Saturday 1 October 2016

FV (13) — Naturrecht: was mag es bedeuten?

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Über FV.


Naturrecht – was mag es bedeuten?

Nach Auffassung des Anarcho-Kapitalisten M. Rothbard besitzt ” jeder Mensch das absolute Eigentumsrecht an sich selbst, an den zuvor eigentümerlosen natürlichen Ressourcen, die er findet, mit seiner eigenen Arbeitsleistung umformt und dann weitergibt oder mit anderen tauscht.” [Rothbard (1970), Power and Market, p.11, meine Übersetzung, I.U.] G. Hülsmann erläutert die Bedeutung dieser Kernaussage wie folgt:

“Aus diesem Recht des Erstbesitzes lassen sich – in Verbindung mit dem Recht auf Selbstbesitz – alle anderen Rechte ableiten.” [G. Hülsmann (2007), Ordnung und Anarchie, S. 14]

Aus diesen grundlegenden Prinzipien lässt sich laut Hülsmann eine Theorie jener Rechte ableiten, die absolut, objektiv wahr, zeitlos und unabhängig von jedem Kontext Gültigkeit beanspruchen können; die einzig richtige Version des Naturrechts.

Doch es scheinen sich eine Reihe von Problemen mit dieser Ansicht zu ergeben. Man frage sich nur: Was wenn zwei Menschen sich in Ausübung ihres absoluten Rechts auf Selbstbesitz zweier widerstreitender Handlungsweisen befleißigen? Was wenn der Eine Tennis nachts unter Flutlicht spielt, indes der Andere wenige Schritte davon entfernt, sich seine Nachtruhe ersehnt? Wessen absolutes Recht auf Selbstbesitz darf obwalten, wessen absolutes Recht muss eine Einschränkung erfahren?

Das Kriterium des Selbstbesitzes ist also nicht von Nutzen bei der Beantwortung der entscheidenden Frage, worin der Inhalt der Rechte eines Menschen bestehe. Selbstbesitz – wenn man denn bei dem Terminus bleiben mag – kann gewiss nicht absoluter Art sein, sondern unterliegt Bedingungen und Einschränkungen, sowohl zu jedem gegebenen Zeitpunkt als auch im Fortgang der Zeit. Denn ständig ändern sich die Umstände und Begrenzungen, die das Arsenal unserer Rechte umgeben.

Erst sehr spät in der Geschichte der Menschheit erscheinen die Selbstbesitzrechte, welche die moderne kapitalistische Wirtschaft und die ihr zugrunde liegenden Spielräume persönlicher Freiheit aufrechterhalten – offenbar das Modell für den Rothbardschen Naturrechtsbegriff. Im Gegensatz zur Rothbardschen Vorstellung haben sich im Laufe der Geschichte Bedeutung und Praktiken des Rechts und der Moral unentwegt verändert.

Während Hülsmann dafür hält, dass die Tötung eines Menschen ohne dessen Einwilligung in jedem Fall unrecht und unmoralisch sei, ganz unabhängig vom historischen Kontext, lassen sich Bedeutung und Praktiken des Rechts, wie sie während langer Zeiträume der Menschheitgeschichte zu beobachten sind, nicht mit diesem Postulat in Vereinbarung bringen.

Wie die Primaten-Vorgänger des Menschen, hatte auch der home sapiens sapiens sehr lange eine ausgeprägteNeigung, Begegnungen mit stammesfremden Artgenossen zum Anlass zu nehmen, diese zu töten. Vom Standpunkt der Recht-definierenden-Gemeinschaft – dem Stamm – wurde das Meucheln eines Fremden als ein rechtmäßiger, verdienstvoller und moralisch löblicher Akt angesehen.

Die Rothbardsche Sichtweise scheint in mindestens zweifacher Hinsicht fragwürdig:

Insofern als diese Auffassung davon ausgeht, dass (i) es in der Realität verankerte objektive Bestimmungsfaktoren gibt – ähnlich wie die physikalischen Naturgesetze -, die festlegen, was recht und was unrecht ist, wird sie die rechtsprägende Rolle historischer Umstände anerkennen müssen, eine Sichtweise, mit der sich freilich die Vorstellung zeitloser ( = bedingungslos ewiger) Rechte nicht aufrechterhalten lässt.

Insofern als (ii) die Bestimmung dessen, was recht und unrecht ist, als ein formaler Prozess logischer Ableitung, in etwa nach Art mathematischer Operationen, als ein zeitloser Kalkül also angesehen wird – was durchaus von der Rothbardschen Schule behauptet wird – so muss der unter (i) zum Ausdruck gebrachte Standpunkt aufgegeben werden, indes zugleich der unter (i) hervorgehobene Aspekt – nämlich die prägende Wirkung realer Faktoren auf das Recht – die Aufmerksamkeit auf Indizien und Befunde lenkt, welche die Glaubwürdigkeit von (ii) irreparabel beschädigen.

Es gibt zahllose Gründe, warum man stets einen Wettbewerb ethischer Strategien im Gebaren der Menschen wird beobachten können, einen Wettbewerb zwischen Modellen und Praktiken des Rechts, der Moral und moralisch besetzter Sitten.

Die im Sinne des Anpassungserfolgs leistungsfähigsten ethischen Strategien werden sich durchsetzen,

Strategien, die das Überleben und die Dominanz der sie befolgenden Gruppen gewährleisten. Das Spielfeld, auf dem sich der evolutionäre Wettbewerb um gültiges Recht zuträgt, verrät unter anderem auch die Spuren ungezählter Varianten von Naturrechtstheorien, zu denen David Hume eine beigetragen hat, die er in diesem bekannten Diktum zusammenfasst:

” The rules of morality, therefore, are not conclusions of our reason.” Die Gesetze unserer Moral sind nicht die Schlussfolgerungen unseres Verstandes.

Das soll nicht heißen, dass rationales Denken in diesem Prozess keine Rolle spiele, sondern nur, dass der Verstand nicht die Federführung innehat. Denn der menschliche Geist muss reagieren auf Umstände, die außerhalb seines Einflussbereiches liegen; und dazu zählt eben auch unsere grundlegende Unfähigkeit, sämtliche Implikationen und Konsequenzen der von uns getroffenen Entscheidungen zu überschauen.

Dies bekräftigt nur die Erkenntnis, dass der Wettbewerb zwischen ethischen Strategien durch den ständigen Wandel der uns umgebenden Umstände erzwungen und genährt wird.

Geschrieben im Mai 2013.

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