Sunday 15 May 2016

Staatsverschuldung (4a) - Inflation und Hyperinflation

 
Image credit. Eine der Radierungen von Königin Victoria, deren Verkauf sie zu verhindern versuchte.


Fortgesetzt von hier.

Everyone can create money, the problem is to get it accepted.
—Hyman Minsky


Hyman Minsky war der Meinung: Jeder von uns kann so viel Geld aus dem Nichts zaubern, wie er will. Schwierig sei nur, meinte Minsky, andere Leute dazu zu bewegen, dieses Zauberprodukt auch als Geld ernst zu nehmen.

Minskys geflügeltes Wort bezieht sich auf die Fähigkeit, eine allgemein gültige Währung ins Leben zu rufen. Das ist in der Tat ziemlich schwierig für den Normalbürger. Aber es gibt einen Trost.

Die meisten von uns können wirklich Geld aus dem Nichts erzeugen. Richtiges Geld.— mit dem man rechtschaffen Einkaufen gehen kann. Doch, doch. Das geht — es passiert jeden Tag, weltweit und rund um die Uhr.

Die einzige Voraussetzung hierfür ist, dass Sie kreditwürdig sind. Wenn das der Fall ist, können Sie zu einer Bank gehen und dem betreffenden Angestellten mit guten Aussichten auf Erfolg folgendes Ansinnen vortragen: "Ich hätte gerne Geld in die Welt gesetzt. Können Sie das bitte für mich veranlassen." Viele Banken werden Ihrem Wunsch gerne entsprechen, und nach Erledigung einiger Formalien — insbesondere nach Prüfung Ihrer Kreditwürdigkeit — nagelneues Geld für Sie in die Welt setzen. Eine Bank tut dies, indem sie Ihnen einen Kredit bewilligt und den vereinbarten Betrag Ihnen auf einem Konto gutschreibt, über das Sie dann für Ihre Zwecke verfügen können.

Es ist also so, dass Sie aus irgendeinem Grunde das Bedürfnis verspüren, sich Kaufkraft, die sie nicht haben, durch Schöpfung neuen Geldes zu verschaffen. Und wenn Sie kreditwürdig erscheinen, dann können Sie damit rechnen, dass eine Bank, die sich auf derlei Schöpfungsgeschäfte spezialisiert, Ihnen beim Geldmachen ex nihilo zu Diensten sein wird.

Noch nicht schockiert?

Es kommt noch schlimmer. Ich erzähle Ihnen keine Märchen. Allein deswegen, weil sie kreditwürdig erscheinen, wird es Ihnen in unserer Gesellschaft gestattet, Einfluss zu nehmen auf die uns alle betreffende Preisstabilität im Lande. Doch, wirklich. Indem Sie nämlich einfach so, ganz nach eigenem Gutdünken, neues Geld in die Welt setzen (lassen), tragen Sie offensichtlich zur Inflation bei. Sie und Ihresgleichen erhöhen nämlich mit Ihrer Kreditaufnahme die Geldmenge. Die Preise steigen, dass allgemeine Preisniveau wird angehoben. Und so bewirken Sie über die Jahrzehnte einen kräftigen Verfall der Kaufkraft meiner Währung. Nein, wirklich, dem ist so. Oder zahlen Sie Ihrem Friseur immer noch den Gegenwert von 1,50 DM für einen Herrenschnitt?

So, jetzt wechseln wir mal die Perspektive.

Erinnern wir uns an zwei Stichworte, die oben erwähnt wurden: Kaufkraft und Kreditwürdigkeit. Die Crux in aller Kürze vorab: wenn Ihre Kreditwürdigkeit richtig eingeschätzt worden ist, dann wird die zusätzliche Kaufkraft, die man Ihnen aus dem Nichts hat zuwachsen lassen, im Laufe der Zeit in eine zusätzliche Kaufkraft aller Menschen umgewandelt. Jedenfalls wenn eine genügend große Anzahl der bewilligten Kredite produktiven, den gesellschaftlichen Reichtum ausweitenden Zwecken zugeführt wird.

Vielleicht Sie selbst, und sicherlich viele andere Leute entschließen sich, Geld aus dem Nichts zu schaffen, weil sie Mittel benötigen, um aussichtsreiche Projekte zu finanzieren. Wenn diese Projekte erfolgreich sind, und viele sind es, dann haben Sie/sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu beigetragen, die Produktivität der Wirtschaft zu erhöhen und das Produktangebot zu verbessern und zu vergrößern, und zwar so, dass ihre Mitmenschen sich bei einem Lohn, der einer gleichbleibenden Anzahl von Arbeitsstunden entspricht, mehr Waren und Dienste leisten können als zuzeiten, da die Verbesserungen, die Sie mit Ihrer geliehnen zusätzlichen Kaufkraft bewirken werden, noch nicht in Sicht waren.

Sie haben zwar die Geldmenge anwachsen lassen und die Inflation angeheizt, aber der Produktivitätszuwachs und die anderen Verbesserungen (Produkte mit neuen Möglichkeiten und besserer Qualität), für die Sie, dank des von Ihnen aus dem Nichts geschaffenen Geldes, gesorgt haben, übersteigen diese Nachteile/Effekte. Es geht uns insgesamt besser.

Worauf ich hinaus will ist dies: ein gewisses Maß an Inflation ist unverzichtbar in einer florierenden Wirtschaft. Eine moderate Inflation ist etwas Gutes, ein natürlicher Bestandteil des wirtschaftlichen Wachstums. Eine moderat inflationierende Volkswirtschaft versieht Menschen, die zunächst keine oder nur unzureichende Mittel besitzen, mit genügend Geld, um zu aller Gunsten produktiv zu werden — ein Fortschritt, der uns ohne entsprechende Ausweitung der Kredit-/Geldmenge vorenthalten bliebe.

Kreditaufnahme (= Geldschöpfung), Inflation und Wirtschaftswachstum (, d.h. die Zunahme der Qualität und Menge an wünschenswerten Gütern und Dientsleistungen) nehmen im Gleichschritt zu. Das ist die normale Situation einer florierenden Wirtschaft.

Genau: Kredit ist Geld. Wenn ich Kredit habe, wenn ich kreditwürdig bin, habe ich Anspruch auf Geld. Eine auf Kredit basierende Geldwirtschaft eröffnet die Möglichkeit eines fortlaufenden Fortschritts wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, um das leider längst verteufelte Wort vom Wirtschaftswachstum zu vermeiden. In Wirklichkeit ist Wirtschaftswachstum der Kern der Humanität und zugleich die materielle Basis für den Humanismus, wie ich in Theorie und Praxis argumentiere.

Die auf Kredit basierende Geldwirtschaft sorgt für eine ausbaufähige Leistungskraft des menschlichen Wirtschaftens, was wiederum die Basis schafft für mehr Kredit, mehr Geld, mehr (moderate) Inflation, größere Produktivität und mehr Wirtschaftswachstum, was wiederum eine erweiterte Grundlage schafft für mehr Kredit, mehr Geld, mehr Inflation, größere Produktivität und mehr Wirtschaftswachstum, was wiederum eine erweiterte Grundlage schafft für usw. Und so kommt es denn, dass wir heute einen deutlich höheren Lebensstandard genießen, obwohl unsere Währung deutlich weniger wert ist, als vor 50 oder 70 Jahren — wir also seit damals einer kräftigen Inflation ausgesetzt waren.

Deshalb sollten wir uns hüten, Inflation immer gleich als etwas Besorgniserregendes einzuordnen. Das hat nämlich den zusätzlichen Nachteil, dass wir immer gleich an Katastrophen denken, wenn der Begriff auch nur Erwähnung findet. Weswegen wir in Gedanken häufig viel zu schnell dabei sind, gar eine Hyperinflation zu prophezeien.

Die Gefahr besteht, dass wir uns dazu abrichten lassen, auf eine Vokabel so zu reagieren, wie das bestimmte Leute sich wünschen, die uns ein politisches Ziel "verkaufen" wollen. Wir werden nicht mehr informiert, buchstäblich "schlau gemacht", wenn Sie so wollen, sondern lassen uns in eine Fantasiewelt locken, ohne dass uns die Täuschung bewusst wird.

Nachdem wir uns klar gemacht haben, warum Inflation meist gar nichts Schlechtes ist, wollen wir uns im zweiten Teil genauer mit der Frage befassen, was eine Hyperinflation ist — wann also und unter welchen Umständen aus einer "hundsgewöhnlichen" Inflation, die uns nicht bange machen muss, sondern sogar lieb sein sollte, dann doch vielleicht irgendwann eine gefährliche Geldentwertungsorgie wird.

Fortgesetzt hier.

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