Sunday 28 February 2016

Das Paradoxon der Freiheit (12) - Ein Vortrag


Fortsetzung des elften Teils.

Unter einer Ideologie verstehe ich eine Vision, die argumentativ unrichtig ist, deren tatsächliche Konsequenzen falsch dargestellt werden und unzuträglich sind. Genauer gesagt, Ideologien sind in dem Sinne undurchdacht, dass die ihnen zugrundeliegenden Prämissen nicht dazu berechtigen, die von ihren Anhängern behaupteten, verheißungsvollen, ihre Attraktivität ausmachenden Schlüsse zu ziehen.

Der Grund dafür liegt darin, dass die Plädoyers für Ideologien auf einem zu hohen Abstraktionsniveau verharren. Infolgedessen lassen sie entscheidende Faktoren außer Acht, die auf einem niedrigeren, größere Konkretheit zulassenden Abstraktionsniveau angesiedelt sind, indes sie zugleich auch bestimmend für die Folgerichtigkeit, Praktikabilität und wirklichen praktischen Folgen der betreffenden Vision sind. 

Auf höchstem Abstraktionsniveau (hoher Grad an Allgemeinheit der Aussagen) verspricht das Prinzip des Wankelmotors wegen der harmonischen Rotationsbewegung des Wankel-Kolbens größere Wirtschaftlichkeit gegenüber dem konventionellen Hubkolbenmotor, bis man Erkenntnisse eines nierdrigeren Abstraktionsniveaus (hoher Grad der Spezifizität und Konkretheit der Aussagen) einbezieht und feststellen muss, dass es beim Wankel zu unlösbaren Dichtungsproblemen kommt, so dass die Vision seiner größeren Wirtschaftlichkeit kollabiert. 

Bei technischen und anderen naturwissenschaftlichen Sachverhalten  ist es tendenziell eher der Fall, dass objektive Hinderungsgründe für die Verwirklichung einer Vision bekannt werden. Doch wenn technisch-naturwissenschaftliche Entscheidungen unzulässig politisiert werden, - es gibt auch zulässige Formen der Politisierung - unterliegen auch sie den trügerischen Effekten, mit denen sich unser Urteil unmerklich oder immerhin schwer erkennbar manipulieren lässt. Es ist für jedermann  leichter zu überprüfen, ob die Behauptung stimmt, dass ein hartgekochtes Ei bei entsprechender Rotationsbeschleunigung sich auf einer harten Oberfläche von selbst aufrichten wird, als die Behauptung, dass der Wankelmotor nicht aus technischen, sondern angeblich aus politischen Gründen gescheitert ist, namentlich aufgrund einer geschickt eingefädelten konzertierten Aktion von Fahrzeug- und Zubehörherstellern, Ölgesellschaften und ihren Handlangern in diversen Regierungen und mehreren Regierungen.

Der Wahrheit ist ohne Überprüfung auf konkreter Ebene nicht beizukommen. Doch es gibt vieles, das uns an konkreter Ermittlung hindert. Die Verhältnismäßigkeit des Prüfungs-Aufwands, hohe Plausibilität auf ersten Anschein (ich habe das sich selbst aufrichtende Ei nicht für möglich gehalten), die hohe Reputation der argumentierenden Person, die scheinbar geringe Bedeutung des in Frage stehenden Sachverhalts, fehlendes Bewusstsein für ferner liegende Konsequenzen des Sachverhalts, Glaubensbereitschaft, unbewusste Vorurteile, und tausend andere, zum Teil recht subtile Hürden, die eine Manipulationsklaviatur darstellen, derer sich die Eiferer eines politischen Ideals oft virtuos zu bedienen wissen.

Unten sehen wir die Struktur der kommunistischen Vision.


Anders als Trotzki, und wohl auch Lenin, Marx und Engels erwartet hatten, haben sich die Menschen in jenen Industriegesellschaften, die wie Großbritannien, Deutschland oder den USA, einen vergleichsweise hohen Grad an Freiheit genossen und deshalb Möglichkeiten der freien Meinungsbildung und des freien politischen Ausdrucks besaßen, nicht von der kommunistischen Vision dazu bewegen lassen, den Kommunismus in ihren Ländern zu etablieren. Sie zogen die Sozialdemokratie vor, eine soziale Reformphilosophie auf dem Sockel freiheitlicher Prinzipien.

Warum? Sie hatten die Möglichkeit, sich der intermediären Bedingungen zu vergewissern, die zwischen abstrakten Prämissen und abstrakter Conclusio der kommunistischen Ideologie auftreten, um darüber zu entscheiden, ob die Vision machbar und gut ist.


Sie hatten vor allem auch die Möglichkeit, sich von der Suggestion zu lösen, dass absolute Gerechtigkeit (z.B. Abschaffung des Arbeitsleids und aller sozialer Spannungen im Kommunismus), die Grundlage einer "guten Gesellschaft" sein müsse. In einer pluralistischen, politisch offenen Gesellschaft konnten sie die Erfahrung machen, dass schrittweise Verbesserungen, so kompromisshaft,  unvollkommen und nachbesserungsbedürftig sie auch seien, eine bessere Gesellschaft hervorbringen, als der Glaube an die absoluten Ziele und die Perfektion einer Weltanschauung, die genau betrachtet, nur von einem kleinen Teil der Gesellschaft gewollt wird, einer Weltanschauung also, die sich nach Möglichkeit einer fortwährenden Prüfung durch alle Mitglieder der Gesellschaft, die kritische Fragen und abweichende Interessen ins Felde führen, entzieht. Eine solche Weltanschauung fordert notwendig eine unfreie Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der nicht zuletzt freier Meinungswettbewerb unterdrückt wird, weil diese Weltanschauung nur in einer unfreien Gesellschaft zu verwirklichen und (für eine Weile) am Leben zu halten ist.   

Was hat das alles mit Hayek und dem Paradoxon der Freiheit zu tun?

Wie alle Visionen, die zur Ideologie geraten, mangelt es dem Hayekschen Liberalismus an der Bereitschaft, sich den für seine Ziele maßgeblichen intermediären Bedingungen - den möglichen Hürden seiner weltanschaulichen Wunschvorstellungen - ernsthaft zu stellen.

Mit der wachsenden Freiheit des Individuums im Ausgang des feudalistischen Zeitalters (Freiheit von der Bindung an das Lehen, alternative Lebenswelt der Städte, Vertrag statt Status etc.)  entfalten sich Bedingungen, die dem Kapitalismus, also einer flächendeckende Tauschwirtschaft, zur Verbreitung verhelfen. Die effizientere Wirtschaftsform, die dem Individuum eine deutlich verbesserte Stellung gegenüber der Obrigkeit ermöglicht, schafft historisch beispiellosen Wohlstand, so dass eine neue Sozialtechnologie ressourcenmäßg unterhalten werden kann: der moderne territoriale Zentralstaat. 

Die materielle Basis des Kapitalismus gestattet es dem Staat, eine unter früheren Regimen unbekannte Machtfülle, Allgegenwart im Leben der Menschen und Fähigkeit, sozial erwünschte Leistungen, vor allem in Gestalt öffentlicher Güter, zu erlangen. Damit ist eine neue Sozialtechnologie entstanden, die auf große Nachfrage stößt, nicht zuletzt weil sie imstande ist, bisher unerreichbare Verbesserungen zu bewerkstelligen, besonders die stärkere Berücksichtigung des Volks mit seinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Belangen. 

Freiheit erzeugt den Kapitalismus, der Kapitalismus erzeugt Wohlstand, der Wohlstand erzeugt einen Staat, der auch in der Hinsicht mächtig ist, als er in der Lage ist, der Bevölkerung dienlicher denn je zu sein. Freiheit erzeugt also Big Government. Freiheit erzeugt den weitverbreitenden Wunsch nach den Leistungen des Big Government. Freiheit bedarf eines starken Staats. Die minarchistische Grundprämisse der Hayekschen liberalen Vision, dass nämlich der Staat in enge Grenzen einzuschnüren ist, damit sich die spontane Ordnung einer freien Gesellschaft entfalten kann, erweist sich als unrichtig.  


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