte Vollbeschäftigung. 
  • Vollbeschäftigung schaffte Anreize zu investieren (es bestanden ja gute Aussichten auf ausreichend kaufkräftige Abnehmer). 
  • Es wurden Investitionen getätigt. 
  • Diese Investitionen schoben die Produktivitätsentwicklung an. 
  • Der Produktivitätszuwachs schuf die Grundlage für steigende Arbeitseinkommen. 

A virtuous circle -  ein circulus virtuosus -  eine Aufwärtsdynamik - ein positiver Kreislauf - ein Engelskreis. (10:40)

Diese Schema änderte sich in den 1980er Jahren, als ein neues Wachstums-Modell bestimmend wurde, das folgende Merkmale aufwies:

(1) Die Wirtschaftspolitik gab ihr Bekenntnis zu einer Politik der Vollbeschäftigung auf.

(2) Die Kopplung der Arbeitseinkommen an die Produktivitätsentwicklung wurde aufgehoben.

(3) An die Stelle des Wachstums-Modells der Nachkriegszeit trat eines mit neuen Triebfedern:

  • die zunehmende Verschuldung der Wirtschaftsteilnehmer, und 
  • das Aufpumpen von Preisblasen bei Vermögenswerten. (11:00)

Es waren nun nicht mehr produktivitätsgedeckte Arbeitseinkommen, die das wirtschaftliche Wachstum antrieben, sondern zunehmende Verschuldung und die Inflation von Vermögenswerten.  

Die Quellen des neuen Wachstums sind:

  • Die fortdauernde Hausse ("boom") von Finanzwerten und billige Importe. 
  • Die Aufblähung des Werts von Finanztiteln versorgte die Wirtschaftteilnehmer mit den Sicherheiten, die es ihnen erlaubten, sich in verstärktem Maße zu verschulden. 

Begünstigt wurde die Verschuldungsbereitschaft durch entsprechende (1) Finanzinnovationen und (2) Deregulierung der Finanzmärkte. Die beiden Faktoren gestatteten es, das Spektrum der Instrumente auszuweiten, welche die Erhöhung des Verschuldungsgrades (Leverage) ermöglichten und der weiteren Verschuldung als Sicherheiten zugrunde gelegt werden konnten. Man denke an Home Equity Loans, bei denen der Wert des (nicht unbedingt schon abbezahlten) Eigenheims Krediten zugrunde gelegt wird, die durch das Haus besichert sind.  (12:00)

Zudem halfen billige Importe dabei, die Stagnation der Arbeitseinkommen auszugleichen. Die billigen Importe trugen dazu bei, die politische Unterstützung des neuen Wachstums-Modells in der breiten Bevölkerung zu sichern.

Diese zwei Hauptmerkmale - die Inflation von Vermögenswerten und billige Importe - sind in allen Konjunkturzyklen, namentlich unter Reagan, Bush (Vater), Clinton und Bush (Sohn), seit Anfang der 1980er Jahren deutlich erkennbar. (12:30)

Damit ist seine Kritik, wie P. betont, apolitischer Art - d.h. die Fehler, die er beklagt, sind nicht einer bestimmten politischen Richtung zuzuschreiben, sondern haben sich in unserer politischen Kultur gewissermaßen eingebürgert, bei den politischen Speerspitzen nicht weniger als im Wahlvolk. (13:00)

Der Rückgang der Beschäftigung seit 1980 ist besonders ausgeprägt im Bereich der Produktionsbetriebe. Zwischen 1945 und 1989 hinterließ jeder Konjunktur-Zyklus eine Zunahme der Gesamtbeschäftigung. Ganz anders in der Zeit nach 1980, wo nun in einem bemerkenswerten Trendumschwung das Beschäftigungsniveau nach jedem Konjunktur-Zyklus sinkt. (14:00)

Ein Blick auf das Handelsbilanzdefizit verrät eine ähnliche Kehrwende um das Jahr 1980. Von 1945 bis 1980 beobachten wir - von Zyklus zu Zyklus, eine mehr oder weniger ausgeglichene  Handelsbilanz. Ab 1980, hingegen, verzeichnen wir eine massive, sich beschleunigende Zunahme des Handelsbilanzdefizits. (15:00)

Die Denkweise der Wirtschaftspolitik hat sich um 180 Grad gedreht. Vor dem Wendejahr 1980 galt ein Handelsbilanzdefizit als problematisch. Warum? Weil ein Überhang der Importe gegenüber Exporten auf ein Leck hindeutet, aus dem gewissermaßen Gesamtnachfrage austritt, um von der eigenen Wirtschaft an andere Volkswirtschaften abzufließen — man kauft nicht die Produkte der eigenen Wirtschaft, sondern die einer anderen. 

In der Zeit nach 1980 avanciert das Handelsdefizit in den Augen der Wirtschaftspolitik eher zu einem guten Zeichen. Warum? Es hilft, die Inflation zu begrenzen ( — wenn boomende Nachfrage die Produktivitäts-Kapazitäten der eigenen Wirtschaft überfordert). Überdies lässt sich ein Handelsbilanzdefizit als Ausdruck von Konsumenten-Souveränität deuten — die Menschen kaufen die Waren dort, wo sie ihnen am ehesten zusagen, und das mögen ausländische Märkte sein. (15:30) 

Das neue Wachstums-Modell hinterlässt seine Spuren auch in veränderten Mustern der Einkommensverteilung. Seit 1980 verwandelt sich die Parallel-Entwicklung von Produktivität und Arbeitseinkommen in eine gewaltig auseinander klaffende Schere, die 80% der arbeitenden Bevölkerung als Verlierer zurücklässt. (16:30)

Für P. verbirgt sich dahinter ein neues wirtschaftspolitisches Programm, das die Position von Lohnempfängern schwächt, die Interessen von Unternehmern begünstigt, und den Finanzmärkten neue Freiräume zugesteht, die sich zum Vorteil von kommerziellen Eliten nutzen lassen.   

Die Mehrheit der Beschäftigten sieht sich zunehmend an vier, sie umschließende Fronten eingeschnürt:

  • (1) Die Politik hat sich von ihrem früheren Bekenntnis zur Vollbeschäftigung verabschiedet. 
  • (2) Die Globalisierung reißt ein gewaltiges Leck, aus dem Gesamtnachfrage aus der eigenen Wirtschaft abfließt. 
  • (3) Die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts macht die Bedingungen des Arbeitens und die Arbeitsplatzsicherheit sowohl für Beschäftigte des Privatsektors als auch für jene des öffentlichen Sektors prekärer als zuvor. 
  • (4) Beiden Gruppen entstehen zudem Nachteile aus der Umsetzung einer Ideologie, die sich "small government" verpflichtet fühlt — für die einen fallen Arbeitsplätze auf direktem Wege weg, für die anderen indirekt, durch die Abwendung der Politik vom Primat der Vollbeschäftigungspolitik. (19:00)



Fortsetzung folgt.

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