Saturday 3 September 2016

FV (5) — Die Grenzen menschlicher Destruktivität



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Nach einer weit verbreiteten Auffassung ist der Mensch ein Netto-Zerstörer von Ressourcen, d.h. er vernichtet mehr Ressourcen als er erzeugt. Ich halte dem entgegen: Wäre dem tatsächlich so, würde der Mensch schon vor langer Zeit ausgestorben sein. Vielmehr trifft es zu, dass der Mensch ein Netto-Mehrer von Ressourcen ist.

Fragen wir uns zunächst einmal: Was sind überhaupt Ressourcen?

Nehmen wir das Beispiel von Beeren, die schon unseren Jäger-und-Sammler Vorfahren gemundet haben.

Beeren zählen zu den Ressourcen, wie man so sagt, die uns Mutter Natur schenkt. Bei genauerer Überlegung fällt vielleicht aber Folgendes auf: Beeren sind (a) nicht imstande, einzusehen, dass Menschen möglicherweise an ihnen Gefallen als Nahrungsmittel finden könnten, (b) noch sind sie in der Lage, dem Menschen aus eigenem Antrieb in dieser oder anderer Funktion nützlich zu werden.

Diese Einsicht mutet so trivial an, dass sie schon ans Alberne zu grenzen scheint. Tatsächlich aber wird sie selten berücksichtigt. Es bleibt im Allgemeinen unbeachtet, dass eine Ressource grundsätzlich nur dann ins Leben gerufen wird, wenn der Mensch dafür sorgt. Zum einen, indem er einen Zusammenhang erkennt zwischen einer Gegebenheit der Natur X., Beeren z.B., und einer Möglichkeit, X. in den Dienst eines menschlichen Bedürfnisses, z. B. seiner Ernährung, zu stellen. 

Bis dahin ist noch keine Ressource entstanden. Dies geschieht erst, wenn der Mensch den nutzenstiftenden Zusammenhang zwischen X. und einem menschlichen Bedürfnis praktisch realisiert. Diese geradezu kindlich einfache Argumentationskette führt uns jedoch zu einer Schlussfolgerung, die die meisten Menschen geradezu vor den Kopf stößt: Alle Ressourcen entstammen dem menschlichen Geist.

Solange der menschliche Geist von unerschöpflicher Kreativität ist, sind die Ressourcen, derer der Mensch sich bedienen kann, prinzipiell unbegrenzt.

Nach herkömmlicher Vorstellung sind Ressourcen endliche Bestände an naturgegebenen Materialien. Daher die viel beschworenen Ängste hinsichtlich der Erschöpfung von uns wichtigen Ressourcen wie dem Erdöl. Doch das Erdöl war über Milliarden von Jahren keine Ressource, es wurde zu einer solchen erst als der Mensch einen Zusammenhang entdeckte, der die Eigenschaften dieses Rohstoffs mit den technischen Möglichkeiten und den Bedürfnissen des Menschen zweckdienlich verbindet. Vieles spricht dafür, dass das Erdöl eines Tages keine Ressource mehr sein wird, aus dem erfreulichen Grunde, weil der Mensch neue Zusammenhänge entdeckt und entwickelt haben wird, die vorteilhafter sind als solche, die uns heute noch auf Rohöl zurückgreifen lassen.

Der Mensch hat seit seinem Erscheinen im Holozän unentwegt dafür gesorgt, dass sich seine Ressourcenbasis ausweitet. Sein Ingenium hat auf das Aussterben des Mammuts mit der Entwicklung neuer und besserer Ressourcen geantwortet. Seit dem Aufkommen der modernen Wissenschaften hat sich diese Fähigkeit um ein Vielfaches erhöht.

Es gibt zwar natürliche Phänomene, die uns mit Nützlichem ohne unser Zutun versorgen, wie die Wärme oder das Licht der Sonne. Aber wenn wir uns nur auf solche Geschenke der Natur verlassen müssten, wären wir nicht in der Lage zu überleben. An einem trivialen Fall ist zu erkennen, wie der Mensch ununterbrochen selbst dafür sorgen muss, dass ein Zustand oder eine Gegebenheit zur Ressource wird.

Ein wenig erhitzt am Rand des Schwimmbeckens liegend fragt sich ein Mensch: Bleibe ich in der Sonne, oder ist es besser, wenn ich den Schatten aufsuche? Zu heiß, entscheidet er. Indem er den Schatten aufsucht hat er bereits eine Ressource erzeugt, denn er hat erkannt, dass etwas der Befriedigung eines Bedürfnisses von ihm zu dienen vermag und hat dieses zweckdienliche Potenzial praktisch genutzt.

Es entspricht der Natur des Menschen, als Netto-Ressourcen-Erzeuger durch die Welt zu schreiten. Als Netto-Ressourcen-Vernichter hätte er sich selbst nicht lange überlebt.

Auf analoge Weise lässt sich zeigen, dass dem destruktiven Verhalten der Menschen untereinander Grenzen gezogen sind.

Auch die Entwicklung staatlicher Strukturen bleibt eingefasst in diesen Grenzen. Der Staat hat zwar ein großes, doch eben grundsätzlich begrenztes Potenzial für zerstörerische Handlungsweisen, und daneben stets einen operativen Bestand an konstruktiven Funktionen. Menschheitsgeschichtlich betrachtet unterliegen staatliche Strukturen dem Erfordernis, einen Überschuss an zuträglichen Leistungen gegenüber negativen Ergebnissen hervorzubringen.

Als die zahlenmäßig kleinen Horden aus der Frühzeit der Menschheit unter dem Einfluss der sich ausbreitenden sesshaften Landwirtschaft volkreicheren Verbänden zu weichen beginnen, macht sich ein neuartiger destabilisierender Faktor im Miteinander der Menschen bemerkbar:

Kleine Gruppen sind in der Lage, unverzichtbare öffentliche Güter dank ausreichender Beiträge ihrer Angehörigen bereitzustellen, denn sie sind noch überschaubar genug, um wirksame soziale Kontrolle auszuüben, Trittbrettfahrer-Effekte zu unterbinden und Kosten-Nutzen-Relationen zu unterstützen, die den Individuen Anreize bieten, sich an der Bereitstellung öffentlicher Güter freiwillig und in ausreichendem Maße zu beteiligen.

Je größer die Gruppen werden, desto stärker schwindet diese Bereitschaft zum kollektiven Handeln. Ihre Mitglieder geraten in allerlei Anreizverzerrungen vom Typus des Gefangenendilemmas und in veritable Minenfelder aus multiplen spieltheoretischen Gleichgewichten. Auf Dauer behaupten sich nur solche Gruppen, die Strukturen Maximaler Macht (SMP) entwickeln, welche wirksam genug sind, um allenthalben bindende Regeln durchzusetzen, die kooperatives Verhalten auch in großen Gruppen gewährleisten: der Staat tritt in Erscheinung.






Geschrieben im März 2013

2 comments:

  1. 2 Fragen:

    könnte man so sagen: die Hauptressource der Menschen ist nicht Öl, Gas, Metalle usw. sondern unsere Kreativität?

    "Je größer die Gruppen werden, desto stärker schwindet diese Bereitschaft zum kollektiven Handeln." gilt das auch für eine kollektivistisch ausgelegte Gesellschaft?

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    1. Zur ersten Frage: ja. Zur zweiten Frage: Je größer die Gruppen, desto größer die Vielfalt der Interessen und Absichten und umso schwieriger wird es, diese Vielfalt so zu koordinieren, das bestimmte kollektive Notwendigkeiten erfüllt werden können. Oder etwas variiert ausgedrückt: es müssen sich in größeren Gemeinschaften Prinzipien und Gewohnheiten entwickeln - evolutiv oder auch unter bewusster Herbeiführung -, die in kleineren Gemeinschaften unbekannt und unnötig sind. Eine Gruppe von 25 Sammlern und Jägern (typische Größe) braucht kein internationales Handelsrecht. In größeren Gemeinschaften müssen nicht nur "alte" kollektive Notwendigkeiten, wie der Schutz der Gruppe, neu und unter veränderten Bedingungen organisiert werden; es entstehen auch neue kollektive Notwendigkeiten, z.B. die Etablierung neuer Formen des Besitztums oder des Regierens.

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