Thursday 18 February 2016

Das Paradoxon der Freiheit (8) - Ein Vortrag


In der letzten Folge haben wir gesehen, dass es ein Manko des Hayekschen Liberalismus ist, die Rolle des planvollen Handelns im menschlichen Miteinander nicht nur herunterzuspielen, sondern geradezu geringzuschätzen, indem es unter den Generalverdacht gestellt wird, dass von ihm eine Bedrohung für die gewachsene Ordnung einer freien Gesellschaft ausgehe. Genauer gesagt, konzediert Hayek, dass planvolles Handeln seine Berechtigung für Haushalte und Firmen habe, als Instrument der Politik und des Staats aber höchst suspekt und besonders schädlich bei Eingriffen in die spontane Ordnung einer freien Wirtschaft sei.

Diese Bedenken sind einerseits zu pauschal und einseitig, verkennen sie doch u. a. die bewusst gestaltenden juristischen und administrativen Grundlagen einer freien Wirtschaft, andererseits trifft es freilich zu, dass bestimmte Formen des Eingreifens, des Lenkens und Verbietens uns abbringen von dem Ziel, den größtmöglichen Nutzen aus einer spontanen Ordnung zu ziehen.


Das Problem des Hayekschen Liberalismus ergibt sich daraus, dass er das Eingreifen schlechthin zum Hauptindiz erhebt, anhand dessen sich das Auslösen einer Funktionsstörung der spontanen Ordnung erkennen lässt. So wie Hayek sich mit den Idealtypen Kapitalismus und Sozialismus beschäftigt, und Eingriffe in ersteren sofort in Verbindung bringt mit einem Umschlagen in letzteren, so wie Hayek keine Theorie der gemischten Wirtschaft hat, mit der wir es realiter zu tun haben, sondern zu einem Entweder-Oder zwischen Kapitalismus und Sozialismus neigt, wodurch jeder Eingriff in die Wirtschaft sofort Brisanz gewinnt, so fehlt ihm die Einsicht darin, dass bewusste Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in sehr großer Zahl erfolgen, und erfolgen müssen, ohne dramatische Schäden zu zeitigen und oft gerade vonnöten sind, um die auch von Hayek gewünschte Ordnung herbeizuführen, um also, wenn man so will, den Rohstoff "spontane Ordnung" für die Zwecke des Menschen zu veredeln. Es geht um die Qualität der Eingriffe, nicht darum, dass möglichst wenige erfolgen. 

Doch leider wird die Frage, "wie stehe ich zur spontanen Ordnung" unter der präjudizierenden Annahme der Schädlichkeit von Eingriffen zur Kardinalfrage der liberalen Identität im Sinne des Hayekschen Liberalismus.

Die Abgrenzung von der Sozialdemokratie, die eine offenere Haltung in der Frage der Eingriffsberechtigung an den Tag legt, ist somit ideologisch vorprogrammiert und ebenso die Richtung, in die dieses Sich-Absetzen weist - in die minimalstaatlicher (minarchistischer) Gesinnung mit ihren charakteristischen Kernforderungen: 
  • so wenige sozioökonomische Eingriffe wie möglich, 
und weil der Staat das Sagen bei Eingriffen in die Gesellschaft hat, sowohl als autorisierende Instanz wie auch als intervenierende Institution, 
  • so wenig Staat wie möglich, 
  • ein absolutes Minimum an Staat, 
Ich wage, die These aufzustellen, dass der Hayeksche Liberalismus dazu verdammt ist, in die Richtung des Minarchismus zu tendieren, weil ihm die tiefe Verwurzelung und die gewaltige Ausdehnung bewusst gestaltender Handlungen in all dem, was eine freie Gesellschaft auszeichnet, entgeht. Bevor der Markt frei sein kann, bedarf es unzähliger Bestimmungen (z.B. gesetzlicher, vertraglicher und politischer Art) - Eingriffe, wenn man so will - die seine Funktionsweise überhaupt erst gewährleisten.

Die minarchistische Vorstellung von einer Herrschaftsordnung, die sich auszeichnet durch den kleinstmöglichen Staatsapparat und die geringstmögliche Teilnahme des Staats an den Geschehnissen der Wirtschaft und der Gesellschaft, ist schlechterdings untauglich, um den realen Verhältnissen, in denen die Institutionen der Freiheit gedeihen, gerecht zu werden. Denn tatsächlich geht es vor allem um die Art, die Funktion und die Folgen von Interventionen geht, so dass die Betonung der Frage, ob viel oder wenig Staat im Spiele sei, irgendwann an der Sache vorbeigeht und zur rituellen Konzession an einen Fetisch gerät.   

Aus der immer legitimen Sorge über unzweckmäßige Eingriffe und gefährlichen Dirigismus entsteht eine ideologische Verengung und ein sektiererischer Wettstreit um doktrinäre Reinheit und Radikalität - der sich um ein wieder zu allgemein gefasstes Kriterium dreht.


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